Unter Federführung der Komischen Oper Berlin sollten in der bereits 15. Koproduktion mit jungen Künstlern der Berliner Ausbildungsstätten ursprünglich drei Regieteams John Cages Bühnenwerke „Europeras 3-5“ inszenieren. Aber dann erfolgte, was in Strauss' „Bürger als Edelmann/Ariadne auf Naxos“ noch als spleenige Idee abgetan wird, potenziert: drei Gruppen brachten ihre Versionen von „Europera 3“ synchron zur Aufführung. Beabsichtigt war dabei ein Blick auf Europa unter den Schwerpunkten kulturelle Pflege, Übersättigung und Eurovision Song Contest.
Im Gedenkjahr seines 100. Geburtstages ist John Cage längst kein Skandalon mehr, auch für keine Provokation mehr gut, aber strukturbedingt ist sein Werk offen geblieben für neue Wege und birgt damit die Chance in sich , im Ergebnis immer wieder neuartig zu wirken. Dies beweist auch die jüngste interdisziplinäre Musiktheater-Werkstatt der beiden Berliner Musik-Ausbildungsstätten Hanns Eisler und Universität der Künste im Hebbeltheater.
Per Zufallsprinzip treffen in „Europera 3“ live gesungene Arien und Arienfragmente auf Ausschnitte von Liszt-Schallplatten und auf am Flügel live gespielte Paraphrasen Franz Liszts. Einer der Cageschen Truckeras unterbricht mehrfach als lautstarkes Störgeräusch aus Lautsprechern im Zuschauerraum die musikalische und aktionistische Abfolge und setzt dabei kurzzeitig auch die Zeitabfolge außer Kraft, so dass die Digitaluhr-Projektionen und mit ihnen die Darsteller durchdrehen.
Aber auch an ganz normalen Verrücktheiten sind die gleichzeitigen Inszenierungen der Regisseure Maria-Magdalena Kwaschik, Alexander Scholz und Eva-Maria Weiss, sowie ihrer Ausstatter Hsiu-Ying Hou, Isabelle Kaiser, Josefine Lindner und Marcel Teske nicht verlegen. In der Autonomie der Bildwelten vermag der Zuschauer auf der permanent kreisenden Drehscheibe im Laufe der 70-minütigen Show dann doch drei Bereiche, drei Teamgruppen, ausfindig zu machen: Steingärten und Reisanbau einer besinnlichen (chinesisch vorgezeichneten) Naturwelt, eine (amerikanisch orientierte) rote Kaufhauswelt mit Weihnachtsmann und Suppendosen als Mono-Verkaufsangebot, und eine gelbe Wohnlandschaft, mit Bett, Duschkabine, beleuchteter Kloschüssel und Waschmaschine, lauf welcher ein zweiter Cage, gestört von einer Wespe Maja, das collagierende Prinzip blind gewählter Zusammenstellung von Einzelnotenseiten nachlebt.
Verkäufer und Kunden im roten Bereich tragen die selben Anzüge und Abzeichen, wie die Zuschauer auf einer Reihe hinter der Drehscheibe, die sich an aufblasbaren Plastikobjekten ergötzen und am Ende die Zeitprojektion erklettern wollen. Und ein als überfettete Nackte kostümierter Darsteller überfrisst sich an XXL-Tüteninhalten und wird unter Wohlstandsmüll bestattet.
Der vom Komponisten verlangte Plattenspieler wird von zwei Asiaten auf einer Bahre herumgetragen und bedient; diese beiden Träger öffnen dann auch – zusammen mit den Zuschauern, die eingangs dazu per Projektion aufgefordert wurden – exakt zum Zeitpunkt 01:02:03 die beim Einlass verteilten Care-Pakete: sie enthalten einen Stein und „The Coincidental Times“. Dieser gefalteten Zeitung ist zu entnehmen, dass im zweiten Besetzungsteam auch Fischerchöre integriert sind. Neben und zu „Hänsel und Gretel“, „Martha“ und Weills Surabaya-Song treten – und das ist neu in der Aufführungsgeschichte dieses Musiktheaterstücks – Udo Jürgens („Merci, Chéri“) und Nicole („Ein bisschen Frieden“). Neu sind auch gesprochene Wortfetzen von fünf sich prostituierenden Damen („John Cage – Jesus Christ!“) und Worteskapaden eines Rezitators auf Englisch, Französisch und Italienisch, beginnend mit „The space in time is organized“, sich dann auch in sprachlicher Absurdität des Zufallsprinzips verlierend.
Selbstsicher gegen alle gleichzeitigen Störfaktoren und gegen die auf dem Live-Flügel wiederholt virtuos exerzierten Paraphrasen von Wagners Spinnerinnenchor, dem Einzug der Gäste und Isoldes Liebestod, tragen die jungen Sänger Sara Gouzy, Nikoleta Kapetanidou, Magnús Hallur Jónsson und Thorsteinn Freyr Sigurdson, sowie Alexandra Koch, Katharina Thomas und Philipp Mayer ihre Vorsingearien vor: Papageno, Steuermann, Carmen, Marzelline und Orlofsky sind überdeutlich auszumachen.
Weniger autark als in der Bochumer Inszenierung von „Europeras 1&2“ ist die Beleuchtungsregie, die nach dem Zufallsprinzip gerne ins Licht rückt, was gerade als besonders nebensächlich erscheinen mag. Aber die programmatisch erklärte „totale Überforderung“ bleibt aus, auch in der dritten Aufführung klatschte das Publikum im gut besetzten Hebbeltheater heftig Beifall.