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20.09.: theater und literatur - aktuell +++ theater...

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+++ Schauspiel Leipzig beginnt die Saison mit Crimps «Auf dem Land» +++ In den Grenzgebieten der Macht - Peter Sellars inszenierte für die Ruhr-Triennale «Die Herakliden» von Euripides +++ Nietzsches Bücher Tagung der Stiftung Weimarer Klassik +++ Zsusza Bánk erhält «aspekte»-Literaturpreis 2002 +++ Joseph-Breitbach-Preis in Mainz verliehen +++ Uraufführung von «d\'avant» an der Berliner Schaubühne +++ Auf der Suche nach dem Ostdeutschen - Über den neuen Status der «Bürger ohne DDR +++

Schauspiel Leipzig beginnt die Saison mit Crimps «Auf dem Land»
Leipzig (ddp-lsc). Mit der Premiere des Stücks «Auf dem Land» beginnt heute in der Neuen Szene die Spielzeit 2002/2003 am Schauspiel Leipzig. Der englische Autor Martin Crimp setzt sich darin erneut mit Kommunikationsschwierigkeiten im heutigen Großstadtleben auseinander. Von Crimps waren in Leipzig bereits «Der Handel mit Clair» und «Angriffe auf Anne» gespielt worden. Morgen hat das Frage-Antwort-Spiel «Quizoola!» Premiere. Die Performance aus Fragen und Antworten, die Frager und Befragte in absurde Situationen geraten lässt, wurde von der britischen Company «Forced Entertainment» entwickelt.

In den Grenzgebieten der Macht - Peter Sellars inszenierte für die Ruhr-Triennale «Die Herakliden» von Euripides
Bottrop (ddp-nrw). Den Spaß überlässt er lieber den anderen. Stattdessen setzt Gérard Mortier als Intendant der Ruhr-Triennale auf den Begriff der Freude. Dabei schwebt ihm die Freude am Nachdenken vor - an der an- und aufregenden Wirkung eines Festival-Programms, das sich mit gesellschaftspolitischen Phänomenen auseinandersetzen will. Darauf zumindest schwörte er das Publikum noch einmal vor Premierenbeginn des Antiken-Dramas «Children of Herakles» ein. Zum leicht verdaulichen Theaterabend wurde daher die Inszenierung des amerikanischen Star-Regisseur Peter Sellars nicht. In dem Bottroper Lichthof richtete er die griechische Tragödie von Euripides als ein aktuelles Polit-Stück über Vertreibung und Asyl ein, das das Publikum am Donnerstagabend mit einhelligem Beifall aufnahm. Peter Sellars, der seit seinen provokanten Inszenierungen gerade von Mozart-Opern als «Enfant terrible» des Regiefaches gilt, versteht dieses 2500 Jahre alte Stück als grundlegende Auseinandersetzung mit erzwungener Heimatlosigkeit. Dabei setzt er ganz auf die Kraft des Wortes, statt das Stück mit traditionellem Bühnen-Dekors und Kostümen zu versinnlichen. Bei Sellars gibt es Euripides pur, wenngleich in einer englischen Fassung mit deutschen Übertiteln. Das wiederum weist auf den internationalen Charakter dieser Produktion, aber auch auf die grenzüberschreitende Symbolkraft hin, die das antike Werk von Euripides mehr denn je besitzt. Die Geschichte um die acht vertriebenen Kinder des Herakles hat nichts an politischer Brisanz verloren: Sie werden zum Spielball der Mächte und der Götter, die in Athen Zuflucht finden und doch immer damit zu rechnen haben, dass sie in die alte Heimat zurückkehren müssen, wo sie der Tod erwartet. Das Drama transportierte Sellars nun auf die Bühne jenes Gebäudes aus den 20er Jahren, in dem ansonsten die Bottroper Berufsschule untergebracht ist. Danach wird die Inszenierung in Paris, Rom und New York gastieren. Auf der kargen Plattform entwickelt Sellars so mit einem internationalen Ensemble aus den USA, Jugoslawien und Rumänien die Sprachgewaltigkeit des Euripides unverschnörkelt, mit sparsam gesetzten Verbindungen zu unserer Zeit. Jolaus, der Weggefährte des Herakles und Beschützer seiner Kinder, ist ein von Kämpfen Geschundener und an den Rollstuhl Gefesselter. Während Demophon als Präsidentin Athens im strengen Kostüm zwischen staatlicher Pflicht und Gottesfügung hin- und hergerissen ist, hat Sellars acht kurdische Flüchtlingskinder um einen Altar gruppiert, auf dem eine Musikerin aus Kasachstan ihre Freiheitslieder singt. Und dennoch ist dieses Schauspiel von unmittelbarer Strenge und aufklärerischem Engagement, das den Betroffenheitston nur selten anstimmt. «Die Herakliden» bilden hierbei das Zentrum eines fünfstündigen Abends, der das Thema von Flucht und Immigration aus verschiedenen Blickwinkel betracht. Vor jeder Vorstellung soll es Referate von Soziologen und Politikern wie von der ehemaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) und dem Grünen-Politiker Cem Özdemir geben. Die wechselnden Moderatoren Herbert Feuerstein und Bettina Böttiger sprechen auch mit Asylanten über ihre Erfahrungen. (Internet: http://www.ruhrtriennale.de)

