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Emotionsfreier Technizismus: Eir Inderhaug in Morton Feldman „Neither“ in Hellerau. Foto: Peter Fiebig
Emotionsfreier Technizismus: Eir Inderhaug in Morton Feldman „Neither“ in Hellerau. Foto: Peter Fiebig
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Weder. Noch. Morton Feldmans „Neither“ als 3D-Audio-Oper in Dresden-Hellerau

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Samuel Beckett will keine Oper. Morton Feldman schreibt sie aber doch. Auf ein Libretto, das ganze 87 Worte umfasst. „Neither“, zu deutsch: „Weder“. Das impliziert natürlich ein „Noch“. Aber weder Beckett noch Feldman ist um diese Ecke gegangen. Jeder Ausgang blieb ganz bewusst offen. Im Festspielhaus Hellerau war dieses Werk nun in einem geschlossenen Kreis zu erleben. Wie modern mag so ein Stück dreieinhalb Jahrzehnte nach seiner Entstehung noch sein?

Wen es schon immer mal danach gedrängt hat, auf die Bühne vom Festspielhaus Hellerau geladen zu werden, der hatte Anfang März zwei Abende lang die Gelegenheit. „Neither“, eine Oper von Samuel Backett und Morton Feldman, wurde inszeniert für virtuelles Orchester und Sopran – das Publikum saß inmitten des Klangraums rund um die Sängerin herum. Jeder ist ein Künstler, wenn er nur eine Eintrittskarte erheischt. Die beiden Vorstellungen waren sehr gut besucht.
Was Feldman 1976 verfasst hat, nachdem er Beckett tüchtig hat darum betteln müssen, ist weder Oper noch Anti-Oper. Es ist ein diffuses Musikstück, knapp eine Stunde kurz, das aus vielfältig strukturierten Orchesterklängen besteht, deren Tempo und Dynamik ständig wechseln, und nur eine einzige Sänger-Darstellerin hat. Deren Part im meist sehr hohen Sopran gibt die 87 Worte wieder, die Beckett per Postkarte an Feldman sandte. Ein echtes Libretto sieht anders aus. Eine veritable Oper auch.

Die Inszenierung, die vom Berliner Ensemble phase7 performing.arts unter ihrem künstlerischen Leiter Sven Sören Beyer nun in Hellerau herausgebracht wurde (und im Sommer im Radialsystem V Berlin zu sehen sein wird), verzichtet auf Live-Orchester. Statt dessen wird rings um das Publikum herum aus sechs Dutzend Lautsprechern die Feldmansche Klangwelt gegossen, geflutet, gewellt. Sturzbäche sind es, einzelne Tropfen, tosende Wasser mit ständigen Zeitverschiebungen.
Im Zentrum des Ganzen steht diese Stunde lang die norwegische Sängerin Eir Inderhaug. Alle Blicke sind auf diese Frau gerichtet, dabei tut sie nichts anderes, als sich beständig auf ihren hochhackigen Schuhen zu drehen, damit sie im Bühnenrund auch jeder mal frontal anschauen kann.

Was tut sie sonst noch? Sie stemmt diesen Kraftakt permanenter Vokalpräsenz, teils bis an die Grenze zum hörbaren Verschleiß. Textverständlichkeit ist inmitten der Wogen aus Streicherbetten, Bläsereingriffen und Schlagzeugdominanzen nicht zu erwarten, das macht den Abend zum emotionsfreien Technizismus. Er umfließt die Hörorgane rundend, wer da mal die Augen schließt, fühlt sich mitten im Klangsog. Wieso nur kommt dabei trotzdem keine Ergriffenheit auf?

Es gibt durchaus Momente spannungsgeladener Musik. Der ferne Klang geht direkt durch die Köpfe und Körper. Kontraste dazu werden von einer eindrucksvollen Lichtregie (Björn Hermann) gesetzt, die aus allen vier Himmelsrichtungen leuchtende Gerüste visualisiert, die den Kubus über der Sängerin scheinbar tragen und den Bühnenraum stützen. Sie bleiben aber Äußerlichkeiten, deren Wirkung sich schon bei der ersten Wiederholung erschöpft.

Wer dabei war, war mittendrin. Blieb aber beim „Weder“.

Termine Radialsystem V Berlin: 12., 13., 15., 22.7.2012
 

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