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Unterhaltung um jeden Preis: Mozarts „Zauberflöte“ als Kindertheater für Erwachsene bei den Berliner Seefestspielen

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Katharina Thalbach rief, und rund 4000 Besucher kamen zur Eröffnung der ersten Berliner Seefestspiele am Wannsee, die im Vorfeld für viel unkünstlerischen PR-Wirbel gesorgt hatten, denn die in Konkurrenz zu Bregenz geplante Produktion bekam diverse Auflagen, die das Unternehmen ganz in Frage stellten.

Zunächst musste die von Ex-Intendant Christoph Dammann gemeinsam mit Norbert Eiderding als GmbH geleitete Unternehmung von Potsdam nach Berlin transferiert werden, wo das Bühnenbild eigentlich vom Wasser des Wannsees umflossen sein sollte, dann aber ans Ufer des Strandbades auszuweichen und auch noch eintausend Sitzplätze einzusparen hatte.

Nun steht die 18 Meter hohe Pyramide mit dem zentralen Einguckloch und diversen vorgelagerten Podesten als Einheitsspielort auf dem Rasen und im Sand. Aber auf die Wassermetaphorik wollte Regisseurin Katharina Thalbach nicht verzichten, und so gibt es ein Wasserballett elf schwimmbereifter Mädchen im Trockenen, und Papageno hat ein Schlauchboot umgeschnallt. Dennoch ist der Blick auf den See und auf die in Tegel startenden und landenden Flugzeuge imposant, da glücklicherweise auch das Wetter mitspielt.

Regisseurin Katharina Thalbach als Magnet der Aufführung bindet Schauspielboulevard- und Fernsehpublikum an sich, aber auch Freunde freier Opernproduktionen („Don Giovanni“ als Cross-Over, 1997 im E-Werk) und Besucher der Deutschen Oper Berlin (ihre kindgemäß naive Inszenierung „Das schlaue Füchslein“ und „Der Barbier von Sevilla“).

Auch mit Mozarts Spätwerk will sie, unter Vermeidung jeglichen philosophischen Tiefgangs, Unterhaltung um jeden Preis – und auch noch möglichst preisgünstig jeden ihrer Fankreise befriedigen. Also gibt es auch hier (wenn Monostatos’ Diener den Baudoir-Wagen Paminas aufstellen) Rockmusik und im zweiten Teil, zu einer Bedrohung Papagenos durch zwei possierliche Drachen, eingeschobenen Filmsound.

Als luftiger Akt erfolgt der erste Auftritt der Königin der Nacht – in der Tradition des griechischen antiken Theaters an einer Mekanae – in 30 Meter Höhe, aber auch gegen den Sonnenuntergang ist ersichtlich, dass es sich dabei um ein Double der Sängerin handelt.

Die Partie des Papageno übernimmt – analog dem Dichter und Theaterdirektor Schikaneder in der Uraufführung – ein namhafter Schauspieler (Guntbert Warns), der abgesehen vom Gesangsdefizit mit Extempores über das Nicht-Wasser und Zoten (wiederholt dick aufgetragenem „Vögeln“) konzeptionell zur Hauptpartie der Oper wächst.

Die fast schon kabarettistische Diktatoren-Diktion von Sarastro kontrastiert der lyrische Bass von Andreas Hörl, der auch über Tiefe verfügt. Die erforderlichen Spitzentöne bei der Königin der Nacht kommen hingegen eher zufällig und auch dazwischen rutscht bei Chelsey Schill so mancher Ton aus (wofür sie am Ende, als einzige Beteiligte, auch Buhrufe hinnehmen musste). Sehr beachtlich zeichnet hingegen Sophie Klußmann die Pamina mit jugendlich-dramatischem Kern als ein heutiges Mädchen, deren Rufe „Mama – Mama!“ um so mehr zu Herz gehen sollen.

