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Wie ich einmal leider freiwillig in die Fänge der „Freiwilligen Selbstkontrolle“ geriet – Theo Geißlers Kurz-Schluss

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Man wird ja nicht jünger. Gerade in meinem Job (immer noch als »Embedded Journalist« vermutlich in Diensten Wolfgang Schäubles) ist es aber unabdingbar, up to date zu bleiben. Angesichts der Wissens-Omnipotenz von XKeystore und der NSA fühle ich mich allerdings immer öfter wie eine alte Acht-Zoll-Diskette im Vergleich zur Apple-Cloud.

Insofern konnte ich mich einem deutlichen Hinweis aus den oberen Etagen meines Arbeitgebers in Sachen Fitness-Kontrolle und Leistungsüberwachung schwerlich entziehen. Man sieht sie ja jetzt immer öfter: Die dynamischen Jung-Manager mit drei Armbändern zur Überwachung des Cholesterinspiegels, der Milchsäure-
Konzentration und des Blutdrucks. Ganz zu schweigen von den joggenden Amazonen samt Schrittzähler, Fett-Burner-Tacho und IQ-Meter am Ohrläppchen, körperlich offensichtlich den extrem-leptosomen Zustand der Roswell-Area-Aliens anstrebend.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser, das haben wir ja inzwischen gründlich gelernt. Also stimmte ich dem webfähigen Anschluss eines sogenannten Protectometers im Armbanduhr-Format samt Nano-Display und Community-Transfer zu. Auch weil es sich um ein Kassen-Modell handelte, das mich keinen Cent kostete. Die feinen, körpersaft-absaugenden Söndchen glitten mir schmerzlos unter die Haut. Und ein alter Hacker-Spezi gradete das Kistchen durch Veränderung einiger interner Parameter unmerklich auf die Normalwerte eines halbwegs rüstigen Achtzigjährigen down, sodass ich trotz meines etwas unsteten Lebenswandels immer bestens im grünen Bereich lag.

Weder Kasse noch Arbeitgeber fiel dieser harmlose kleine Trick auf. Beide zeigten sich sehr zufrieden mit mir und meiner Fitness. Gelegentlich fand ich sogar meine Werte, nur leicht anonymisiert, in den Positiv-Listen des Gesundheitsministeriums wieder – als Musterbeispiel für die Leistungsfähigkeit der »Best-Ager«.  Selbstdisziplin, die sich im messbar erfolgreichen Umgang mit dem eigenen Körper bestens belegen lässt, ist zu einer rational fundierten Karriere-Grundlage in unserer Gesellschaft geworden.

Ein »Think positive – keep healthy« hat das ewig krittelnde, sogenannte kritische Bewusstsein im Sinne einer wahrlich sozialen Marktwirtschaft endlich verdrängt. Man erinnere sich noch an die Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Raucherlungen, Fettherz-Infarkte, künstliche Gelenke, ebenso zeitraubende wie fruchtlose Gespräche zwischen Ärzten und Patienten: Was für ein ökonomischer Irrsinn – leicht behandelbar dank Bewusstseinsveränderung durch Verantwortungsverlagerung: Die bildungspolitische Potenz unserer Medien von RTL bis YouPorn hat gewaltig zugelegt – ist unverzichtbar geworden bei solch nötigem Strukturwandel.

Und schließlich war eigentlich immer schon jeder sich selbst der nächste.
Natürlich auch ich, deshalb fand ich es nach etlichen Monaten angestrengter Desinformations-Tätigkeit angemessen, ein paar Wochen Urlaub zu machen. Als ehemaliges Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrates kam schon aus kulinarischen Gründen nur die Provence in Frage. Es folgten sonnendurchflutete Tage. Vormittags kühlen Rosé, ein wenig getrüffelte Gänseleber-Pastete, olivenöl-triefende Knoblauchzehen umspült von kräftigem Bellet. Oliven in hundert Variationen. Mittags Lammrücken, thymianduftend im Rotweinbad oder Kalbsnierchen in zarter Senfsoße, dazu Chateauneuf-du-Pape, kräftiger Roquefort am Gaumen zerdrückt mit Haute Sauternes, Crème Brulée – zwei, drei Marc de Provence. Und am Abend das Fünf-Gänge-Menu im Ein-Sterne-Restaurant – man muss ja nicht prassen.

Das ging zehn Tage gut, dann flackerte und piepste plötzlich mitten in der Nacht mein Protectometer. Es zog sich fest um mein Handgelenk zusammen und eine zarte Frauenstimme forderte mich immer wieder auf, sofort die blinkende Telefonnummer anzurufen. Weil meine Hand langsam abstarb, kam ich unter anderem auch
schlaftrunken der Aufforderung nach. »Hier ist das europäische Entsorgungszentrum « – meldete sich eine etwas metallisch anmutende Stimme. »Ihre Vital-Werte haben seit einiger Zeit unsere Lebenstauglichkeits-Norm erheblich unterschritten. Bitte melden Sie sich zur finalen Entsorgung im nahe gelegenen Endlager Mon Dieux. Überweisen Sie bitte umgehend fünftausend Euro auf das angezeigte Konto. Leider sind Ihre inneren Organe so verrottet, dass sie sich nichtmal zur Schweinemast in Nordkorea, geschweige denn als Transplantat verwenden lassen. Deshalb tragen Sie die vollen Entsorgungs-Kosten. Bitte handeln Sie umgehend. Hier ist das Europäische…«

Meine linke Hand war inzwischen ganz schwarz, das Armband hatte sich bis auf die Knochen durchgepresst…
 

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