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Wie ich einmal einen künftigen Bundespräsidenten nach vorn bringen konnte: Theo Geißlers Kurz-Schluss

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Wenn es mit rechten Dingen zuginge, müsste ich im Geld schwimmen. Aber als Ghostwriter verschiedener Regierungsinstitutionen und Parteien wird man regelmäßig mit unterentwickelten Pauschalen abgefertigt und geistig enteignet. Materiellen Rahm und Ruhm schöpfen dann irgendwelche Pappnasen ab, die gerade politisch genehm sind und angeblich einen besseren Namen haben. Ich habe natürlich gar keinen, wie sollte ich auch – der stets billig abgefundene Lohnschreiber. [aus politik & kultur 3-2012]

Mal angemerkt: Der Plot für den Megaseller »Der Kulturinfarkt « stammt eigentlich von mir. Im Auftrag meines moralischen Ziehvaters, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, sollte ich eine Studie erstellen, die belegt, wie überflüssig all die Subventionen in den ohnedies gesellschaftlich akzeptanzfreien Kulturbetrieb seien. Das war ein Leichtes. In bester Guttenberg-Manier –aber risikofrei, weil den Krempel sowieso niemand liest – habe ich etliche ältere Papiere der »Kulturpolitischen Gesellschaft « aus dem Netz zusammenkopiert und ordentlich gepastet. Dann brauchte ich nur noch einen Gutteil der dort verbratenen Meinungen ins Negative kehren – schwupps war der Infarkt perfekt. Und nicht so halbherzig, wie es die weichgespülte veröffentlichte Version jetzt auslabert. Warum nur fünfzig Prozent wegsparen, wo durch konsequente Privatisierungen gut hundert zu erreichen wären. Was die Autoren-Viererbande jetzt daherschleimt – das kann einem doch den Kamm ganz gehörig schwellen lassen.

Wenigstens die Stadt Köln handelt aktuell konsequent – und lässt ihre Oper verhungern. Respekt. Aus lauter Wut und Trotz über die Infarkt-Inkonsequenz nahm ich einen ganz schlecht bezahlten Job der nordrheinwestfälischen SPD an. Die wollte den alten Schnauzbart-Haudegen Günter Grass für ihren Wahlkampf reaktivieren. Dazu musste der vergessene Poet allerdings erst mal wieder ins öffentliche Rampenlicht geholt werden. Da zuletzt beim leicht peinlichen »Zwiebelhäuten« allein die biografische Waffen-SS-Miniatur für etliche Aufreger sorgte, gedachte ich in dieser Reizwunde weiter zu stochern. Weil ich dem liebenswerten ollen Zausel aber keine Novelle, geschweige denn einen Roman mehr zutraute (mal ganz abgesehen von meinem wirklich mickrigen Honorar), – entwarf ich einen thematisch grob zugespitzten lyrischen Waschzettel. Grass sollte daraus – vielleicht in Hexametern, Alexandrinern oder von mir aus auch Choriamben ein knackiges Epos formen mit betont pazifistischem, leicht israelkritischem Habitus.

Nun ist der veröffentlichte Wortlaut ja millionenfach gedruckt und im Internet jederzeit abrufbar. Deshalb beschränke ich mich bei der Wiedergabe meines eigenen kleinen Exposees auf einige Kernaussagen. Um zu belegen, dass der gute Günter meinen Text aller lyrischen Komponenten beraubt und in eine krude Prosa umgemauschelt hat. Bei mir hieß es:

»Warum halt ich den Mund
und schweige viel zu lange,
denn was so offensichtlich ist
macht uns doch alle bange:
Längst wird das atomare
Bomben planvoll kühl geübt
Was mein zutiefst dem
Frieden zugewandtes Herz
elendiglich betrübt.
Denk ich an all die gammastrahlverseuchten
Millionen Toten
Bleibt uns, den Überlebenden als
Rolle nur der Status von Fußnoten.
Das Recht auf Erstschlag – dünkt
mir – muss ein Unrecht sein.
Solch Tat rechtfertigt
doch auch kein noch so fieses
Diktatorenschwein …«

… und so fort. Nun könnte man es ja mit Georg Christoph Lichtenberg halten und sagen: »Die Leute, die den Reim für das Wichtigste in der Poesie halten, betrachten die Verse wie Ochsen-Käufer von hinten.« Bezeichnenderweise war dieser Sprücheklopfer von Haus aus Mathematiker – und steht als solcher doch eher für die um sich greifende Verwahrlosung jeglicher Poesie. Es geht doch nichts über einen reinlichen Reim. Insofern (ich hätte noch jede Menge kühner kunstvoller Zitate aus meiner Version auf der Pfanne) kann ich mich nur noch wundern, dass der Grass-Text im Stil einer Gebrauchsanleitung für taiwanesische Billig-Telefonanlagen einen derartigen Wirbel ausgelöst hat. Ist solcher Verbal-Salat vielleicht jung, peppig und dem Zeitgeist angemessen?

Total verunsichert akzeptiere ich ausnahmsweise einen höchst akzeptabel honorierten Auftrag der Agentur von Thomas Gottschalk. Der abgehalfterte Ex-ARD-Moderator soll im politischen Umfeld reüssieren, möglichst Bundespräsident werden. Bei der derzeitigen Halbwertszeit des Amtes keine unlösbare Aufgabe, sage ich mir. Ein Gedicht im Stil von Günter Grass wäre genau das Richtige – meint die Agentur. Folglich schminke ich mir emotional wertvoll Gedrechseltes wie:

»Der Gauck ist doch
ein alter Gauch,
zwar volles Haar, doch
Faltenbauch …«

… sofort wieder ab und versuche, den Grass´schen Poetry-Slam zu
kopieren. Damit werde ich hoffentlich endlich reich:

»Thomas, unglaublich wandelbare,
wunderbare Gold-Locke,
untersage Dir im ureigensten
Interesse, jenes andere Land
beim Namen zu nennen, in
dem seit Jahren – wenn auch
geheimgehalten
– ein wachsend
nukleares Potenzial verfügbar
aber außer Kontrolle, weil
keiner Prüfung zugänglich ist.
Thomas, Du Gott-Schalk: Warum
schwiegst Du bislang? Weil Du
meintest, Deine Herkunft, die von
nie zu tilgendem Makel behaftet
ist, verbiete, diese Tatsache als
ausgesprochene Wahrheit dem
Land Israel, dem Du schon rein
marketingmäßig verbunden bist
und bleiben willst, zuzumuten?
Thomas: Deine dynamische
Tinte könnte es sein, allen, den
Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die
in dieser vom Wahn okkupierten
Region dicht bei dicht verfeindet
leben und damit letztlich auch
uns – zu helfen ...«

Ja, das ist es. Es passt, es stimmt. Das macht den Menschen Gottschalk, den supersympathischen Talker, zum Staatsmann. Genau den brauchen wir ganz, ganz dringend. Yes, we can …

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