[…] Die Forderung, daß die ideologischen Voraussetzungen der gesamten Musikpädagogik umgewälzt werden müssen, daß sie nicht mehr von der Fiktion des besonderen Werts oder Unwerts bestimmter musikalischer Kategorien, sondern von den kulturellen Bedürfnissen breiter Volksschichten ausgehen müssen, darf jedoch keineswegs dahingehend interpretiert werden, als wolle ich den Musikpädagogen empfehlen, in ihrem Unterricht der Schlager- oder Pop-Musik nun Tür und Tor zu öffnen, nur weil sie sich breiter Beliebtheit erfreue. Ob Udo Jürgens oder Frank Schöbel, ob Heintje oder Rex Gildo, – ihre Musik ist zwar beliebt, doch ist sie rückständig, und man braucht wohl kaum erneut darauf hinzuweisen, daß die Musikindustrie ein Interesse an der Verbreitung solcher Produkte hat.

Sind der Musikpädagogik die musikalischen Bedürfnisse des Volkes tabu?
Doch ist das Problem der großen Beliebtheit der kapitalistischen Unterhaltungsmusik weder mit ästhetisch-moralischen Kriterien, noch mit dem Hinweis auf ihre reaktionären und oft stupiden Texte abzutun. Diese Musik könnte gar nicht beliebt sein, wenn in ihr nicht Elemente – völlig verborgene allerdings – von Volkstümlichkeit vorhanden wären, was zum Beispiel in den zwanziger Jahren für Komponisten wie Eisler und Milhaud Anlaß dafür war, einige dieser Elemente zu verwenden.

Vor 50 Jahren – neue musikzeitung 1973/11
Es käme also für die Musikpädagogen in erster Linie darauf an, die volkstümlichen Elemente der neueren Unterhaltungsmusik genau zu untersuchen und festzustellen, in welcher Form diese Elemente zu äußerst rückständigen Zwecken eingesetzt werden. Nur von dieser Analyse her läßt sich die Frage der pädagogischen Verwendung dieser Musik beantworten, und diese Frage kann nicht richtig gestellt werden, wenn sie von ästhetischen Voraussetzungen ausgeht, wenn sie davon ausgeht, daß „die“ Musik eine Hauptsache im Leben der Menschen sei, zu der man die Schuljugend erziehen müsse. […]
Konrad Boehmer, Neue Musikzeitung, XXII. Jg., Nr. 5, Okt./Nov. 1973
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