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Sonntagsmaler von Nürnberg: Katharina Wagners „Meistersinger“ in Bayreuth

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Katharina Wagner, die jüngste Wagner-Urenkelin, und mit ihrer Halbschwester Eva seit diesem Sommer Festspielleiterin in Bayreuth, hat auch im dritten Jahr an ihrer Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ weiter gearbeitet. Aufgrund der fatalen Rezeptionsgeschichte, an welcher der Komponist einen entscheidenden Anteil hat, wird die – neben dem frühen „Liebesverbot“ einzige heitere Handlung des Musikdramatikers Wagner – bis zur Kenntlichkeit verfremdet.

Szenen, in denen jegliches Spiel und jede Logik von Bühnenabläufen verweigert werden (Beginn des zweiten Aufzuges), stehen neben anrührenden Momenten (Eva wickelt Sachs mit Hilfe ihres Brusttuchs ein), Schockierendes (das Regieteam wird verbrannt) neben Verblüffendem (die komplette Wandlung polarisierender Handlungsträger).

An die Stelle des Meistergesangs ist in dieser Inszenierung (Ausstattung: Tilo Steffens und Michaele Barth) die bildende Kunst in einer Kunstakademie gerückt, und „Nürnberg“ steht für eine ideologische Denkhaltung. Kunststudent Walther von Stolzing, der sich zunächst stets ungebärdig gibt und der beim Puzzle-Wettbewerb der Singschule das historische Nürnberg-Bild zunächst auf den Kopf stellt und dann frei collagiert, wandelt sich vom extravagant gedressten Avantgardisten zum angepassten Künstler.

Die Änderungen der Inszenierung – etwa ein animierter 3-D-Film von Alt-Nürnberg à la Google Earth beim Zwischenspiel im dritten Aufzug – werden besonders deutlich, da der Stand des vergangenen Sommers bereits auf DVD erhältlich ist (BF1231978, 2 DVDs). Ein Höhepunkt der Wiederaufnahme-Premiere ist das Prügel-Fugato am Ende des zweiten Aktes, wenn Stolzings Umgang mit weißer Farbe Schule macht: Farbbeutel fliegen, und Andy Warhols Serial Art der Campbell-Dosen obsiegt über die altehrwürdigen Meister von Bach bis Beethoven, die ihre Sockel verlassen und ein Tänzchen wagen. Sie bildet jedoch bereits den Anfang eines neuen Umsturzes: Durch das nächtliche Initiationserlebnis findet der vordem spießige Beckmesser den Weg zu einer neuen Ausdruckskunst, während Walter seine farbliche Veränderung öffentlicher Kunst bereits zurücknimmt.

Das Skandalon bleibt der Schlussakt. Die Meister der Historie, mit karnevalesk-gespenstischen Schwellköpfen, inklusive Richard Wagner, kidnappen Hans Sachs, der zuvor erstmals in einen Gesellschaftsanzug geschlüpft ist, da er sich zum politisch rechten Spruchsprecher wandelt. Den alten Meistern, die eine Orgie mit barbusigen Mädchen feiern, wachsen Hörner und Phalli. Doch dieser Mummenschanz erweist sich als Theater auf den Theater: nach der gespielten Vorhangsordnung wird das Regieteam mitsamt den obszönen Bühnenutensilien öffentlich verbrannt, die Reaktionäre um Hans Sachs wärmen sich die Hände am Feuer. Aus den Relikten der unterdrückten Oper wird ein goldener Preishirsch für den Sieger gebrannt.

Beckmesser aber – mit der T-Shirt-Aufschrift „Beck in Town“ – wandelt sich zum Avantgardisten, getreu der Aussage nachgeborener Exegeten, die Beckmessers Musik als das eigentlich Moderne an Wagners Partitur erkannten. Der Stadtschreiber exerziert sein Preislied als Agitprop-Demonstration eines nackten, von ihm aus dem Erdreich erzeugten Adam und einer Zuschauerin, die er als Eva entkleidet. Walther hingegen passt sich an: in historisierender Kulisse lässt er zu seinem Preislied ein Liebespaar in historischen Gewändern posieren. Rasant entledigt sich der Chor auf steiler Tribüne seiner Volksmusikkleidung und trägt darunter bereits das klassische Outfit des Festspiel-Publikums. Walther von Stolzing lehnt den Preishirsch und 10.000-Euro-Scheck ab und verschwindet. Bei Sachs’ Schlussansprache verdüstert sich die Bühne gespenstisch; neben dem Agitator wachsen zwei gigantische, goldene Monumentalplastiken á la Breker aus dem Boden.

Hans Sachs, zunächst barfüßig existenzialistischer Textschuster an der Schreibmaschine, ist in diesem Sommer mit Alan Titus neu besetzt. Im Gegensatz zu seinem als Sachs kettenrauchenden Vorgänger erweist sich Titus als Nichtraucher; er tönt stimmlich besser, aber er beherrscht die Partie (noch) nicht, und das berühmte „Stecktet ihr’s ein?“ entfällt sogar ganz. Auch sein Gegenspieler Sixtus Beckmesser ist – nach dem Publikumsliebling Michael Volle – neu besetzt, nun mit jenem Adrian Eröd, der unlängst als erster Bariton in der Tenorpartie des Loge des neuen Wiener „Ring“ für Aufsehen sorgte. Eröd ist ebenfalls beweglich, aber weniger vollmundig. Er vermag den bedrohten jüdischen Außenseiter deutlicher herauszukehren, Beckmessers dunkelhaarige Leidensfigur im Gegensatz zum blonden Strahlemann Walther von Stolzing, den Klaus Florian Vogt trotz schlanker, fast körperloser Stimme, überzeugend verkörpert.

Michaela Kaune als Eva nimmt den großen Ausbruch des dritten Aufzuges zurück, quasi als Vorwegnahme der fürs Quintett erfolgenden rollengerechten Wandlung ins bürgerliche Kanzlerinnen-Outfit. Ihr „doppeltes Lottchen“, die Freundin (eigentlich Amme) Magdalena, gestaltet Carola Guber harmonierend. Überzeichnete, gleichwohl gelungene Charakterbilder bieten Markus Eiche als quirliger Prodekan (eigentlich Bäckermeister) Kothner und Norbert Ernst als ein zum Sekretär der Kunstakademie aufgewerteter David. Das Dirigat von Sebastian Weigle hat an Profil gewonnen und wartet mit originellen Nuancen, etwa dem deutlich punktierten zweiten Beckmesser-Thema auf. Der Lesart der Inszenierung getreu, deutet Weigle Wagners Themen bereits in der Ouvertüre als ein frühes Patchwork. Mit dem breit genommenen Vorspiel zum dritten Aufzug betont er die resignative Sicht auf die Kunst im Wandel ihrer Rezeptionsgeschichte; Beckmessers Preislied wird zum musikalisch innovativen Höhepunkt. Heftiger Applaus für alle Mitwirkenden, nur die Regisseurin badet glücklich in jenem heftigen Widerspruch von Pro und Contra, der bereits seit Wiedereröffnung der Festspiele nach dem zweiten Weltkrieg die Diskussion um Bayreuth belebt.

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