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Gibt es einen typischen ECM-Klang? Foto: Ssirus W. Pakzad
Gibt es einen typischen ECM-Klang? Foto: Ssirus W. Pakzad
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Sound-Kathedralen und Zen-Funk: Nik Bärtsch, Evan Parker, „Food“ und Tim Berne anlässlich der ECM-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst

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Pssst. Auf der gewaltigen Fahne, die außen am Haus der Kunst in München hängt, hat Trompeter Don Cherry den Zeigerfinger an den Mund geführt – so, als wollte er der Wertung des kanadischen Coda-Magazins gerecht werden, das den typischen ECM-Klang 1971 als „the most beautiful sound next to silence“ beschrieb. Drinnen, im Westflügel des am Englischen Garten gelegenen Museums, ging es entgegen des Mottos nicht ganz so ruhig zu. Nik Bärtsch „Ronin“, Evan Parkers Electro-Acoustic Quartet, die Band „Food“ und Tim Bernes „Snakeoil“ gastierten anlässlich der Ausstellung „ECM – Eine Kulturelle Archäologie“ unweit der Exponate.

Gibt es diesen typischen ECM-Klang überhaupt? Wer das Konzertangebot verfolgt hat, das die Ausstellung „ECM – Eine Kulturelle Archäologie“ seit Wochen begleitet, dem könnten Zweifel kommen. Sicher pflegt Manfred Eicher, Mastermind und Produzent des Kult-Labels, klangästhetische Vorlieben – und doch ist es eher dieser Sinn für Sorgfalt, der all seine Aufnahmen auszeichnet. Stilistisch streben die bei ECM veröffentlichenden Künstler weit auseinander. Nie war die Firma musikalisch breiter aufgestellt. So gaben sich jetzt vier Bands im Haus der Kunst die Klinke die Hand, die nicht weiter voneinander entfernt sein könnten.

Der Schweizer Pianist und Komponist Nik Bärtsch etwa frönt in seiner Band „Ronin“ einem Faible fürs Repetitive. Doch Minimal Music ist das keineswegs – zu oft wechseln die Texturen in dieser fein abgestimmten, differenziert groovenden Band, deren soghafte Musik einst als „Zen Funk“ bezeichnet wurde. Nicht nur das die Klänge begleitende Lichtkonzept tat seine Wirkung.

Am nächsten Abend bewegte sich die britische Free Jazz-Ikone Evan Parker in elektroakustischen Zwischen-Welten. Was zwei Laptop-Künstler an vorbereiteten Samples abriefen oder an live gespielten Töne digital umwandelten und wieder zurück in den Raum warfen, fügte sich zu den flirrenden Sopransaxofonlinien, wurde zum verstörenden Klangdickicht.

Auch nach der Pause kam reichlich Elektronik zum Einsatz – diesmal durch das britisch-norwegisch-österreichische Trio „Food“, das den hohen Raum nutzte, um gewaltige Sound-Kathedralen zu bauen. Was Iain Ballamy (Saxofon), Christian Fennesz (Gitarre) und Thomas Strønen (Schlagzeug) da auftürmten, war oft nicht ohne Reiz, manchmal allerdings auch von geradezu aufdringlicher Wucht.

Am nächsten Abend gehörte die Bühne im Westflügel des Ausstellungshauses Tim Bernes „Snakeoil“. Das Quartett war, wie viele Künstler der Konzertreihe, exklusiv angereist. Aus New York hatten der Bandleader und sein Gefolge eine dicke Erkältung mitgebracht – doch die beeinträchtigte die Musik nicht. Was auf dem kürzlich erschienenen Album des Vierers noch ungewohnt zurückgenommen klang, entwickelte im Konzert eine ganz andere Dynamik.

Tim Bernes Kompositionen erkennt man sofort. Seine Intervalle, die sich immer weiter spinnende Linienführung, der Aufbau seiner Stücke – das besitzt etwas Typisches und doch versteht der Tonsetzer uns immer wieder zu überraschen. Famos ist, wie Berne (Altsaxofon), Oscar Noriega (Klarinetten), Matt Mitchell (Piano) und Ches Smith (Schlagzeug, Vibrafon) das Komplexe aufbereiten. Scheinbar mühelos, ja hoch elegant bewegen sie sich innerhalb der notierten Strukturen und zeigen sich dabei so vital, dass man als Zuhörer vergisst, wie unwegsam die Musik eigentlich angelegt ist.

Bis zum 10. Februar folgt noch manches Highlight im Haus der Kunst. Die Ausstellung „ECM – Eine Kulturelle Archäologie“, die unbedingt besuchen sollte, wer sie noch nicht gesehen oder gehört hat, bietet im musikalischen Begleitprogramm das Stefano Battaglia Trio (1.2.), das Duo Charles Lloyd/ Jason Moran und Tomasz Stankos New York Quartet (9.2.).

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