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Holz vor der Kunsthütte. Foto: Hufner
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Zwischen Timmelsjoch und Bochum: von Cage, your operas(europeras) und arte povera Reflexen

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Es war ein krasser Satz inmitten eines durchaus kessen Momentes, als der Ästhetikguru Bazon Brock, Brecht-inspiriert und frech wie Oskar, zu formulieren beliebte, dass die „Funktion der Künste vor allem in ihrer Wirkungslosigkeit zu sehen“ sei. Das war 1987. Und da war documenta acht. Von beiden haben wir gelernt, von Brecht und von Brock, dass es so nicht ganz richtig sein kann. Denn ein wenig vertieft hat sie sich selbst (und uns schon auch), die Sensibilität bei der Wahrnehmung und Verarbeitung unserer Beobachtungen. Nicht zuletzt dank der Künste. Nur Betrüger und Bekrieger gibt es weiterhin en masse.

Jetzt, anno 2012, ist dOCUMENTA(13). In diesem Jahr wird John Cages hundertster Geburtstag gefeiert auf einem der höchsten und steilsten Pässe der Alpen, auf dem Timmelsjoch. Da gibt Sabine Liebner dessen „Etudes Australes“ in mehreren Etappen zum besten. Als Programmpunkt des KLANGSPUREN-Festivals im weiten Rund um das tirolerische Schwaz herum. Und im Zentrum der ruhrtriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle. Da gab Heiner Goebbels mit einer ungemein ambitionierten Mannschaft die von John Cage konzipierte Re-Aktion auf die spezifisch europäische Gattung Oper zum besten. Und an unzähligen anderen Orten wird der Geniestreiche des unvergleichlichen und echt genialen Konzeptkünstlers, Musikdenkers und Komponisten sowie Partner des Tanz-Avantgardisten Merce Cunningham gedacht. 

Kassel erinnert sich seinerseits der kontemplativen Cage-Hommage von 1987 in der dortigen Karlskirche, oberhalb der Karlsaue, die sich als Kuratoren- und Künstlertreffpunkt in rauer Natur emanzipiert hat. Damals meinte der ebenso amerikanische wie geniale Mehrspartenkünstler John Cage, dass es nun genug sei der verdienstvollen Bemühungen, dem Publikum nur Augen und Ohren öffnen zu wollen. Denn gesellschaftliche Fragen würden drängen – was heute nicht anders ist. Immerhin basierte die kontemplative 36-Lautsprecher-Anordnung sehr inwendig und spirituell inspirierend auf der appellativen Basis, nicht aalglatter Funktionsträger allein sein zu sollen im gesellschaftlichen Kontext. Das vielstimmige Klangereignis der zarten Dimension handelte von der „Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“, einem Essay des amerikanischen Denkers Henry David Thoreau aus dem Jahr 1849. Ansonsten ist anno 2012 in Kassel zwar das eine oder auch andere Klangkonzept mit Anspruch in die Landschaft oder in die Halle gesetzt. Eingelöst als Erkenntnishilfe für dieses Bilder- und Klanggeflutete Zeitalter der maßlosen Ausuferung von Neid und Gier ist arg wenig. Es klingt Vieles nach netter, abgestandener Spielerei Da nimmt sich inmitten der uralten Baumpersönlichkeiten der Karlsaue jener stumme Stamm aus echter Bronze, gekrönt von echtem Stein des Giuseppe Penone als „Idee di Pietra“ (Ideas of Stone) wie ein stummer Klang aus, als später Reflex von (oder auf) arte povera. Nicht erst der dOCUMENTA (13)-Künstlerin Lara Favaretto mit ihrer Schrott-Gebirge-Komposition aus Eisen und Stahl, aus Beton und Keramik. Innere Stimmen klingen aus der Ferne, „Bilder werden Musik“. Gedanken kreisen rund um die Frage, was denn los ist mit der „Festivalitis“. Ob die nun eine Krankheit sei, eine ansteckende gar. Und solange an den jeweiligen Festspielorten die immer gleichen Künstler mit den immer identischen, angepassten, agenturgesteuerten Programmen agieren mag das zwar vor Ort nett sein für Hotellerie und die Arbeitsplatzstatistik, für die Logistiker bei Bahn und Bus, für Manager von Airlines und Flughäfen, für die ortsansässige Bevölkerung gar. Was alles zusammen ja nicht wenig ist. Vor dem Hintergrund der angestrebten Demokratisierung von Kunst. 

