Hauptbild
Mozarts „La Finta Giardiniera“ in Aix. Foto: Festival Lyrique
Mozarts „La Finta Giardiniera“ in Aix. Foto: Festival Lyrique
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Vielseitig und reichhaltig – eine Bilanz zum Festival lyrique d’Aix-en-Provence 2012

Publikationsdatum
Body

Mit der als Sensation gefeierten Uraufführung von George Benjamins „Written on Skin“ hat sich das Festival in Aix einen zeitgenössischen Schwerpunkt zugelegt (siehe nmz online vom 9.7.2012). Das Kontemporäre erhielt durch das Projekt „Une situation Huey P. Newton J.M. Bruyère“ an einem der „sozialen Brennpunkte“ ein paar Kilometer außerhalb des Stadtkerns einen weiteren Akzent: Da wurde von einer inhomogenen Künstlergruppe in einer Salle polyvalente und dem über eine Fußgängerbrücke erreichbaren Bürgerpark auf Probleme der heutigen Welt im Allgemeinen und das inzwischen auch schon wieder historische Anliegen der „Black Panther“ Bewegung lautstark und optisch grell aufmerksam gemacht.

Das Gros der klassischen Festivalbesucher tut sich den Abstecher zu einer solchen politisch-ästhetischen (Um-)Erziehungsarbeit freilich nicht an und nickt kenntnisreich mit dem Kopf: Auch die speziellen Fördertöpfe für dergleichen Quoten- und Wiedergutmachungskunstprojekte wollen aus- und eingeschöpft sein.

Das Festival international d'Art Lyrique d'Aix-en-Provence ist nach wie vor „das Schaufenster“ (und zugleich die Sommerfrische) des französischen Musiktheaterbetriebs. Mozarts Musik ist seit der Gründung des Festivals vor gut sechs Jahrzehnten eine der „Säulen“ – so etwas wie eine Konstante im Repertoire. Nachdem in den letzten Jahren (u.a. mit dem postsowjetischen Regisseur Dmitri Tcherniakov) auch hinsichtlich neuerer da Ponte- und Mozart-Interpretation „experimentiert“ wurde, erfolgt in diesem Jahr nun wieder eine spezifisch „französische Lösung“: Jérémie Rhorer dirigiert zum Auftakt „Le nozze di Figaro“

Französische Opernkomik in deutschem Regietheater

Der Komödiant und Schauspiel-Regisseur Richard Brunel ließ sich von Chantal Thomas und Axel Aust ein feines und hypermodernes Büro nebst einer edelsanierten Altbau-Luxuswohnung auf die breite Bühne im Hof der Archevêché bauen und kostümieren – vom Empfangs-Desk der Anwaltskanzlei bis zur Ankleide der ambivalenten Gräfin Almaviva (Malin Byström) ist alles schnieke. Vor dem zentralen Büro-Drucker vermisst Figaro (der sympathisch-kompetente Bassbariton Kyle Ketelsen) mit „cinque – dieci – venti“ eine Klappliege, die er mit seiner Braut Susanna auch gleich testet.

Die zierliche und zurückhaltend agil singende Patricia Petitbon gibt die glaubhafteste Intrigantin ab im Geflecht der Herzensneigungen und sich überkreuzenden sexuellen Begierden. Von Anfang an dabei in diesem Spiel des Lebens – als Angestellte des zum Advokaten aktualisierten Conte Almaviva – sind Anna Maria Panzarella als heiratslüsterne alte Marcellina und Mari Eriksmoen als extrem junge Empfangsdame Barbarina (mit der der Chef auch ‘was hat). Das Solisten-Team ist so prominent wie unter schauspielersängerischen Aspekten treffsicher besetzt. Aus dem Graben sekundiert „Le Cercle de l’Harmonie“, ein von Jérémie Rhorer gegründetes Spezial-Ensemble. Unter den Händen dieses noch recht jungen Dirigenten nimmt der „Harmoniekreis“ manche Tempi allzu rasch (wogegen Mozart bereits intervenierte). Bei der Realisation auf einem großen Platz im Freien können plausible Einwände gegen diese Art des historisch nur bedingt informierten Musizierens erhoben werden (die akustischen Proportionen sind aus dem Lot). Gewiss lassen sich entsprechende Bedenken auch gegen das Modell der Übertragung des Baumarchais-Plots erheben, das sich vordergründig am „deutschen Regietheater“ orientierte, um dann doch die bewährten Muster klassizistischer französischer Opernkomik durchzuziehen. Durchaus apart erschien schließlich die Illumination der Garten-Szene: Da spielen die Schatten des im Hof der Archevêché stehenden Ahorn-Baums auf den Wandflächen und Fensterfronten, zu denen sich die Büro- und Wohnlandschaft der Almavivas umgruppierte.

Mehr als der Gegenwart oder gar der Zukunft zugewandt ist das Festival in Aix den verschiedenen Schichten der musiktheatralen Vergangenheit. So wurde heuer auch an die zwischen 1916 und 1925 entstandene Fantaisie lyrique „L’Enfant et les sortilèges“ von Maurice Ravels wurde erinnert. Ein junges Team präsentierte im Théâtre du Jeu de Paume die pädagogisch gemünzte Kammeroper vom Kind und dem Zauberspuk, in der ein pubertierender Knabe während eines von der Mutter wegen Aufsässigkeit verhängten Stubenarrests das Mobiliar zertrümmert und die Haustiere quält  – dieser normannisch-französische Friederich ist ein arger Wüterich. Doch die Objekte seines Destruktionstriebs machen ihm Vorhaltungen und das Tierreich im nächtlichen Garten bekehrt ihn zur Sanftmut – Damien Caille-Perret hat ein wundersam altmodisches Zimmer für diese Geschichte geschaffen und Anne Autran adrette Kostüme.

Klerikal-bürokratische Tragédie und frische Gärtnerin

Aus den ältesten Schichten des französischen Musiktheaters stammt „David et Jonathas“ von von Marc-Antoine Charpentier. William Christie versuchte mit der gleichfalls stark gealterten Spezialtruppe „Les Arts Florissants“ diese klerikal-bürokratische Tragédie en musique von 1688 und vom Hof des Sonnenkönigs Louis XIV im Hof der Archevêché zu revitalisieren. Andreas Homoki beorderte dazu die dem Alten Testament entstammenden Figuren Saul, David und Jonathan in einen mit nordischem Lärchenholz getäfelten Einheitsraum und in optisch erregendes Ikea-Mobiliar. Der Einstand des neuen Züricher Operndirektors auf dem großen internationalen Opernparkett erwies sich als spärlich und dröge. Er hat also dort Zukunft, wo Oper aus neokonservativer Ranküne gesellschaftlich ruhig gestellt werden soll.

Zu guter Letzt ging es wieder hinaus aufs Land – zu einer falschen Gärtnerin in echter Natur. Im Sonnenuntergang auf der Domäne Grand Saint Jean vor den Toren der Stadt unterstrich die wiederum fast gänzlich von jungen Künstlern bestrittene Präsentation von Mozarts früher Oper „La finta giardiniera“, dass das mehr als sechs Jahrzehnte alte Festival auch auf dem Hauptfeld seiner Aktivitäten frisch und munter geblieben ist. „Le Cercle de l’Harmonie“ konkurrierte mit den Zikaden, Layla Claire in der Titelpartie mit Sabine Devieilhe als quirliger Serpetta. Sie arrondierten einen der guten Jahrgänge des Festival lyrique – ja: 2012 erwies sich als einer der vielseitigsten und reichhaltigsten, die der Rezensent in den zurückliegenden 25 Jahren mitbekommen hat.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!