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Redundanzmaschine kontra Elfenbeinturm

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Der Widerspruch zwischen U und E beruht auf einem Missverständnis · Von Moritz Eggert
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Die Diskussion U gegen E (oder umgekehrt) ist im Moment in aller Munde. Während auf der einen Seite rührend betroffen der Untergang des Abendlandes und der totale Ausverkauf an den Kommerz beklagt wird, macht sich die andere Seite Gedanken über die vermeintlichen Irrtümer der Neuen Musik und ergeht sich in fehlgeleiteten Ratschlägen an die E-Komponisten, es doch einfach mal wieder mit „gefälligeren“ Klängen zu versuchen.

Die Entwicklungen in der GEMA, bei den öffentlichen Rundfunksendern, bei den regionalen Kulturhaushalten erwecken zunehmend den Eindruck, dass hier ein Kampf der Ideologien geführt wird, der sich symptomatisch durch alle Ebenen unserer Gesellschaft zieht. Dieser Kampf ist, wie soll es auch anders sein, vor allem ein Kampf um Geld: Was sich verkauft, was quasi auf eigenen Beinen stehen kann, hat eine Daseinsberechtigung, was dagegen subventioniert werden muss, ist überflüssig. Der Vorwurf an die subventionierte Kultur ist allerorten derselbe: In einem Elfenbeinturm befände sie sich, am Publikum vorbei schaffend, quasi als Patient am Tropf einer Gesellschaft hängend, die sich derlei Luxus eben nicht mehr leisten kann.

Die Förderung der „ernsten“ Kultur aus der Verantwortung der öffentlichen Hand zu nehmen ist aber nichts als eine Verlagerung des Problems, keine Lösung. Wie tief ist eine Gesellschaft gesunken, die von all ihren kulturellen Erzeugnissen pekuniäre Rentabilität und sofortige Allgemeinverständlichkeit fordert? Um die wahre Perversion solchen Denkens zu begreifen, stelle man sich nur einen Goethe vor, der den zweiten Teil des „Faust“ nach wenigen Seiten abbrechen muss, weil die Quote wegen der Komplexität des Sujets sinkt.

Wir brauchen aber den Freiraum, in dem sich solche Werke entfalten und ohne kommerziellen Erfolgszwang ein Publikum finden können. Wo dies in der europäischen Geschichte gelang, waren die Ergebnisse großartig, sie erzeugten unsere heutige kulturelle Identität, die jetzt auf dem Spiel steht.

Genau dies aber ignoriert die jüngste Programmpolitik der öffentlich-rechtlichen Sender: in kleinen Häppchen wird serviert, was eventuell zu schwer verdaulich sein könnte, man nimmt dem Anspruchsvollen das, was uns ansprechen kann und beraubt es damit jeglicher Wirkung. Das Publikum aber ist nur so dumm, wie es gemacht wird. Beschwerte sich früher jemand über „zu viel“ Kultur? Jetzt gibt es eindeutig zu wenig davon.

Es ist also an der Zeit, die Stimme zu erheben und sachlich, ohne Weinerlichkeit und Pathos, auf das Verschwinden der Kultur in unserer Kultur hinzuweisen. Dies ist zum Beispiel das Anliegen von „Pro Klassik“, einer Initiative von Komponisten und Verlagshäusern, die vor einigen Monaten ins Leben gerufen wurde. Der Name „Pro Klassik“ ist bewusst gewählt: unter „Klassik“ kann man einerseits die gewachsene Kulturtradition wie auch deren jüngste zeitgenössischen Erzeugnisse verstehen. Wäre der Name „Pro E-Musik“, wären sofort die alten Gräben wieder aufgerissen, an denen sich im Moment zum Beispiel die GEMA zerreibt. Die Gründung solcher und ähnlicher Initiativen hat ihren Grund in einer besonders unangenehme Wendung der Diskussion um das Pro und Kontra von Kulturförderung: nicht nur wird die „ernste“ Kultur zunehmend verdrängt, es wird ihr auch noch vorgeworfen, sie sei selbst daran schuld, ihre eigene Unvermittelbarkeit sei ihr Todesurteil. Dies sagen aber vor allem diejenigen, die gerade dieser Kultur das Podium zerstören, auf dem die Vermittlung bisher stattfinden konnte. Die so genannte Spaßgesellschaft hat der Kultur den Krieg erklärt… und da hört der Spaß auf. Tatsächlich hat sich aber in der E-Musik der letzten 20 Jahre erstaunlich viel getan, überkommene Klischees wurden erodiert, alte Denkmuster überwunden, ein neues und größeres Publikum gefunden. An Talent ist kein Mangel, und Adorno ist schon lange nicht mehr das Maß aller Dinge.

Die Diskussion um Sinn und Unsinn der Begriffe U und E ist sicherlich notwendig, wichtig ist es aber zu erkennen, dass der vielbeschworene Widerspruch E gegen U auf einem Missverständnis beruht. „E“ ist nicht besser oder schlechter, sondern anders. Früher sprach man von der leichten und der ernsten Muse, das bezeichnete keinen Gegensatz, sondern allein eine Verschiedenheit, die das andere aber anerkennt und respektiert. Mit der Wandlung des Pop zur Popindustrie, die ihren Erfolg an der größtmöglichen Verbreitung, dem niedrigsten gemeinsamen Nenner misst, setzte aber ein Verlust der Unschuld ein: Wo kein Bedarf ist, wird er künstlich erzeugt. Einen Großteil des Pop-Outputs braucht nachweisbar niemand – aufgezwungene Musik allerorten, eine gigantische Redundanzmaschinerie. Ein Hit wird nicht komponiert, sondern „produziert“. Gleichzeitig sehnt sich die Popmusik nach den Tagen ihrer Unschuld, nicht umsonst besteht ein Großteil des auf MTV Gezeigten aus wiedergekäuten Hits vergangener, eindeutig inspirierterer Dekaden.

Wo aber fühlen wir uns zu Hause? Ist es wirklich das niedrigste Niveau, auf das wir uns alle einigen müssen? Müssen wir uns überhaupt auf ein einziges Niveau beschränken? Das wahre Talent in der Popmusik sucht längst andere Wege, hat seine eigene Szene. Sicherlich wäre auch hier ein Austausch mit neuer „klassischer“ Musik denkbar, eine gegenseitige Befruchtung wünschenswert. Es geschieht.

Und letztlich sollte es am Ende nicht E-Musik kontra U-Musik heißen, sondern allein PRO Musik. Die Muzak aber spielt hoffentlich anderswo.

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