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Zwei Entertainer auf Augenhöhe: Moritz Eggert und Harald Schmidt in faustischem Dialog. Foto: Stefan Pieper
Zwei Entertainer auf Augenhöhe: Moritz Eggert und Harald Schmidt in faustischem Dialog. Foto: Stefan Pieper
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Von Hervé bis Adorno: Faust-Revue mit Harald Schmidt und Moritz Eggert in der Bochumer Jahrhunderthalle

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„Verweile doch, du bist so schön“, beschwört ein Satz aus Goethes „Faust“ die Intensität des Hier und Jetzt. Um dies wenigstens für einen kurzen Moment zu erleben, schließt Faust einen Pakt mit dem Teufel. Das Streben nach perfektem Glück als Flirt mit dem Unheil, so könnte man die parabelhafte Problematik, das typisch „Faustische“ umschreiben. Und auch auf die Komponisten dieser Welt übt Goethes Drama eine ewige Anziehungskraft aus. Da half, dass sich der Komponist Moritz Eggert und der TV-Moderator Harald Schmidt an eine Gesamtschau wagten.

Das klassischste aller Dramen und einer der geistreichsten TV-Moderatoren sind etablierte Größen genug, um ganz viel Publikum zu ziehen – so viel ist klar an diesem Abend in der restlos ausverkauften Bochumer Jahrhunderthalle. Und um diese mit Klang und Dichtkunst zu füllen, wird einiges aufgeboten. Zu den Bochumer Sinfonikern gesellt sich der Tschechische Philharmonische Chor aus der Stadt Brünn nebst einer handverlesenen Solistentruppe von internationaler Klasse.

Moritz Eggert ist in diesem Rampenlicht viel mehr als nur der im stillen waltende Komponist, zeigt sich Eggert doch als gewiefter Bühnenmensch und Co-Moderator, der mit dem eloquenten und gebildeten TV-Moderator Star auf Augenhöhe agiert.
Das hilft dem Publikum, alle Vorbelastung des Faust-Themas durch zu viel dröges Ruminterpretieren im Deutschunterricht abzulegen und sich neu, vor allem sinnlich einzulassen. Und da sich das Format des Abends an einer Fernsehshow anlehnt, werden auch die gängigen Rezeptionsgewohnheiten bedient, die sich beim lockeren, kurzweilig unterhaltenden Fluss scheinbar am wohlsten fühlen.

Inhaltlich gehaltvoll ist Harald Schmidts und Moritz Eggerts Faust-Revue in jedem Moment. Dafür sorgen die ausgewählten Kompositionen, deren Mix für diesen Abend sich an die Chronologie des Goethe-Dramas anlehnt. Die anmutigen Facetten dieser Handlung treten in Hervés komischer Oper „Le Petit Faust“ zu tage. Sopranistin Rebecca Nelsen bietet alle Koketterie auf, wenn sie das Gretchen mimt. Aber ihr Sopran kann auch ganz andere atmosphärische Tiefen ansteuern. Das wird in Passagen aus Berlioz' „Le Damnation de Faust“ deutlich. Großartig raumfüllend, warm und opulent ist auch Miklós Sebestiyén mit seiner Bassstimme. Schlank und druckvoll agiert Bariton Peter Schöne.

„Uraufführung“ eines Werkes von Moritz Eggert ist allerdings ein etwas irreführendes Etikett für diesen Abend. Scheinbar steht mehr der Komponist als Selbstdarsteller im Rampenlicht – und sowas beherrscht Eggert virtuos. Ja, es hat sogar einen gewissen Vorbildcharakter für zeitgenössische Komponisten, denn der kommunikationsstarke Eggert bringt sich vielfältig ein und wird dadurch vor allem eins: medial wahrgenommen.

Er moderiert, rezitiert, spielt virtuos und nicht ohne Show-Appeal zuweilen mit ganzem Körpereinsatz den Konzertflügel in der Jahrhunderthalle. Wenn Eggert hier seine eigene Musik sprechen lässt, tobt sich diese lustvoll und energetisch aus. Dramatisch aufbrandende Chöre ziehen in mächtige Höllengefilde von imaginären Walpurgisnächten hinein oder sie huldigen dem dionysischen Rausch – da könnte man sofort die ekstatische Verjüngungskur einleiten, wie sie in Auerbachs-Keller verabreicht wird.

Eine Paradenummer dieses Abends ist bilden die Passagen aus Thomas Manns Doktor Faustus. Das Faustische in diesem Roman drückt sich in einem besessenen Streben nach Erneuerung der Musik aus. Thomas Mann türmt hier endlose musikologische Details auf, bei deren Abfassung er sich von Adorno beraten ließ. Moritz Eggert rezitiert diese Passagen mit sich überschlagender Stimme – und aus dem dazu in Echtzeit gespielten eigenen Klavierkonzert spricht ebenso viel wütendes Ringen und Kämpfen.

Harald Schmidt kann auch anders, als „nur“ den gebildeten Entertainer abzugeben, der sich auf gewitzten Smalltalk über Goethe und die Musik versteht. Er erhebt sich von der Couch und wird wieder mal zum Theaterschauspieler Harald Schmidt, der mit eindringlichem Charisma und hervorragend ausgebildeter Sprechkunst klassischer Schule eine finstere Schlusspassage aus dem Faust zitiert.

So kann man ein Publikum, das Unterhaltung verdient, nicht nach Hause entlassen. Also stimmen Pianist, Chor und Orchester schließlich einen Popsong aus Moritz Eggerts Feder an: „Eternal Love“ schwelgt hymnisch durch die Jahrhundertalle. Gibt es nicht vielleicht doch eine Kraft, die das Gute will – und eben doch nicht zwangsläufig das Böse schafft?

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