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Die Staatskapelle Weimar bestritt das Eröffnungskonzert in Weimar. Foto: Fotodesign Christiane Hoehne
Die Staatskapelle Weimar bestritt das Eröffnungskonzert in Weimar. Foto: Fotodesign Christiane Hoehne
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Wie gedenken? Zum Eröffnungskonzert „Gedächtnis Buchenwald“ des Weimar Kunstfests „pèlerinages“

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Seit sieben Jahren wirbt ein Koffer als Emblem für das von Nike Wagner neu konturierte Weimarer Kunstfest. In Anlehnung an einen Werktitel ihres Ur-Urgroßvaters, den auch in der thüringisch-sächsischen Residenzstadt tätigen Tonsetzer und flinken Klavierspieler Franz Liszt, wurde es „pèlerinages“ genannt. Das Reise-Utensil gibt einen unmissverständlicher Hinweis auf Unterwegs-Sein und Pilgerschaft. Das eine wie die andere kann aus den unterschiedlichsten Gründen stattfinden – freiwillig oder gezwungenermaßen.

Auch heuer war die Eröffnungsveranstaltung des Festivals mehr als ein kommentiertes Konzert: Unter dem Titel „Gedächtnis Buchenwald“ wies sie wiederum darauf hin, daß Weimar eben nicht nur Klassiker-Gedenkstätte, sondern auch aus der deutschen Topographie des Terrors nicht wegzudiskutieren ist. Die Ministerpräsidentin des Landes, Christine Lieberknecht, sprach in einer kurzen Rede von der Unmöglichkeit, „von Buchenwald Abschied zu nehmen“. Sie gab dem Hauptredner Ivan Ivanji, einem Überlebenden des Vernichtungslagers, damit das Stichwort für seine Erinnerungen. Die setzten ein mit Hinweisen zur Entstehung des Lagerliedes („O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen ...“) und reflektierten das sich seit den 50er Jahren verändernde Verhältnis zum Ort des Leidens und der Stadt in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Der serbische Schriftsteller kam dann freilich auch auf seine Scham zu sprechen, die er angesichts der Verbrechen in den Kriegen beim Zerfall Jugoslawiens spürt. Gerade diese Bezugnahme auf die jüngere Geschichte unterstrich die grundsätzliche Bedeutung von Ivanjis Weimarer Rede.

Schnörkellos zur Sache kommt die „Ekklesiastische Aktion“ von Bernd Alois Zimmermann (1918–1970) – ein Spätwerk, das sich durchgängig an der Hörspieltechnik der 60er Jahre orientierte. Das Melodram wurde fünf Tage vor dem Suizid des Komponisten fertiggestellt. Nach einem Signalton der im Raum verteilten Bläser tritt der gesprochene Text in den Vordergrund. Die klare Prosa wird aus dem Hintergrund von der wohl absichtsvoll reduzierten Kunstförmigkeit eines Bassbaritons hinterlegt und umrankt. Das Wirken von Jürgen Linn mochte einem wie das eines extrem reduzierten Chores vorkommen; doch erscheint angesichts des Textes höchst plausibel, daß nicht ein geballtes Kollektiv grundiert und überhöht, sondern eben ein Einzelner.

Die Worte zu der sich aus dem Geist der Musik konstituierenden Aktion entstammt teilweise jenem Buch des Alten Testaments, das Martin Luther ‚Prediger Salomo’ nannte und das in der katholischen Einheitsübersetzung als ‚Kohelet’ bezeichnet wird. Der Komponist wählte aus Kapitel 4 sieben Verse vom Gewahrwerden allwaltenden Unrechts und ausufernder Trostlosigkeit („... und siehe, da waren Tränen derer, so Unrecht litten, und hatten keinen Tröster“); auch zur Sinnlosigkeit des Arbeitens für die falschen „Arbeitgeber“ bzw. zum Arbeiten um des Arbeitens willen. Schließlich zur Einsamkeit („Weh dem, der allein ist! Wenn er fällt, so ist kein anderer da, der ihm aufhilft.“).

Zimmermann kombinierte die Bibelstellen mit Passagen aus dem 5. Buch des Romans „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski (1821–1881), in denen der Großinquisitor seinen auf die Erde zurückgekehrten Religionsgründer im Gefängnis heimsucht. Beide Textebenen lassen sich in plausibler Weise auf die widerrechtlich und aus terroristischen Motiven in Lager Gesperrten beziehen. Von daher war dieses lakonische Stück anläßlich des Gedenkens an ein nationalsozialistisches KZ und sowjetisches Straflager richtig am Platz. Es geht mit ihm um eine „unentrinnbare Zwangssituation“.

Das Sprecherpaar – August Zirner und Gerd Böckmann – stellte den wünschenswerten Kontrast der Intonationen her: der ganz sachlich gehaltenen, „objektivierenden“ Tongebung für die Salomo-Zitate stand die engagierte Deklamation der Tiraden des Großinquisitors gegenüber. Der erkundet keineswegs pflichtgemäß die Taten und Gesinnungen seines schweigenden Gegenübers, sondern vertraut diesem sogar an, daß er mit dem Gegenspieler im Bunde stehe. Die Staatskapelle Weimar unter Michael Boder leistete hoch konzentriert gediegene Arbeit. Gerade auch bei jenen Passagen, an denen noch einmal die komplexistische Schreibweise aufscheint, mit der Bernd Alois Zimmermann zu Beginn der 60er Jahre seine große Oper „Die Soldaten“ ausgestattet hatte.

Der kurz vorm Ende von einem Bachischen Blechbläserchoral gekrönten „Ekklesiastischen Aktion“, bei der die Solisten (und eigentlich auch der Dirigent) eine Meditations- und Demutsübung zu absolvieren haben, schloss sich der nicht besonders feinsinnig zelebrierte langsame E-Dur-Satz von Anton Bruckners letzter Symphonie an. Warum überließen die Veranstalter ausgerechnet Adolf Hitlers Leib- und Magen-Komponist das letzte Wort? Die Wahl dieses Programmpunkts erscheint nicht zwingend – und die Weimarer Dramaturgie weist mit der Eingruppierung der „Ekklesiastischen Aktion“ als „statuarisches Musikdrama“ noch eine weitere Merkwürdigkeit auf (man kann sie sogar für groben Unfug halten). Der bloße Gedanke, daß Zimmermanns opus ultimum über diskrete Licht-Regie hinaus bebildert oder vertanzt worden wäre, mag Brechreiz auslösen.

Auch wenn der nachgereichte ausladende Orchestersatz Bruckners lediglich als eine altersmilde Gabe christkatholischer Tonkunst genommen wird: die Mehrzahl der Opfer auf dem Ettersberg war keineswegs katholisch, sondern sie wurden von entlaufenen und entarteten Christenkindern kujoniert. Freilich funktioniert diese Musik aufs Neue frappierend. Mit der durch sie möglichen Trostfunktion will man nicht unbedingt hadern. Freilich sollten für solche Anlässe wie „Gedächtnis Buchenwald“ neue Arbeiten angefertigt werden. Auch wenn es derzeit schwierig sein dürfte, hierfür geeignete Federn zu finden.

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