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Das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar unter David Afkham beim Kunstfest Weimar. Foto: Maik Schuck
Das Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar unter David Afkham beim Kunstfest Weimar. Foto: Maik Schuck
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Visionen in Weimar: Das Musikfest pèlerinages mit Liszt-Schwerpunkt und dem Konzert „Gedächtnis Buchenwald“

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Dieses Jahr feiert das Kunstfest Weimar schwerpunktmäßig den 200. Geburtstag von Franz Liszt, der ja neben Sebastian Bach musikalischer „Säulenheiliger“ im Herzen Thüringens ist. Mit Klavierwerken von Liszt sekundierte Gábor Farkas einem Festvortrag der Festival-Leiterin Nike Wagner, die ihren Ururgroßvater als Visionär feierte und einen großen Horizont der heutigen technisch-naturwissenschaftlichen „Zukunftsmusik“ absteckte – von den als besonders umweltverträglich gepriesenen Technologien bis zu denen der Neurophysiologie und der Implantationsmedizin. Der schmissig-virtuose ungarische Geiger Roby Lakatos präsentierte ein maßgeblich von Liszt geprägtes Cross-Over und der kanadische Pianist Louis Lortie neben anderen Klavierwerken Liszts eine Gesamtaufführung der „Années de pèlerinage“, des großen Klavier-Zyklus der 1830er Jahre.

Das erste, was sich in Weimar bezüglich der Ehrung des dort nicht glücklich gewordenen Liszt in dessen Jubiläumsjahr 2011 tat, war die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Hochschule Franz Liszt an den derzeit bevorzugt in Dresden tätigen Dirigenten Christian Thielemann. Es handelt sich um jenen Kapellmeister, der seit Jahrzehnten immer wieder mit rechtsextremen Äußerungen kokettiert und wenigstens den „deutschen Ton“ der Orchester auf seine feldherrliche Weise zu pflegen trachtet. Wogegen der 1886 verstorbene Pianist, Dirigent, Komponist, Essayist und große Europäer Liszt sich nicht mehr wehren kann.

Dann aber wurde entgegengesteuert: Zu Beginn der bis zum 11. September sich erstreckenden Veranstaltungsreihe „pèlerinages“ erinnerte das offizielle Weimar wiederum daran, dass die Stadt nicht nur die der Dichter und Denker ist. Das „Gedächtsnis Buchenwald“ begann mit einer Bekundung der „Hoffnung auf das Hervorkommen neuer Kräfte“ und einem Bekenntnis zu Europa – einem demokratischen, nicht von den Banken und deren Krisen dominierten Europa. Der 93jährige Stéphane Hessel, französischer Résistance-Kämpfer und Überlebender des im Buchenwald auf dem Ettersberg angesiedelten Konzentrationslagers, erinnerte daran, dass er und seine Leidensgenossen es waren, die 1945 den Kern eines neuen, international denkenden und solidarisch handelnden Europa bildeten. Mit ironischer Eleganz rügte Hessel in engagierter freier Rede die Entschlussschwäche der Regierungen in den großen Ländern Europas. An die Jugend appellierte er, die Belange des in Mißkredit geratenen Kontinents stärker in die eigenen Hände zu nehmen, sich zu engagieren und zu empören.

Womöglich noch leicht angegriffen vom altersweisen Charme und der appellativen Wucht Hessels stiegen die mitnichten zur Empörung neigenden Musiker des Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar aufs Podium der Weimarhalle und absolvierten die mit Blech-Effekten prunkende Instrumentalisierung eines Klavierstücks, das der in Theresienstadt internierte Schönberg-Schüler Viktor Ullmann 1944 kurz vor seiner Ermordung schrieb: „Variationen und Fuge über ein hebräisches Volkslied“. Ein Orchester kann mit einem solchen Arrangement nach dem Muster Leopold Stokowskis seine Leistungsfähigkeit nicht wirklich beweisen.

Das gelang in Weimar weit eher mit der „Tragischen Ouverture“ von Johannes Brahms, bei deren Genese der Komponist sich wohl subkutan mit der „Faust“-Problematik auseinandersetzte. Und die ist ja für Weimar wie für Buchenwald konstitutiv. Der noch junge Dirigent David Afkham hat in kurzer Zeit erstaunliche Arbeit geleistet und das israelisch-thüringische Studentenorchester in hohem Maß professionalisiert. Mit dem Solisten Drago Michail Mânza musizierte es auch das „Concerto funèbre“, das Karl Amadeus Hartmann 1939 schrieb: Mânza setzte die Solopartie des „traurigen Konzerts“ sauber und schnörkellos auf den neusachlichen Streichersatz, der fürwahr als einer der „Botenstoffe für die Zukunft“ begriffen werden kann. Von diesem nach der Selbstauskunft Hartmanns in der „Aussichtslosigkeit für das Geistige“ geschriebenen Werk behauptete der „Hausautor“ des Festivals, es „richtet sich an die Opfer des Nationalsozialismus“. Mit dieser vielleicht gut gemeinten, aber wissenschaftlich unhaltbaren Vereinnahmung wird dem Komponisten wie der aufrechten Haltung anderer im national-sozialistischen Deutschland überwinternder Künstler ein Bärendienst erwiesen. Warum sollte ein Künstler, auf dessen Lebenssituation der Begriff der „inneren Emigration“ ausnahmsweise zutrifft, nicht einfach nur auf anständige Weise traurig gewesen sein, als er dies kompakte Violinkonzert schrieb?

