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„Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Berlin im Schillertheater: Michael Volle in der Titepartie, Tobias Schabel als Daland und der Staatsopernchor. Foto: Matthias Baus
„Der fliegende Holländer“ an der Staatsoper Berlin im Schillertheater: Michael Volle in der Titepartie, Tobias Schabel als Daland und der Staatsopernchor. Foto: Matthias Baus
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Senta im Suff: Philipp Stölzls konservativ-postmoderne Inszenierung des „Fliegenden Holländer“ an der Staatsoper Berlin

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Ihre Premiere erlebte jetzt im Berliner Schillertheater eine Produktion des Theaters Basel aus dem Jahre 2009, die romantische Oper „Der fliegende Holländer“ in Wagners letzter Fassung, jedoch pausenlos, wie sie erstmals 1901 Siegfried Wagner realisiert hat. Der Erlösungsschluss erscheint in dieser Inszenierung besonders diskrepant, zumal Regisseur Philipp Stölzl die Geschichte in der Entstehungszeit des Werkes ansiedelt und aus der Sicht Sentas erzählt, die von einer jugendlichen Leseratte zu einer dicklichen Säuferin wird. Mit der Flasche schlägt sie ihren Jugendfreund Erik blutig und tötet ihren Bräutigam, bevor sie sich am Ende selbst erdolcht.

Als sein eigener Bühnenbildner siedelt Stölzl (gemeinsam mit Mara Kurotschka und Conrad Moritz Reinhardt) die Handlung im Einheitsraum einer großbürgerlichen Bibliothek an. Dass ein Monumentalgemälde zu einer Spielfläche der Phantasie wird, ist – seit Othmar Schoecks Oper „Das Wandbild“ – insbesondere im Musiktheater und im Film häufig realisiert worden. Stölzl sorgt für einen Wechsel der Dekorationen dieser Bühne auf der Bühne. Und für das Duett Senta-Holländer schafft er einen Dreisprung: hinter dem Bilderrahmen wird die verkleinerte Raumanordnung der Bühne sichtbar, auch diese mit jenem Monumentalbilderrahmen, hinter dem dann erneut der Grundraum, abermals verkleinert, sichtbar wird. Die singende Senta (verhalten im Gesang, mäßig im Ausdruck und ihre Partie nicht voll beherrschend: Emma Vetter) begegnet dem fliegenden Holländer in der Realität nie. Das besungene Porträt der Sagengestalt gibt es so wenig, wie das besungene Spinnrad. Stattdessen erzählt Senta die Ballade aus einer Wagner-Schwarte, während ein uniform beschürztes, weibliches Putzkommando die Bühne staubfrei macht.

Im Vorspiel genießt eine junge Senta in Unterhosen die Geschichte aus der Wagner-Kladde mit weit gespreizten Schenkeln und dirigiert Wagners Musik mit dem nackten Fuß mit. Ihr Vater Daland und seine Mannschaft von Seeleuten steigen aus dem Bilderrahmen in die Wohnlandschaft. Auf dem von Turner inspirierten Bild begegnet dem veritablen Segler Dalands das praktikable Holländerschiff. Der im Sessel seiner Wohnung eingeschlafene Vater wird unmerklich zum Holländer. Dieser hat bei seinen Kämpfen offenbar seine Rechte eingebüßt und agiert nun, wie Götz von Berlichingen, mit eiserner Faust, er zertrümmert Dalands Globus. Bei seiner Frage an den „Engel Gottes“ streichelt ihn die junge Senta (Double: Roxana Clemenz) und legt ihm bei seinem Duett mit Daland schützend die Hand aufs Haupt.

Nach Sentas gesellschaftskonformem Umzug in ein blaues Biedermeierkleid (Kostüme: Ursula Kudrna), erfolgt der Wechsel von Double zu Sängerin unter einer bodenlangen Tischdecke. Wenig plausibel, erscheint zu Eriks Traumerzählung auf der Bild-Ebene ein kindliches Erik-Double, das die Blätter einer Blume abzupft, während der vordere Raum mit dem realen Erik und seiner abweisenden Jugendliebe eingenebelt wird. Wie in Harry Kupfers legendärer Bayreuther Inszenierung, bringt der Vater einen gänzlich anderen Freier mit nach Hause. Hier ist es ein alter Herr, mit Melone und Krückstock, der an einer elektrischen Zigarre raucht.