Nietzsches Bücher Tagung der Stiftung Weimarer Klassik
Weimar (ddp). Die rund 1200 Bücher zählende Privatbibliothek Friedrich Nietzsches (1844-1900) steht im Mittelpunkt einer internationalen Tagung der Stiftung Weimarer Klassik in Weimar. Experten aus sechs europäischen Ländern und Brasilien debattieren ab Montag drei Tage sowohl den Umgang des Philosophen mit Büchern als auch den Umgang mit dessen Büchern. Dabei gehe es um Gebrauch und Wirkungsgeschichte bis hin zur Erhaltung der Bibliothek Nietzsches als besonders interessantes Beispiel einer Schriftstellerbibliothek des 19. Jahrhunderts, teilte die Stiftung am Freitag mit. Die in großer Vollständigkeit überlieferte «nachgelassene Bibliothek» zählt zu den bedeutendsten Informationsquellen für die Nietzsche-Forschung. Sie bietet mit «Lesespuren» auf rund 18 000 Seiten, darunter Anstreichungen und Randbemerkungen des umstrittenen Philosophen, tiefe Einblicke in dessen Leben und Werk. In der zur Stiftung gehörenden Herzogin Anna Amalia Bibliothek, in deren Besitz sich die Bücher Nietzsches befinden, werde seit vergangenem Jahr an einem umfassenden Konzept zur Erhaltung des stark nachgefragten Bestandes gearbeitet. ( http://www.weimar-klassik.de)

Joseph-Breitbach-Preis in Mainz verliehen
Mainz (ddp-swe). In Mainz ist am Freitagabend zum vierten Mal der Joseph-Breitbach-Preis für Literatur verliehen worden. Der in diesem Jahr mit 120 000 Euro dotierte Preis ging zu gleichen Teilen an den Jerusalemer Schriftsteller Elazar Benyoëtz, die Lyrikerin Erika Burkart und an den Wiener Romanschriftsteller Robert Menasse. Der Joseph-Breitbach-Preis ist die höchstdotierte Literaturauszeichnung in Deutschland und wurde nach dem aus Koblenz stammenden Literaten und Mäzen Breitbach benannt. Der Preis wird seit 1998 von der Stiftung Joseph Breitbach und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz verliehen. Im Vorjahr waren damit der Dramatiker Thomas Hürlimann, der Erzähler Ingo Schulze und der Romanschriftsteller Dieter Wellershoff ausgezeichnet. Der seit 1939 in Jerusalem lebende Elazar Benyoëtz wurde für seine Aphorismen ausgezeichnet, an denen die Jury «das Knappe, Gedrängte, Antithetische, Spielerische, Hellsichtige, Meditative» würdigte. Es gelinge Benyoëtz, der Prosaform des Aphorismus durch Einbildungskraft, Metaphorik und sein Gespür für die Vieldeutigkeit von Worten einen poetischen Charakter zu geben, hieß es in der Laudatio. Die aus Althäusern in Aargau stammende Lyrikerin Erika Burkart wurde dagegen ebenso wie der Wiener Robert Menasse für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. An Burkarts Werk würdigte die Jury vor allem das «animistische Naturempfinden», das sich allmählich zu «evozierender Musik» wandele. Besonders in ihren neuen Gedichten erweise sich die Lyrikerin als «Meisterin der Wahrnehmung». Den Wiener Romanautor Menasse lobte die Jury als Geschichtsphilosophen und «Sprachmagier der Apokalypse». Besonders sein 2001 erschienener Roman «Die Vertreibung aus der Hölle» locke die Leser in immer neue Fallen und bestimme auf einzigartige Weise den erzählerischen Umgang mit der Geschichte neu.

