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Das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar gastierte bei Young Euro Classic. Foto: Guido Werner
Das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar gastierte bei Young Euro Classic. Foto: Guido Werner
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Verschiedene Ströme fließen zusammen: Zum Auftritt des Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar bei Young Euro Classic in Berlin

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Als im Jahr 2000 das Festival Young Euro Classic in Berlin gestartet wurde, konzentrierte man sich noch auf Jugendorchester aus der Europäischen Union. Eine Ausnahme allerdings gab es: Israel. Die Einbeziehung israelischer Musiker war den Veranstaltern von Beginn an ein Anliegen und eine politische Verpflichtung.

Obwohl der Aktionsrahmen des Festivals sich inzwischen auf Jugendorchester aus aller Welt ausgeweitet hat, blieb der Bezug auf Israel von besonderem Interesse. Nachdem es 2008 und 2010 musikalische Begegnungen von jungen Musikern des Julius-Stern-Instituts der Universität der Künste Berlin und des Jerusalem Music Centre gegeben hatte, war in diesem Jahr das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar im Berliner Konzerthaus zu Gast.

Dieses 2011 gegründete Orchester besteht aus Studierenden der Jerusalem Academy of Music and Dance sowie der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, die sich jeweils für zwei Jahre zu einem Klangkörper vereinen. In diesem Jahr meldeten sich 36 Absolventen aus Israel und 41 aus Deutschland zur freiwilligen Teilnahme. Sie hatten sich jeweils schon zuhause auf die Konzerte  vorbereitet, trafen aber erst am 20. Juli aufeinander. Nach einer einwöchigen Probenphase besuchten sie am 27. Juli gemeinsam das Gelände des KZ Buchenwald, um noch am selben Abend in der Weimarhalle das Benefizkonzert des Bundespräsidenten zu gestalten. Nach einem Konzert im Kloster Chorin folgte am 30. Juli das Berliner Gastspiel bei Young Euro Classic.

In einer Einführungsveranstaltung erwähnte Christoph Stölzl, der Präsident der Weimarer Hochschule, die besondere Verpflichtung, die dieser thüringischen Stadt aus dem irritierenden Nebeneinander von Goethe und Buchenwald  erwachse.  An diesem Ort des Geistes und des Ungeistes habe die Weimarer Hochschule deshalb auch einen Lehrstuhl für jüdische Musik eingerichtet. Das Orchesterprojekt werde wesentlich von der deutschen Seite finanziert, nicht nur aus Mitteln des Freistaats Thüringen, sondern auch durch private Sponsoren. André Schmitz, Berlins Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten, stellte in seinem Grußwort das Gastspiel des Orchesters in den Rahmen der mehr als 700 Veranstaltungen, mit denen Berlin im Themenjahr 2013 an die „zerstörte Vielfalt“ erinnert. Gemeint ist damit die Zerstörung jenes kulturellen Reichtums, welche sich der deutsch-jüdischen Begegnung verdankte.

Von solchen Begegnungen handelte auch das Konzertprogramm, das der Dirigent Michael Sanderling ausgewählt hatte. Es begann mit der Passacaglia op. 4 des Schreker-Schülers Berthold Goldschmidt, der 1925 für dieses Werk mit dem Mendelssohn-Preis ausgezeichnet wurde, bevor er 1933 als „Nichtarier“ seine Stellung an der Städtischen Oper Berlin verlor. Diese aus einer einstimmigen Basslinie rasch ins Massive sich steigernde Komposition dirigierte Michael Sanderling als einen einzigen großen, drängenden Entwicklungszug. Schon hier konnte man feststellen, dass die aus so unterschiedlichen Traditionen stammenden Musiker schon nach kurzer Zeit zu einem homogen wirkenden Ensemble zusammengewachsen waren.

