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Musikkritik und Neue Musik – Anmerkungen zu einer Tagung in Karlsruhe · Von Andreas Kolb
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Zwei Meldungen aus dem angelsächsischen Sprachraum sind paradoxerweise Zustandsbeschreibung auch fürs Kulturland Deutschland. „Die traditionelle Musikkritik wird auch in den USA gerade abgewickelt“ meldete die Süddeutsche Zeitung Ende November und führte als Fallbeispiel die wöchentlich erscheinenden Publikationen „L.A. Weekly“, „Chicago Reader“ und „Village Voice“ an. Ob da der Splitter im Auge des anderen gesehen wurde statt des Balkens im eigenen, mag hier dahingestellt sein. Fast zeitgleich kam aus England die Nachricht über den „No Music Day“, der dort zum dritten Mal begangen wurde. Während die Musiklobbyisten hierzulande noch einen bundesweiten Tag der Musik planen, haben sich auf Initiative des ehemaligen Popsängers Bill Drummond Radiosender und andere Einrichtungen, aber auch Privatpersonen, etwa iPod-Träger, dazu verpflichtet, auf Musik in jeder Form einen Tag lang zu verzichten. Während Konzertbetrieb und Unterhaltungsindustrie soviel Musik wie nie produzieren, wecken sie gleichzeitig das Bedürfnis nach ihrem Gegenteil – der Stille.

Nur der Unterhaltungsindustrie die Schuld an dieser permanenten kakophonen Berieselung zu geben, wäre zu einfach. Mit täglich 1,7 Uraufführungen allein in Deutschland trägt auch die so genannte Neue Musik ihren Teil zur Reizüberflutung bei. Das Schema ist dabei immer das gleiche: Uraufführung, Rezension, zwei Wiederaufführungen, dann verschwindet das Werk und wird nie mehr hervorgeholt. Ausnahmen bestätigen die Regel: Furrers „Fama“ wird 2008 in Salzburg wieder gespielt, Spahlingers Klavierwerk „Farben der Frühe“ kam in jüngerer Zeit mehrfach zur Aufführung.

Sowohl die Veranstalter als auch die Musikkritik haben es nicht verstanden, die Werke der letzten 50 Jahre in einen Kanon aufzunehmen und dem Publikum zu vermitteln. Die wenigen Ausnahmen – darunter Lucerne Festival, musica viva München, das neue werk in Hamburg, die Kasseler Musiktage, Musik der Jahrhunderte in Stuttgart oder Musik der Zeit in Köln – bestätigen die Regel. Nun sind 50 Jahre keine Zeit in der Rezeptionsgeschichte großer Kunst, das bezeugt die Wahrnehmung von Beethovens Spätwerk durch Publikum und Presse. Auch vergessene und erst Jahrzehnte später wiederentdeckte Komponisten wie Satie, Antheil und Varèse zeigen, dass Vermittlung Zeit braucht. Während das Publikum in die Museen neuer Kunst strömt, sicher nicht nur um Kunst zu sehen, sondern auch um selbst gesehen zu werden, gilt die Anstrengung, sich eineinhalb Stunden Neuer Musik auszusetzen, auch heute noch als Zumutung.

Vermittlungsbemühungen gibt es von verschiedener Seite. Über die neueste, das Netzwerk Neuer Musik, berichten wir ausführlich in dieser Ausgabe (Seite 15ff.). Ein Anlass, einmal an dieser Stelle über die Rolle der Musikkritik nachzudenken, über die Aufgabe der neuen musikzeitung, aber auch über den Wandel der Musikkritik in den Feuilletons der Tageszeitungen, die im Gegensatz zur nmz nicht nur ein Fachpublikum ansprechen.

Einen Lichtblick scheint ein Foto auf Seite 44 dieser Ausgabe zu bieten, auf dem zu sehen ist, wie sich zahlreiche junge und angehende Musikjournalisten während der Tagung „Musikjournalismus und Neue Musik“ in Karlsruhe in einem Hörsaal drängen, um von etablierten Feuilletonisten und Komponisten in die Kunst des Schreibens über Musik eingeführt zu werden. Das heißt zum Teil heute noch „Vokabular pauken“, wie einige Fallbeispiele auf den bis 43 beweisen

Die Vision: Wenn jeder dieser Teilnehmer sich einen publizistischen Arbeitsplatz erschreiben und erarbeiten wird, dann müsste er doch damit auch automatisch Platz für die Neue Musik erkämpfen. Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn bekanntlicherweise zählen die Musikredakteure in einer Tageszeitung eher zu den Exoten. In der Rangfolge der Ressorts kommen ihre Seiten erst lange nach Politik, Sport und Reiseblatt.

Und für die Vermittlung durch den Hörfunk erweist sich die E-Musik oft als zu sperrig – sowohl die Werke der Großmeister aus Barock, Klassik und Romantik als auch die der Gegenwart sind nicht fürs Drei-Minuten-Format des modernen Radios konzipiert. Dabei muss man nicht einmal an Stockhausens großen Opernzyklus „Licht“ denken. Rühmliche Ausnahmen gibt es etliche, diese Sendungen beginnen dann allerdings um 23 Uhr. Versuche Klassik populär zu machen, etwa auch kompatibel fürs Fernsehen, endeten bislang regelmäßig in Häppchenkultur und Starrummel, wie etwa beim Klassik Echo.

Einen Platz für die Neue Musik können Redakteure und Rezensenten nicht erkämpfen und erhalten, solange sie „nur“ in den Konzertsaal gehen und von dort ihre 80 oder 100 Zeilen liefern. Das ist zu wenig. Ein bisschen müssen sie sich schon die Edelfeder schmutzig machen und sich um die Bedingungen des Musikmarktes, insbesondere des Neue-Musik-Marktes kümmern. Egal ob als Spezialfestival, als Konzertreihe oder als integraler Bestandteil von Spielplänen, auch Neue Musik finanziert sich über den Dreiklang von Subvention, Sponsoring und Kartenverkauf. Kulturpolitischer Wille ist dabei genauso wichtig wie der künstlerische.

Wir laden die jungen Karlsruher Autoren gerne dazu ein, sich einmal um den puk-Preis der Zeitung politik und kultur des Deutschen Kulturrates zu bewerben. Arbeiten bisheriger Preisträger machen deutlich, dass es nicht nur feuilletonistischer Autoren bedarf, sondern auch kulturpolitischer. Um der Neuen Musik den „Platz freizuhalten“, wie es der Komponist Markus Hechtle in seiner Eröffnungsrede zur Karlsruher Kritikertagung einfordert (Nachdruck auf Seite 41), braucht es weitere musikpolitisch tätige Publizisten als puk-Preisträger.

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