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Sächsische Staatskapelle spielte zu Silvester in der Dresdner Semperoper auf. Foto: Eric Lieberwirth
Sächsische Staatskapelle spielte zu Silvester in der Dresdner Semperoper auf. Foto: Eric Lieberwirth
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Typisch Operette? Silvesterkonzerte in Dresden und Berlin als kleines Politikum

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Wenn die Sächsische Staatskapelle zu Silvester in der Dresdner Semperoper aufspielt, spielt sie von nun an fürs Fernsehen. Das kann zwar lästig, muss aber kein Makel sein. Schlimm genug, dass der ZDF-Entscheid weg von den Berliner Philharmonikern hin zu Kapelle und Dresden für Ranküne, vorzeitigen Vertragsausstieg und juristisches Nachspiel gesorgt hatte. Denn die Mainzer Modemacher setzten ab sofort auf Christian Thielemann, Chefdirigent der Staatskapelle ab 2012. Das hatte den bisherigen GMD Fabio Luisi Anfang 2010 so auf die Palme gebracht, dass er sein Amt hinschmiss.

Ausgerechnet dieses Konzert soll Stein des Anstoßes gewesen sein? Von maeströser Verschnupfung über geldwertem Vorteilsverdacht bis hin zum Happy End war in dessen Entstehungsgeschichte eine ganze Menge Operettenstoff vorhanden. Im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen hätte daraus eine abgründige Soap geschmiert werden können. Zumal obendrein noch die Wetterredaktion ihre Hand mit im Spiel hatte. Denn die für Thielemanns ZDF-Gala auserkorene Renée Fleming als Hanna Glawari im Operettenquerschnitt nach Franz Lehárs „Lustiger Witwe“, sie saß nach Blizzard und einem Halbmeter Neuschnee in New York fest.

Dabei hätte sie schon am 30. Dezember gemeinsam mit Christopher Maltman als Graf Danilo ihr Dresden-Debüt geben sollen, gewissermaßen in einer öffentlichen Generalprobe, in der Kamerafahrten und Schnittmuster für die Live-Übertragung des eigentlichen Silvesterkonzerts gecheckt werden konnten. So etwas wie höhere Gewalt gibt es in fast jeder Operette, und überall gibt es auch eine überraschende Lösung. In diesem Fall sorgte Christian Thielemann persönlich für namhafte Vertretung: Anna Netrebko und Erwin Schrott kamen dank seiner Kontakte auf kurzem Wege aus Wien angeflogen und sangen im Vorkonzert immerhin ein paar Nummern, um sich dann rasch wieder gen Donau zum Neujahrskonzert aufzumachen.

Bemerkenswert die Flexibilität der Programmplaner: Zwar beglückten ARD und ZDF ihr Publikum nahezu zeitgleich mit Klassikkost, als wäre dies normalster Bestandteil des Sendealltags, doch zum Profilieren mit schicken Namen startete das Zweite plötzlich eher als gedacht und garnierte den letzten Abend des Jahres noch mit einer Hommage an den vorletzten. Immerhin gibt die Quote, wenngleich höchst fragwürdig erhoben, den Mainzelmännchen den Vortritt: 1,67 Millionen Menschen blickten auf Dresden und 1,19 Millionen auf Berlin, von wo die ARD Gustavo Dudamels Philharmoniker-Dirigat übertrug. Macht summa summarum 2,86 Millionen Bürger der Kulturnation aus! Immerhin.

Die Semperoper selbst war jedenfalls ausverkauft, was im regulären Spielbetrieb längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Und wer da den Machenschaften aus Pontevedro lauschte, hatte seine helle Freude an der Art des Musizierens.

Denn nach der beispielhaften 8. Bruckner-Sinfonie und anderen Dirigaten als Gast und/oder Einspringer hat Thielemann mit seinem ersten Silvesterkonzert in Dresden die ohnehin schon stattliche Zahl seiner „Antrittskonzerte“ als baldiger Chefdirigent nun um ein weiteres erhöht. Das Resultat ist nicht nur ein neuerlicher Meilenstein, sondern ein zusätzlicher Glanzpunkt.

