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Woody Allen im Konzert. - Foto: ddp
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Woody Allen in Dresden – New Yorks Stadtneurotiker tourt jazzend durch Europa

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Starregisseur und Hobby-Musiker Woody Allen gab am Freitag ein Jazzkonzert im Dresdener Kulturpalast, sein einzigstes Deutschlandkonzert während der aktuellen Europatournee. Mit seiner New Orleans Jazz Band ist er in den vergangenen zehn Jahren nur fünfmal in Deutschland aufgetreten. Michael Ernst hat für die nmz das Konzert in Dresden besucht.

Personenkult. Die Fans standen Schlange. Autogrammjäger schon Stunden vor Konzertbeginn. Das einzige Deutschland-Konzert einer Legende, gar einer Ikone. Eine Erwartungshaltung, dass es knisterte. Stürmischer Beifall, als das Idol die Bühne betrat.

Das Idol? Personenkult?! Nein, es geht hier nicht um ein den eigenen Bauchnabel bekreisendes Sternchen mit Stimmchen, auch nicht um eine saisonale Entdeckung, die raketengleich aufgeschleudert wird und gleich wieder verlischt, sondern um einen, mit Verlaub: in Würde gealterten Herrn, der durch seinen Beruf weltbekannt und für sein Hobby inzwischen weltweit gefragt ist. Sein Name: Allen Stewart Konigsberg. Sein Hobby: Klarinette und Jazztradition made in New Orleans.

Allen Stewart wer? Nun ja, der am 1. Dezember vor 73 Jahren geborene nennt sich seit seiner Schulzeit gern Woody Allen. Damals tarnte er pseudonym seine frühesten Auftritte und Gags. Inzwischen sind unter diesem Namen mehr als vierzig Filme entstanden, viele davon tragen Kultcharakter, völlig zu Recht. Lediglich 1981 und 1991 waren Ausnahmejahre, in denen kein neuer Streifen entstand, ansonsten produziert der Stadtneurotiker aus New York jährlich was Neues. Zuletzt entstand „Vicky Cristina Barcelona“, derzeit in zahlreichen Kinos zu sehen.

Dass Woody Allen auch Musiker ist, laut eigener Auskunft die Musik am liebsten zum Beruf gemacht hätte, wenn da mehr Talent wäre, mag man ihm glauben. Das mit dem musikalischen Talent kann überprüfen, wer ihn in einem der seit drei Jahrzehnten regelmäßig absolvierten Clubkonzerte in New York erlebt – oder ihn auf einer seiner raren Europatouren erwischt. Zum Jahresende 2008 ist er mal wieder unterwegs, neben Amsterdam, Florenz, Prag und Warschau stehen gleich fünf Termine in Spanien auf dem Programm. Und nur einer in Deutschland. Der war fünf Tage vor Weihnachten ausgerechnet in Dresden. Die spanischen Präferenzen mögen am dortigen Klima liegen, sowieso am New Yorker Winter, und sicherlich auch am Drehort des jüngsten Films. Siehe oben.

Woody Allen in Dresden! Das klingt wie ein gut gemeinter Witz, um irgendwen wegen irgendwas zu trösten. Ist aber tatsächlich wahr. In einem der hässlichsten Kulturtempel, den diese Welt aufzuweisen hat, tritt das Urgestein der melancholischen Komik auf. Und verzieht natürlich kaum mal die Mine. Setzt sich inmitten seiner New Orleans Jazz Band aufs Podium, sieht so aus, wie er aussieht: Hornbrille und Kordhose, und greift zur Klarinette.

Da fiept einem, ganz ehrlich, erst einmal die Sorge entgegen, wie der Mann diesen Abend überstehen will. Zunächst klingt er geradezu schwachbrüstig, zumal Simon Wettenhall und Jerry Zigmont an Trompete und Posaune für geblasenen Starkstrom sorgen, John Gill am Schlagwerk gediegen Südstaatenflair verbreitet, Pianist Conal Fowkes sich als exzellenter Tastenhai erweist und Bandleader Eddy Davis am Banjo perfekt zupft und irgendwie noch galant seinen Gesang zelebriert. Überhaupt: Beim Baumwoll-Jazz muss man, so scheint es, nicht singen können, dies dem Publikum aber selbstbewusst unter Beweis stellen. Lediglich der Mann am Klavier konnte es wirklich, nur Bassist Greg Cohen blieb bei seinen trefflich befingerten Saiten und verzichtete auf vokale Versuche; Woody Allen selbst charmierte sanglich erst im heftig erklatschten Zugabereigen.

Bis dahin freilich erklang so ziemlich alles, was Dixieland-Liebhaber favorisieren. Im Dixie-Dresden sind das bekanntlich Traditionals wie „Down by the Riverside“ und sowieso „Icecream“. Als Bearbeitungen von „O Tannenbaum“ und „Muss i denn, muss i denn, aus dem Städtele hinaus ...“ erkannt wurden, eruptierte der Jubel im Saal. Dass in der Musenstadt mal auf eins und drei und mal auf zwei und vier geklatscht wird, sei schlichtweg hingenommen, die auf Punktierung versessenen Rhythmusgruppen allerdings wirkten schon, höflich gesagt, recht originell.

Gut, das mögen Äußerlichkeiten sein. Inhaltsreich wirkten die Soli der grandiosen All-Star-Besetzung, das Versunkenscheinende des Klarinettisten, der sich im Laufe des knapp zweistündigen Konzertes zum selbstvergessenen Primus inter pari mauserte, die kongenialen Zuwürfe von Melodiebögen und Zurücknahme. Am Ende blieb ein, wenn auch nicht ausverkaufter, so doch für cirka einen Euro pro Minute recht gut bezahlter Abend mit unwiederbringlichem Hör- und Sehgenuss. Denn musizierende Oscar-Preisträger sind in Deutschland sonst eher rar, in Dresden sowieso exzeptionell. Das macht den teuer bezahlten Personenkult um Woody Allen auch wieder wett.

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