Zsusza Bánk erhält «aspekte»-Literaturpreis 2002
Mainz (ddp). Die Schriftstellerin Zsusza Bánk erhält den «aspekte»-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt des Jahres 2002. Bánk beschreibe in ihrem ersten Roman «Der Schwimmer» einfühlsam und bewegend das Drama des Verlassenwerdens aus der Perspektive zweier Kinder, betonte das ZDF am Freitag in Mainz. Die Ehrung ist mit 7500 Euro dotiert. Der Preis wird in diesem Jahr zum 24. Mal von der ZDF-Redaktion «aspekte» vergeben. Der Jury gehören prominente Literaturkritiker aus Österreich, der Schweiz und Deutschland an. Zsusza Bánk wurde nach ZDF-Angaben 1965 als Tochter ungarischer Flüchtlinge in Frankfurt am Main geboren. Heute lebt und arbeitet sie als Autorin und Journalistin in ihrer Heimatstadt. Ihr Roman erzählt von Kata und Isti, für die eine Odyssee durch das ländliche Ungarn beginnt, als die Mutter in den Westen flieht, die aber nur eines der Geschwister überleben wird. Mit dem Vater, dem gebrochenen, schweigsamen «Schwimmer», ziehen die Kinder durchs Land, von Hof zu Hof, fremd an jedem Ort, überall eher geduldet als erwünscht. Zsuzsa Banks Roman sei «eine eindringliche Studie über die Einsamkeit und das Warten in einem Land, das nach dem Aufstand von 1956 gelähmt in eine ungewisse Zukunft blickt».

Uraufführung von «d\'avant» an der Berliner Schaubühne
erlin (ddp). Am Anfang war die Musik. Da steht ein Mann auf einem Rondell aus Ziegelsteinen, hebt die Arme und singt. Im Hintergrund ist eine Baustelle zu sehen, der Gesang aber verweist aufs Mittelalter. «d\'avant» (etwa: «von früher») heißt die erste Uraufführung dieser Spielzeit an der Berliner Schaubühne - und die Produktion ist ein kleines Meisterwerk geworden. Auch das Ende des Abends besteht aus reiner Musik. Die vier beteiligten Tänzer singen im Dunkeln, bis die Mystik der mittelalterlichen Tongefüge den sonst eher nüchternen Raumeindruck der Schaubühne völlig beherrscht. Das Premierenpublikum am Donnerstagabend war begeistert und feierte die Protagonisten mit lang anhaltendem Beifall. Zu «d\'avant» haben sich zwei Tänzerpaare zusammengefunden: Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet vom belgischen Tanzkollektiv «Les Ballet C. de la B.» und Juan Kruz de Garaio Esnaola und Luc Dunberry vom Sasha-Waltz-Ensemble der Schaubühne, die in diesen Tagen ihren 40. Geburtstag feiert. Vereint hat die Tänzer - und das bleibt auch das verbindende Element des Abends - die Liebe zur frühmittelalterlichen Vokalmusik. Singen und Tanzen bilden in dieser Arbeit eine Einheit. Für Juan Kruz de Garaio Esnaola machen beide Dinge auch keinen Unterschied: «Das Instrument ist der Körper. Er vibriert beim Singen und beim Tanzen.» «d\'avant» ist zugleich Auftakt eines neuen Themenfeldes, auf das sich zukünftig die Recherchen der Schaubühnen-Tanzabteilung beziehen werden: Nach den Körpererkundungen der letzten Jahren soll nun der Dialog zwischen Körper und Musik in den Mittelpunkt choreographischen Interesses rücken. Was «d\'avant» sehens- und hörenswert macht, ist die originelle Synthese aus mittelalterlicher Askese und zeitgenössischer Lebensart. Das Quartett, das selbst die choreographische und musikalische Einstudierung übernahm, probte für längere Zeit in Marseille - und die Eindrücke dieser Stadt haben sich in den Rhythmus der Produktion eingefräst. Ansonsten beherrscht die Lust an der Verwandlung den Abend: Aus dem mönchischen Kollektiv wird urplötzlich - mit Knall und Blitz - eine Boygroup unserer Tage, aus der Prozession der Büßer eine Friedensdemo. Aus dem andächtig singenden Chor werden zwei rivalisierende Banden, aus der Braut wird in Sekunden die Witwe und schließlich die Tote, die man begräbt. Das Sehvergnügen steht dem Hörvergnügen also in nichts nach. (Weitere Vorstellungen laufen am 20., 22. bis 24. September, Beginn ist jeweils 20.30 Uhr)

