Logo: Jammern ist out. Modisch nennen wir den Blick aufs Kultur-Umfeldbarometer jetzt Zwischenbilanz. Was wurde – sieht man vom Standard-Repertoire einmal ab – im April angezeigt? Bei e-bay steht ein achtjähriges Mädchen als „Funktionspuppe“ auf der Versteigerungsliste. Eine Zigarettenfirma fordert auf flotten Plakaten: „Mehr Handlung für Pornos“. Die Rechtschreib-Reform wird nach wie vor von Verona Feldbusch aktualisiert und – immer noch hip: „Geiz ist geil“. Eine schlüssige Erklärung für den Geburtenrückgang hierzulande.
Was hat das mit Kultur zu tun – werden jetzt einige weltfremde Winkelpuristen murren. Jede Menge. Wir Musen-Fröner haben uns längst eingereiht in die Riege der Marketing-Fetischisten, der Reiz-Plakat-Konstrukteure, der Zahlen-Zähler. Wer als Künstler keine Kulturmanagement-Ausbildung hinter sich hat, gilt praktisch schon als Sozialfall. Kultur-Dezernenten in spe studieren bevorzugt Betriebswirtschaftlehre mit Zusatzfach Tourismus. Der Theaterintendant muss Controller sein. Und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk schleimt eine Generation von quotengesteuerten Karriere-Opportunisten in die Direktoren-Sessel, deren kulturelles Sendungsbewusstsein sich direkt aus den Sondermüll-Deponien der Industrie zu speisen scheint.
Wenn der deutsche Aktienindex nervös schwankt, ist stündlich ein sensibler Kommentar vonnöten, am liebsten mit Adjektiven aus romantisch-lyrischem Milieu. Selbige sollten aus alter Gewohnheit auch Feuilletonisten verwenden, wenn sie als Dienstleister Events anzupreisen haben, deren grundlegender Zuschnitt schon in Caligulas Arenen hohe Akzeptanz fand. Bloß keine Kritik, kein langweiliges Hinterfragen. Das Schöne lauert überall.
Exakt: Wir sind auf dem Weg in die Barbarei. Leider durchaus selbstverschuldet. Wie haben wir uns darüber gefreut, ideologische Verhornungen vergangener Jahrzehnte losgeworden zu sein. Der Blick so frei, der Horizont so fern. Was waren wir stolz auf unsere modernen Multitasking-Fähigkeiten, auf unser vernetztes Denken, auf unsere wertfreie Liberalität. Da fügt man sich doch gern in den Werkzeugkasten quantitativer Steuerung. „Bildung und Kultur rechnen sich, finanzieren sich letztlich selbst“ – haben wir kühn behauptet – und geirrt. Die scheints starren Formeln hinter den Kalkulations-Sheets unserer zeitgenössischen Steuermänner reagieren nämlich eindimensional sehr flexibel und radikal, wenn die Kasse mal nicht stimmt Als Navigationsinstrumente einer Kultur mit menschlichen Zügen sind sie völlig ungeeignet. Die flackernde Hektik unseres gesellschaftsdominierenden Kapitalmarktes lässt keine Zwischentöne zu. Nicht konservieren, amputieren. Wer oder was nicht gleich mitkommt, geht drauf. Freilich gnädig narkotisiert durch schlau kalkulierte Dauerreiz-Salven einer Kulturindustrie, die sich rasches Invention-Engineering schon aus Selbsterhaltungsgründen zum einzigen Programm gemacht hat. Während Johannes Rau in vielen Predigten emphatisch die „Bildung des ganzen Menschen“ einforderte, wurden Schulen geschlossen, Lehrpläne konsequent von kulturellen Inhalten „entlastet“. The show must go on…