Träume emanzipieren sich mitten hinein ins Reale

Dem ursprünglichen Gedanken eines „Festspiels“ aber kann das nie kompatibel sein. Da sind es ein, zwei, drei von den ganz großen, angestammten, historisch gewachsenen Festspielen, die Akzente setzen beim Ausweiten nicht nur der Umsatzrendite. Vor allem innovative Ideen, die ausrangierte Zechen- und Produktionsstandorte nutzen jenseits der Guckkastenbühnen und Schuhschachtelkonzertsäle punkten da – wie etwa die Macher der ruhrtriennale schlüssig und stimmig beweisen – anhand von ausverkauften Spielstätten. Was ihnen mit John Cages „Europeras 1&2“ etwa gelang, trägt lang und weit und breit. Selbst wenn den Kritikern der staatstragenden Presse die Sängerqualität nicht gerade gepasst haben mag – was bedeutet das schon angesichts der unendlich vitalen und facettenreichen Phantasie auf der Bühne und im Bild und inmitten instrumentaler und gesanglicher Umsetzung der Freiheitsideale des Erdenkers John Cage. Da entwickeln sich echte Freiräume. Und Träume emanzipieren sich mitten hinein ins Reale. Da entsteht Kunst. Neue Kunst. 

Entsetzt über solche Art deutsch-gründelnder Gründlichkeit 

Wie war das einstens, vor langer, langer Zeit, an einem seidig irisierenden Hochsommerabend in sanft abflauender Hitze? Starnberger See Ostufer, bestrahlt vom späten Licht der sich gen Westen neigenden Sonne. Grossflächig verglast öffnet sich die Halle der Galerie Dany Keller der zum Ufer hin grünirisierend abfallenden Rasenfläche. Von ferne glitzert der See. John Cage ist da. Tout Munich ist da. Er führt „empty words“ auf. Ausschnitte. Sprache. Vokale. Laute. Klänge. Sätze. Stille. Assoziative Neugier. Gespannte Aufmerksamkeit. Angespannte Unruhe artikuliert sich da und dort, während die Sonne ihren ihr vorgegebenen Weg findet. Wer hier seinen traditionellen Begriff von außeraustralischer oder zentralmitteleuropäischer Kunstmusik als Raster übers Hören legt, der kann nicht richtig liegen. John Cage öffnet sich dem Gespräch. Sich dem Fragen der Fragenden geduldig, liebevoll zuwendend. Einer freilich gibt nicht nur den Teutonen sondern lebt ihn – einer Ästheten-Ästhetik-Habilitanden-Kaderschmiede entstammend. So Stur-deutsch. Blond-blauäugig, Unerträglich stochernd auf der Suche nach der „Wahrheit“, dem Kern der Erkenntnis, die eins-zu-eins erklärbar sein muss. Unfähigkeit zur Wahrnehmung einer neuen Organisation von Klang und Geräusch und Stille und Sprache wabert durch das sanft der Dämmerung sich annähernde Restlicht des Tages. Da kann dann freilich selbst der geduldigste John Cage über ein bestimmtes Maß hinaus die Ruhe aus sich selbst heraus nicht länger zügeln. Entsetzt über solche Art deutsch-gründelnder Gründlichkeit verlässt er den Aufführungsort und lässt uns ratlos alleine. Ratlos nicht über einen neuen Musikbegriff. Sondern ratlos und entsetzt über das Unvermögen eines Kulturbetriebsmitmischers, dem die Fähigkeit abhanden gekommen ist, hören zu wollen, hören zu können. Geschehenlassen zuzulassen... Einer gegen achtundneunzig und einen Einzigartigen. 

So einzigartig ist und wirkt John Cage im Jahr seines hundertsten Geburtstags, zwanzig Jahre nach seinem Tod, in die Kraftfelder des einundzwanzigsten Jahrhunderts hinein. Manch einer hat verstanden, zwischen Timmelsjoch und Bochum. 

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