Auf der Suche nach dem Ostdeutschen - Über den neuen Status der «Bürger ohne DDR
Berlin (ddp-lth). Was sind die Ostdeutschen? Ein Begriff wirft Fragen auf. Handelt es sich bei ihnen schlicht und einfach um «gelernte DDR-Bürger»? Der Soziologe Wolfgang Engler sieht in einer solchen Zuordnung eher eine «ironische Distanz zu den politischen Gegebenheiten und zu sich selbst». Inzwischen hätte diese Spezies einen Wunsch verwirklich: Bürger ohne DDR sein. Seine Erfahrungen mit der Zuordnung hat er gebürtige Dresdner, der an der Berliner Schauspielschule «Ernst Busch» lehrt, in einem aktuellen Buch «Die Ostdeutschen als Avantgarde» zusammengefasst. Sein erstes wichtiges Fazit: die Bewohner der DDR geben sich nach dem Umsturz der politischen Verhältnisse und je mehr Zeit seitdem verstrichen ist, in immer höherem Maße als Ostdeutsche zu erkennen. Als Kronzeugen führt er einen Schweißer aus Wismar an, der in einem Dokumentarfilm Mitte der 90er Jahres feststellte: «Ich sage, der Ostdeutsche, ich weiß nicht, ob er´s noch is, er war früher aufgeschlossener allem gegenüber, er war persönlicher, geselliger, wir ham schöne Betriebsfeiern gehabt, mit Tanz mit Ehegatten ... Das gibt´s heute alles nicht mehr. Das war wie weggeblasen, obwohl die Menschen dieselben geblieben waren.» Wolfgang Engler kommt zu der Erkenntnis, dass sich die Verbundenheit mit Ostdeutschland im Verlaufe der vergangenen Jahre noch erhöht hat. Die emotional intensivste Bindung gilt einem Gebilde, welches es auf politischen Landkarten gar nicht mehr gibt. Und der Soziologe geht in seiner Einschätzung noch weiter. Er meint, in auffälligem Kontrast dazu kühlten die auf die Bundesrepublik als Ganzes gerichteten Gefühle seit Anfang der 90er Jahre steig ab. Arbeitslose würden zudem Bundesbürgergefühle seltener entwickeln als die Beschäftigten. Besserverdienende hätten insgesamt eine positivere Einstellung zum neuen Staat. Arbeiten in den neuen Bundesländern. Engler bedient sich bei der Beurteilung eines neutralen Zeugen. 1992 wurde ein leitender Angestellter des luxemburgischen Stahlkonzerns Arbed zur «Maxhütte» ins thüringische Unterwellenborn geschickt. Nur ein Jahr später nahm dort das weltweit modernste Elektrostahlwerk seine Arbeit auf, Wissenstransfer erfolgte nun von Ost nach West. Der Angestellte fasste seine Erfahrungen mit der auf ein Zehntel geschrumpften Belegschaft zusammen: «Der Minderwertigkeitskomplex ist völlig unberechtigt, die Leute hier sind niemandem unterlegen». Und doch erlebte der Osten Deutschlands nach der Wende einen industriellen Schrumpfungsprozess. Von der Wirtschaft blieb vielfach kaum mehr zurück als der berühmte «Staub von Brandenburg», schreibt der Autor nüchtern. Als Beleg führt er die Filmfabrik Wolfen mit ihren einst 15 000 Mitarbeiter ebenso an wie die beiden Kombinate des Werkzeugmaschinenbaus «Fritz Heckert» und «7. Oktober», die den Bezirk Karl-Marx-Stadt mit ihren 20 000 Beschäftigten einst sozial und ökonomisch prägten. Engler nennt das Absinken der Erwerbsarbeit alarmierend. Sie ging von 9,7 Millionen Arbeitsplätzen zum Ende der DDR auf real unter 6 Millionen im Jahr 2000 herunter. Die neue Zeit bringt Probleme, schätzt ein Handwerker aus dem Braunkohlenwerk in Borna ein. «Untergebuttert fühlen sich viele. Mit dieser Freundlichkeit und diesem Zusammengehörigkeitsgefühl von früher hat man heute keine Chancen auf dem Markt. Man muss sich mehr durchsetzen.» Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung zieht Wolfgang Engler ein überraschendes Resümee. «Ostdeutschland ist nach 1989 das geblieben, was es zu DDR-Zeiten war - eine Auswanderungsgesellschaft, nur daß heute nicht mehr Flucht und Vertreibung im Vordergrund stehen, keine politischen Motive, sondern, wie in gewissem Umfang früher auch, wirtschaftliche oder auf die Ausbildung bezogene. Damals waren und heute sind es wieder die Jüngeren, die gehen und die Zurückbleibenden im wörtlichen wie im übertragenen Sinn des Wortes als aussehen lassen. Unterdessen machen sich aber auch verstärkt reifere Jahrgänge auf den Weg nach Westen; lieber ein Neuanfang mit allen Risiken, als die Jahre bis zur Rente einfach nur abzusitzen.» ( Wolfgang Engler, «Die Ostdeutschen als Avantgarde», Aufbau-Verlag Berlin, ISBN 3-351-02545-9, 16,50 Euro.)
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