Weder der Berliner Maestro noch die Kapelle und das ihnen gemeinsame Publikum ließen sich davon beirren, dass Fernsehansagen den Konzertablauf reglementierten. Dabei ist es doch noch gar nicht so lange her, dass TV-Anstalten glücklich darüber waren, reguläre Konzerte aufzeichnen und ausstrahlen zu dürfen. Längst hat sich da was ins Gegenteil verkehrt – die Konzerte sind das Vehikel zur Quote, der Rest ist Staffage und Kulisse.

Dieses heutzutage offenbar unvermeidliche Prozedere versetzt alle Mitwirkenden unmittelbar ins Operettengeschehen. Die Posse um den Bankrott des Zwergenstaates Pontevedro, den nur die Millionen der jungen, attraktiven Witwe Glawari abwenden können, zündet seit ihrer Uraufführung vor genau 105 Jahren. „Da geh' ich zu Maxim“, das Vilja-Lied, die „Zwei Königskinder“, das Grisetten-Chanson, das Duett „Lippen schweigen“ und die Binsenwahrheit „Das Studium der Weiber ist schwer“ stehen beispielhaft für die weltbekannten Hits. Bei Thielemann, der all seine Kapellmeister-Qualitäten auffuhr, klangen die schmissigen Parts teils zwar mehr nach Paul Lincke, was gewiss an der gemeinsamen Herkunft Berlin liegen mag, das Wienerische wurde aber nur selten vermisst. Denn erstens gewann er damit Orchester wie Hörerschaft und zweitens legte gerade diese zupackende Art viele Feinheiten der Partitur erst richtig frei. Kein Vergleich zur Dresdner Repertoire-„Witwe“ und zahllosen anderen Versionen, die allzuoft platt, banal und glattgebügelt daherkommen! Sondern ein kennerhaftes Sezieren, ein Tasten und Deuten, um all die Schönheiten und Raffinessen aus dem musikalischen Bergwerk Lehár zu schürfen, so mineralisch schön wie zauberhaft. Dieser Ernst im Geiste der Musik, die Konzentration in der Umsetzung, die Spielfreude und manch ein in der Schwebe gehaltenes Wagnis fügten sich zu einer Perlenkette klingender Pretiosen. Beim dramaturgisch durchaus passend eingeschobenen Walzer „Gold und Silber“ geriet der Taktstock zum Skalpell, um den ganzen Kosmos dieser genialen Komposition zu zelebrieren. Anteil daran hatte ebenso der fabelhaft präparierte Chor wie die Damen und Herren des Ensembles; vor allem aber dem Gast-Paar Fleming und Maltman flogen die Herzen des Silvesterpublikums zu. Zwar blieb die Textverständlichkeit hie und da auf der Strecke – die „Witwe“ ist nun mal kein Konzert-, sondern ein Bühnenstück – und wurden die geplanten Zugaben ein wenig zu hastig aufgereiht, ganz offensichtlich, um Sendezeit zu schinden – doch das soll geschenkt sein. Denn kaum war Pontevedro gerettet, wurden auch schon Bernsteins „I Feel Pretty“ und Lehárs „Dein ist mein ganzes Herz“ aufgetischt. Erst ganz zum Schluss perlte mit dem letzten Walzer von Johann Strauß dann aber doch noch Dreivierteltakt-seliges Donauwasser durch die Reihen. Die kaum bekannte Komposition „An der Elbe“ erwies sich als launige Reverenz an den Austragungsort und spannte einen launigen Bogen von Silvester- zu Neujahrskonzert.

Ob Dresden damit eine ähnliche Marke wie Wien zu setzen vermag? Mit gewaltigen Nachahmer-Qualitäten sollen bereits am 7. Januar CD und DVD des Sächsischen Silvesterkonzertes bei der Deutschen Grammophon vorliegen. Die Kontrakte mit Thielemann wurden auf vorerst drei Jahre geschmiedet.

 

z. Zt. ist das Syvesterkonzert in der ZDF Mediathek zu sehen

 

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