Mendelssohns Violinkonzert verkörperte in diesem Zusammenhang die glücklichste Phase der Einbindung von Juden in die deutsche Musiktradition. Mit strahlendem Ton und blitzsauberer Intonation spielte die Koreanerin Sunny Tae, eine Absolventin der Weimarer Hochschule, den Solopart, im lebhaften Finale von Flöte und Klarinette brillant begleitet. Gustav Mahler hatte dagegen in seinen Liedern aus „Des Knaben Wunderhorn“ das romantische Bild von der heilen Welt schon in Frage gestellt. Der am Erfurter Theater engagierte Bariton Florian Götz sang „Trost im Unglück“, „Rheinlegendchen“, „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ und „Revelge“ mit leichter, beweglicher Stimme, allerdings nicht immer textverständlich.

Den musikalischen Höhepunkt des Abends bildete dann die selten zu hörende Symphonie Nr. 6 h-moll von Dmitri Schostakowitsch. Der auswendig dirigierende Michael Sanderling konnte hier die authentische Aufführungstradition seines Vaters Kurt Sanderling auf die jungen Musiker übertragen. Im riesigen langsamen Kopfsatz verspürte man die Verunsicherung, zu der im Entstehungsjahr 1939 der Stalin-Hitler-Pakt und der Kriegsbeginn geführt hatten. Diese Musik spricht mit  einsamen Flötensoli über tremolierenden Orgelpunkten von Ratlosigkeit. Die beiden kurzen schnellen Sätze, die noch folgten, jagten im rasenden Dur dahin, versagten aber die hier angebotene Scheinlösung. Angesichts der straffen Rhythmik und dem präzisen Zusammenspiel konnte man ahnen, wie intensiv hier geprobt worden war, bis eine gemeinsame Spielkultur gefunden wurde.

Michael Sanderling war für eine solche Aufgabe der ideale Dirigent, kennt er doch nicht nur die russische Schule, die heute in Israel dominiert, sondern auch die historisch informierte Aufführungspraxis, wie sie in Deutschland gelehrt wird. Er ist dabei nicht nur gestrenger Chef, sondern als Cellist auch Kollege, der zudem in seiner jugendlichen Erscheinung fast wie einer der jungen Musiker wirkte. Nach tobendem Beifall mit Standing Ovations bedankte er sich beim Publikum mit Edward Elgars berühmter Nimrod-Variation, die er als „Symbol der Freundschaft, ja Liebe“ ankündigte.

Die nächste Station des Orchesters wird Bayreuth sein, ein im deutsch-israelischen Verhältnis immer noch neuralgischer Ort, waren doch Wagner-Aufführungen in Israel lange tabu. Im Juli 2011 hatte erstmals ein israelisches Orchester in Bayreuth gastiert und dort sogar eine Wagner-Ouvertüre gespielt. Obwohl das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar keine Komposition Richard Wagners auf dem Programm hat, nannte der in Jerusalem  unterrichtende Prof. Michael Wolpe, einer der Koordinatoren des diesjährigen Projekts, das Bayreuth-Gastspiel „ein historisches Ereignis mit großer Bedeutung für die israelisch-deutschen Beziehungen“. Es folgen danach noch Auftritte in Dresden und schließlich im Oktober in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem. Wolpe verglich diese Stadt mit Weimar: „Weimar bedeutet für Deutschland so viel wie Jerusalem für Israel. Ein Ort, wo ganz verschiedene Ströme zusammenfließen.“

Bei den diversen Ansprachen vor und nach dem Berliner Konzert blieb allerdings unerwähnt, dass an eben jenem Tag nach langer Pause endlich wieder Friedensgespräche zwischen Israel und Palästina begonnen hatten. Daniel Barenboim versucht in seinem Divan-Orchester, das 1999 in Weimar seinen Anfang nahm, diesen ebenso heiklen wie wichtigen Friedensprozess  auf musikalische Weise zu unterstützen. Das Festival Young Euro Classic stellt dagegen Israel und Palästina nicht miteinander, sondern nacheinander vor: eine Woche nach dem Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar ist dort am 3. August das Arab Youth Philharmonic Orchestra zu Gast, zu dem neben Musikern aus Ägypten, Algerien, Bahrain, Syrien und Tunesien auch solche aus den palästinensischen Gebieten gehören.

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