Hauptbild
Das Tubaloon in Kongsberg. Foto: Ralf Dombrowski
Das Tubaloon in Kongsberg. Foto: Ralf Dombrowski
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Silberklänge aus dem Tubaloon: zum Kongsberg Jazzfestival 2010

Publikationsdatum
Body

Kongsberg sei beinahe einmal Hauptstadt geworden, meint Sverre Lunde, Senior Advisor beim Ministry of Foreign Affairs und Chef-Lobbyist des Jazz in Norwegen. Das hätten damals nur die Dänen verhindert, die die Macht im Land gehabt und Oslo favorisiert hätten. Ansonsten sei der Ort eigentlich ideal für diese Aufgabe gewesen, weit genug im Landesinneren, um schwedische Übergriffe mühsam zu machen, und vor allem reich, sehr reich. Schließlich waren die Silberminen von Kongsberg ein Füllhorn und deshalb sei auch die Kirche der Stadt so groß geworden, hatte man doch Herrschaftsanspruch dokumentieren wollen.

Aber Oslo machte das Rennen und so blieb der Ort weit weniger berühmt als die norwegische Fjord-Metropole. Aus den Silberminen wurde angesichts des schwarzen Goldes ein Bergbaumuseum und auch sonst wäre man beinahe in Vergessenheit geraten, hätten sich nicht 1965 einige Jazzfanatiker zusammengefunden und ein kleines Festival gegründet, das sich über die Jahre hinweg zu einem wichtigen Treffpunkt der skandinavischen Szene entwickelt hat und den Namen auf kulturellen Wegen in die Welt trägt. Dabei versucht das Kongsberg Jazzfestival ein wenig die Quadratur des Kreises, indem es zum einen Spiegel der heimischen Kreativität, darüber hinaus aber auch Motor neuer Projekte, Anlaufpunkt für Stars und natürlich Stadtfest für die Einheimischen sein will.

Die Programmplanung sieht sich daher mit einer Fülle divergierender Ansprüche konfrontiert, die sie mit einigem Seiltanz einzulösen versucht. Für die Avantgarde-Freaks blubberten Elektroniker vom Mimeo-Ensemble mit ihren Laptops. Der Stimmakrobat Phil Minton durfte als Gast des Sofa-Records Jubiläum in Gruppen wie Toot in bewährter Manier ins Mikrofon schmatzen und natürlich waren auch Free-Adepten wie Evan Parker oder Ken Vandermark mit der Partie, die sich mal musikalisch verinnerlichten, mal mit Emphase dem neuen Charme des energetischen Lärms frönten. Für die gesetzteren Fans wurden Amerikaner wie McCoy Tyner, Joe Lovano, David Murray oder auch Bill Frisell durchs Hügelland gefahren, um dann gut, aber nicht wirklich berauschend ihr Ding zu spielen.

Die große, futuristisch im Design einem Innenohr nachempfundene Hauptbühne Tubaloon erlebte einheimischen Erfolgs-Pop mit Röyksopp und Progrock mal der amerikanisch abstrakten Variante mit den Soundintellektuellen von Tortoise, mal mit den Lokalheroen Jaga Jazzist, die aber in puncto Innovationspotential weit hinter den Originalen stilistisch in den Siebzigern hängen blieben. Zum Abhängen gaben sich des nächtens Bluesrecken wie Louisiana Red oder The Grand die Ehre, die den Konsum von Bier zu Phantasiepreisen weit erträglicher machten. Soweit also kaum etwas, das mehr als einen Abstecher im Rahmen eines Norwegen-Tips gerechtfertigt hätte.

Und doch gab es Momente, die über dieses Patchwork bunt schillernder Kunsteindrücke hinausreichten. Sie passierten immer dann, wenn entweder die jazzgeografischen Stilgrenzen hinter sich gelassen wurden oder junge Bands am Start waren, die ungeachtet der Klischees nach ihrem persönlichen Sound suchten. Frisell beispielsweise, mit eigenem Trio arg entspannt, wurde gemeinsam mit Arild Andersen zum klangvielfarbig changierenden Zuarbeiter des rezitierenden Poeten Jan Erik Vold, der seinen „å“'s und „ø“'s auf diese Weise mit wunderbarer Leichtigkeit fließen lassen konnte. John Hollenbeck und Skuli Sverrison erwiesen sich als herausragende Soundarbeiter im Umfeld des Saxofonisten Håkon Kornstad, der seine an sich schon ungewöhnlich differenzierten Improvisationen nun in kraftvollerem und kommunikativem Gewand präsentieren konnte. Eine echte Entdeckung schließlich waren die Jungs von Zanussi 5, die mit Schlagzeug und drei dramaturgisch sorgsam aufeinander abgestimmten Saxofonen als Quintett des namensgebenden Bassisten Per Zanussi Arrangementkunst und Spontaneität in Perfektion verschmolzen. Ebenso wie die noch taufrischen Powerbrüder des Quartetts um den Saxofonisten Ketil Møster stehen hier Talente in den Startlöchern zur internationalen Entdeckung, die vom Kongsberg Jazzfestival aus ihren Weg in die Welt gehen könnten.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!