„It's the most beautiful place we have played“ frohlockte die Sängerin Emily Kokal von der kalifornischen Post-New Wave-Band „Warpaint“. Gedankt wurde mit Spielfreude, die beim Haldern Pop-Festival immer wieder alle Berge versetzen kann. Denn die Musiker und Bands spüren hier eine teilnehmende Zuhörerschaft, repräsentiert doch das vergleichsweise kleine Festival am Niederrhein einen gewachsenen Kosmos, in dem sich so beispielhaft das Gepräge einer Landschaft mit aktuellster Popkultur verwoben findet. Und dies einzig und allein, weil sich im rechten Moment viele Menschen von einer Idee anstecken ließen und an der Sache drangeblieben sind.
Bei der aktuellen Ausgabe dieses eigenständig getragenen Festivals gab es eine fast schon symbolträchtige Rückbesinnung auf die Gründertage. Damals, 1981, hatte der Pfarrer die Messdiener motiviert, etwas in Sachen Jugendkultur anzustellen – beim aktuellen, längst zum internationalen Schauplatz gewordenen Festival war die Dorfkirche nun wieder geöffnet, damit eine junge Schaar Musikverrückter dem norwegischen Künstler Moddi und anderen Lektionen in Sachen musikalischer Empfindsamkeit lauschen konnten. Nur eine von vielen Bands, die mit ihren sensiblen Arrangements die Fühler stark in Richtung Kammermusik ausstrecken. Auch die wunderbar zarten Songs der dänischen Sängerin Agnes Obel, die zum Festival-Abschluss im Zelt mit einem Cello-Piano-Duo auftraten, hätten sicherlich die Kirche als Auftrittsort mit ihrer Akustik verdient…
So viel kann hier gehen an diesem Ort, der die alljährliche Anreise mit reichen, lange übers Jahr währenden Eindrücken und der Entdeckerfreude über frische Trends immer wieder reich belohnt. Und Haldern war auch mal wieder für Überwältigungen gut: Alles steht in Flammen, wenn die Italo-Britin Anna Calvi auf ihrer zerkratzten Gitarre hemmungslose Crescendi aufgellen lässt – und die gebündelten Sehnsüchte der Nacht in Sound kleidet! Mit Highheels und Designerklamotten macht sie auf Stilikone, scheint aber musikalisch die Linie emanzipatorischer Rock-Frauen von Patti Smith bis PJ Harvey fortzusetzen, um mal eben die Referenzpunkte (oder sind dies Totschlag-Assoziationen?) heranzuziehen. Sie kann singen, die 28-jährige, so viel ist klar – und zwar so, als wenn es ums wirklich letzte ginge, um vom schmalen Grat zwischen brennender Liebe und Düsternis nicht eben abzustürzen. Alles kulminiert in einer, mit lodernden Flamenco-Stilistiken aufgeladenen Coverversion des Edith Piaf Songs „Jezebel“. Das Publikum ist für wenige Minuten erstarrt, paralysiert.
Kühler Minimalismus mit hohem Kunstfaktor war hier bislang eher eine Randerscheinung. Die mechanischen Drumpatterns eines Jaki Liebezeit von Can standen Pate bei den repetitiven Grooves der Band „Suuns“, deren stahlharte Fusion aus Rock-Energie und Rave-Extase das Spiegelzelt in einen Hexenkessel verwandelt. Zu so etwas liefert das „Brand Bauer Frick Ensemble“ die völlige Antithese. Nach kraftwerkschem Prinzip agieren sie geschniegelt auf der Bühne und machen im Tentett einer Orchesterbesetzung. Alles funktioniert auf der Basis repetitiver Figuren. Klavierpatterns, perkussive Versatzstücke auf Vibrafonen und Schlagzeug – das mutet an wie Soundsamples, die über „natürliche“ Instrumente ihre Inkarnation erfahren. Der Techno DJ Jeff Mills arrangierte seine Tracks mit einem französischen Sinfonieorchester – dieses deutsche Ensemble geht noch einen Schritt weiter, wenn es die Entwicklungslinien „Minimal-Musik“ und „DJ-Kultur“ als Spielfeld für äußerst tanzbare Grenzüberschreitungen sieht.