Nach dem Buchenwald-Konzert, das Nike Wagner als den „schwarzen Engel vor der Torte der Kunst“ ankündigte (vielleicht auch „vor der Pforte der Kunst“), öffnete sich dem Musikantischen die Türen: im Wechselspiel zwischen dem Pianisten Louis Lortie und dem Ensemble von Roby Lakatos wurde die Erbschaft Liszts für unsere Zeit erkundet. Dabei mühte sich Lortie zusammen mit dem kurzfristig eingesprungenen Francesco Piemontesi um die Highlights unter den „Ungarischen Tänzen“ von Johannes Brahms, dann um die Vitalisierung der Sprödigkeit Béla Bartóks.

Im Gegenzug erwies sich der fulminante Kronprinz der „Zigeunergeiger“ (so sein offiziöser Ehrentitel) als Interpret im emphatischen Sinn: Lakatos demonstrierte in halbseidenen Hosen und scheinbarer Lässigkeit, was sich heute noch mit dem „Kunstungarischen“ anfangen lässt, das Liszt in der Nachfolge Haydns in die Welt setzte. Er liefert Cross-Over der S-Klasse. Dem Cymbalisten seines „Orchesters“, Jeno Lisztes, gebührt für das atemberaubende Klöppeln ebenso ein Riesenkompliment wie dem hochartistischen Klavierspieler Frantisek Jánoška, der mit dem Primarius zusammen eine unlängst (anläßlich seiner Hochzeit) entstandene Fantasie über den Rákóczi-Marsch zum Besten gab (folgerichtig fand sich das markante Signet aus Mendelssohns unverwüstlichem op. 61 Nr. 9 elegant als Seitenthema in die Liszt-Adaption eingeflochten).

Begleitend zu den klingenden Vergegenwärtigungen von Franz Liszt (ab 1859: Franz von Liszt) wurde im Schillerhaus eine sehenswerte Ausstellung arrangiert, die den Lebensweg des großen Virtuosen und Komponisten medial apart illustriert und den scheiternden „Piloten“ der Weimarer Hofoper gebührend feiert. Die Ausstellung würdigt nicht zuletzt die „Entdeckung der ungarischen Identität“ und macht die Erhebung Liszts zur Pop-Ikone augenfällig – sie rankt sich um eine illuminierte Reproduktion des 1840 enstandenen Ölgemäldes „Liszt am Flügel“ von Josef Danhauser, das den verklärt emporblickenden Virtuosen zwischen Victor Hugo, Dumas d.Ä., Rossini, Marie d’Agoult (zu seinen Füßen) und anderen Pariser Koryphäen idealisierte. Als besonderes Schmuckstück erweist sich ein mit wertvollen Steinen besetzter Reise-Schreibwerkzeugkasten aus dem Familienbesitz, der auf den selbstverständlichen Umgang des Großkünstlers mit Insignien des Reichtums verweist.

Die Weimarer Ausstellung erhielt auf der Wartburg eine spezifische Ergänzung, die sich um das Oratorium „Die Legende von der heiligen Elisabeth“ rankt, das in der Zeit entstand, als Liszt in Rom die niederen Weihen der katholischen Kirche empfing und zum Abbé avancierte, in der ungarischen Version 1865 in Pest, auf deutsch im darauffolgenden Jahr in München uraufgeführt wurde (und vom Komponisten als eines seiner Hauptwerke angesehen wurde). Selbstverständlich nimmt diese Dokumentation auf die Vita der mittelalterlichen Landgrafentochter Elisabeth von Thüringen Bezug und auf den „Tannhäuser“ des Freundes und Schwiegersohns Wagner. Indem auch die Wartburg, eine der Herzkammern des Protestantismus und Ikone spätromantischer Mittelalter-Projektionen bespielt wird, unterstreicht das Land Thüringen die Bedeutung, die dem langen, freilich wenig glücklich endenden Gastspiel des Jahrhundertkünstlers Liszt nun wieder beigemessen wird.

Nike Wagners Vorschlag, ihrem Altvorderen einen Platz im Weimarer Nationaltheater freizuhalten, sollte in diesem Kontext nicht nur als Pointe gehört werden, sondern als Vorschlag, dort das musikdramatische Potential Franz Liszts produktiv zu nutzen: so experimentell, wie dieser Komponist nun einmal gestimmt war.

pèlerinages – Kunstfest Weimar läuft noch bis 11. September.

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