Aufgewertet ist die Rolle der Papagena (Franziska Krötenheerdt), die vor dem alten Weib auch schon einen der Papageno bewachenden Priester verkörpert. Die Besetzung des Tamino mit dem kraftvoll intonierenden Südafrikaner Musa Nikuna als einem extrem dunkelhäutigen Darsteller müsste in der Dichtung, die stark mit den Werten Schwarz und Weiß, auch in der Hautfarbe, operiert, Konsequenzen nach sich ziehen. Aber darauf verzichtet die „Textbearbeitung“ der Regisseurin, denn schließlich gibt es auch noch eine weiße Zweitbesetzung. Dafür gibt der spanische Tenor Marcos Alves dos Santos den Mohren Monostatos als einen türkischen Macho, der Taminos Bildnis-Arie auf der Trompete nachspielt.

Zu den sängerischen Glanzpunkten zählt der Bariton Michael Vier, der den Sprecher als zwergwüchsigen Priester (mit an die Knie geschnallten Schuhen) verkörpert. Durchaus ein Gewinn ist es, die drei Knaben wieder einmal von drei Frauenstimmen, schlank gesungen, zu erleben (Paula Rummel, Julia Ebert und Therese Fauser im Matrosenanzug). Und ein echter Pluspunkt sind die sehr homogen und doch individualisiert besetzten, intensiv spielenden und Mozarts Musik auch tanzenden drei Damen: Mirka Wagner, Christiane Hiemsch und Viola Zimmermann treten zunächst als Franziskanerinnen auf, die sich ihr Habit dann abreißen und sich die Brüste massieren. Auch sonst gehen sich die Darsteller in Thalbachs buntem Volkstheater allein und gegenseitig gerne an die Genitalien.

Bühnenbildner Momme Röhrbeins Dekoration vergrößert ein Papiertheater aus dem 19. Jahrhundert zu Open-Air-Ausmaßen. Dass darin, mit flachen Hinweisschildern und flach gemalten Tieren ebenso hantiert wird, wie mit circensisch kostümierten Tierfiguren (Kostüme: Angelika Rieck), intensiviert die Diskrepanz. Für die Geharnischten (Hyo Jong Kim und Nuno Dias) hat sich die Produktion bei Dieter Hallervordens Schlosspark-Theater einen überdimensionalen, begehbaren Steinfuß ausgeliehen, dessen Sinn aber so dunkel bleibt, wie bei der Feuer- und Wasserprobe Tamino und Pamina, deren Doubles über eine eingedampfte Brücke schreiten.

Eingeschoben wird eine ausgiebige Pause, um die in Zelten neben der gewaltigen Tribüne angesiedelte Gastronomie ebenso zu ihrem Recht kommen zu lassen wie den Merchandising-Stand der Seefestspiele, wo bereits die CD dieser Produktion verkauft wird. Aber wer will diese Aufführung ohne ihren Spektakelwert noch einmal puristisch hören? Aber auch der Wert des Berliner Spektakels hält sich – gemessen an den österreichischen Seefestspiel-Vorbildern – in Grenzen, und die Qualität der Tonübertragung liegt weit darunter.

Während zum Einlass Harmoniemusiken aus „Don Giovanni“ erklangen, gerieten die Klänge der Ouvertüre zur „Zauberflöte“ arg grobschlächtig. Doch das Holzschnittartige erweist sich als Konzept von Judith Kubitz. Das Pendant zur zweidimensionalen Optik führt auch dazu, dass trotz großer Entfernungen die in einem Igluzelt zur Rechten der Bühne sitzende Kammerakademie Potsdam, der von Udo Joffe einstudierte Neue Kammerchor Potsdam und die Solisten stets mit dem deutlichen Schlag der jungen sorbischen Dirigentin zusammen sind.

Zum Finale gibt es dann noch ein Sprühfeuerwerk von den zuvor bekraxelten Pyramidenkanten. Die Applausordnung beweist, dass der Star dieser Inszenierung der als einzige Hauptpartie nicht doppelt besetzte, in Vorahnung seines Erfolges tuntig breit nölende Papageno-Darsteller ist. Der Beifall des Publikums auf den nicht vollständig besetzten Stühlen zur ebenen Erde dauert noch an, während die Tribünenbesucher um 23.15 Uhr bereits den Fußmarsch zur mehr als ein Kilometer entfernten S-Bahn angetreten haben.

Weitere Vorstellungen: 12., 13., 14., 18., 19., 20., 21. 24., 25., 27. und 28. August 2011.

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