Gelungene Momente bietet die Parallelführung der beiden Sentas: im goldenen Bilderrahmen die jugendlich-schlanke Traumfigur mit dem singenden Holländer, im dazu synchronen Spiel mit sich selbst im Realraum die in die Jahre gekommene Kandidatin. Ihr alter Freier (Ronal Ries) verhält sich dazu apathisch, und das Terzett Senta-Holländer-Daland ist kurzerhand gestrichen. Das Fest der Matrosen verschläft dieser Freier dann ebenso wie die neben ihm offenbar volltrunkene Senta.  Die Mädchen lassen die Seeleute keineswegs allein, sondern treiben mit ihnen muntere Begattung. Während des Holländerchores erwacht Senta und scheucht die Realgesellschaft mit einem Säbel in ihre Bilderwelt.

Imposant dann der Blick auf das Deck des Holländerschiffes nach dem letzten Heben des Monumentalgemäldes. Ein zentrales Verließ beherbergt fünf der von ihm aufgrund ihrer Untreue gemordeten Frauen, blutig und untot, wie der Holländer selbst. Die junge Senta steigt über die Reling zu ihrem Idol und verharrt in der Umarmung mit ihm, während die reale Gesellschaft die blutüberströmte, tote Senta zum musikalischen Erlösungsschluss in jene Tischdecke bettet, unter der sie sich so gerne versteckt hatte.

Vokales Glück herrschte bei den Tenören, mit Peter Sonn als einem ungewöhnlich heldischen Steuermann und mit Stefan Rügamer, der die heikle Partie des Erik ohne Einbußen bewältigt. Glaubhaft ist er auch im Spiel: als Bürohengst mit Ärmelschonern, der Senta vor seiner Abreise mit Koffer einen Abschiedsbrief zurück lässt. Baritonal hell in der Klangentfaltung gestaltet Tobias Schabel die Basspartie des Daland. Szenisch die Gerte schwingt Simone Schröder als eine ansonsten von der Regie kaum profilierte, farblose Mary. Trotz häufig ungünstiger Positionierung, gestaltet Michael Volle bei seinem Berliner Debüt die Titelpartie kräftig und ausdrucksstark, wenn auch nicht ganz textsicher.

Der von Eberhard Friedrich einstudierte Staatsopernchor intoniert klangvoll und sauber. Leider noch im Rang hörbar war diesmal die als Maestro Suggeritore im Souffleurkasten eingesetzte Daniela Musca.

Den von Wagner gegenüber der Dramenvorlage Heinrich Heines ausgetriebenen Humor holt die Berliner Neuinszenierung unbeabsichtigt wieder herein: Wenn der Holländer von einem Barbaren des Meeres singt, der sich, anstelle seiner Aufforderung zum Kampfe, bekreuzigt habe und geflohen sei, macht die Übertitelung aus dem „und flieht davon“ ein „und fliegt davon“– nomen est omen.

Zunächst glücklos begannen die Trompeten der Staatskapelle Berlin. Unter der präzisen, aber in ständiger Dauererregung kaum für Spannungsbögen sorgenden musikalischen Leitung von Daniel Harding klingen die Bläser, im Gegensatz zu den größtenteils verdeckt spielenden Streichern, offen und ungebremst drastisch, Pauke und Windmaschine überdimensioniert.

Im ausverkauften Schiller-Theater zeigte sich das Premierenpublikum mit der Inszenierung als biederem Gruselmärchen – regressive Vermischung von Phantasie und Realität – ebenso zufrieden wie mit den musikalischen Leistungen. So waren neben ambivalenten Pfiffen kaum Missfallensäußerungen zu vernehmen.

Weitere Aufführungen: 1., 4., 10. 16., 19., 22. Mai 2013.


 

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