Die Ernennung Stefan Piendls zum Senior Vice President & COO, BMG Classics worldwide war ein kleiner Paukenschlag, denn sie bedeutete nicht weniger als ein klares Bekenntnis von Bertelsmann als einem der größten Konzerne der Unterhaltungsbranche zur Klassik. Stefan Piendls Weg in der Plattenbranche begann vor zwölf Jahren als Verkaufsleiter bei Sony Classical, bevor er als Marketing Director für EMI Classics/Virgin Classics arbeitete und später Managing Director BMG Ariola Classics GmbH (Germany, Switzerland, Austria) wurde. Jetzt verantwortet er die weltweiten Aktivitäten der Klassik-Labels RCA Red Seal, deutsche harmonia mundi und ARTE NOVA. Darüber hinaus gründete er das neue und innovative Adult Music Label „no, but yes!“, auf dem auch die beiden erfolgreichen Produktionen des Rilke-Projektes veröffentlicht wurden. Die unter seiner Leitung konzipierte und realisierte „First Authorized Edition“ (EMI Classics) mit Aufnahmen von Sergiu Celibidache und den Münchner Philharmonikern wie auch die Dokumentation zeitgenössischer Musik in der Edition „Musik in Deutschland 1950–2000“ (BMG Classics/RCA Red Seal) wurden mit einem ECHO Klassik-Deutscher Schallplattenpreis als beste editorische Leistung des Jahres ausgezeichnet. Stefan Piendl ist Mitglied des Vorstandes der Jeunesses Musicales Deutschland. Hans-Georg Buschendorf sprach für die nmz mit ihm.
: Herr Piendl, in einer Situation, in der überall orakelt wird, dass der Klassikmarkt zusammengebrochen ist, geht eine große Firma daran, jemanden mit Funktion und Titel auszustatten mit dem Auftrag, für die Klassik noch mal richtig durchzustarten – wie erklären Sie sich das?
Stefan Piendl: Man kann das ja unter zwei Aspekten betrachten. Der eine ist das Commitment in die Klassik und der Glaube auch in der jetzigen Situation im Bereich klassischer Musik wirtschaftlich erfolgreich arbeiten zu können. Und der andere ist der einer antizyklischen Investition als strategischer Schritt. Wenn nämlich ein Großteil der Wettbewerber sich eher zurückzieht, kann es klug sein, antizyklisch zu investieren und sich für einen Bereich stark zu machen, weil in einer solchen Situation ganz besondere Chancen liegen. Für uns in der Klassik heißt das, dass es im Moment sehr gute und sehr interessante und erfolgreiche Künstler ohne Plattenvertrag gibt und wir uns fragen: Warum machen wir denn jetzt nichts mit ihnen?!
: Die Argumente der Wettbewerber, die sich ja nicht grundlos zurückziehen, sind solche wie: Es rechnet sich nicht mehr, die Produktionen sind zu teuer, die Verkäufe zu gering. Mit diesen Umständen ist doch auch BMG Classics konfrontiert. . .
: Zum einen gibt es in der Tat Rahmenbedingungen, die es uns sehr schwer machen. Das Hauptproblem besteht meiner Ansicht nach darin, dass sich die Klassikliebhaber in den letzten zwanzig Jahren ihre CD-Sammlungen mit klassischem Standardrepertoire zusammengestellt haben. Es gibt viel zu wenig Neues, auch kommerziell interessantes Repertoire, das diese Sammlungen jetzt bereichern könnte. Das, was heute als zeitgenössische Klassik entsteht, wollen die meisten auf CD nicht haben.
Es gibt aber auch viele Probleme, die eigentlich keine sind. Die herbeigeredete Klassikkrise resultiert meines Erachtens auch daraus, dass man, Crossover und Klassik in einen Topf geworfen, von völlig überzogenen Verkaufserwartungen ausgeht. Beeinflusst durch Erfolge wie die „Drei Tenöre“ oder den Soundtrack von „Titanic“ hat man sich an vermeintliche Potenziale gewöhnt, die, wenn sie dann nicht erreicht werden, eine scheinbare Katastrophe sind. Wenn man das aber von vornherein trennt und den Bereich klassischer Musik nimmt als das, was er ist und immer war, dann ist die Situation gar nicht so negativ. Dramatisch daran ist, dass inzwischen so lange über die so genannte „Klassikkrise“ geredet wurde, dass sie zum Teil tatsächlich kam. Natürlich entstanden aus diesem negativen Klima ganz konkrete negative Folgen, die sich wie eine Kettenreaktion ergeben: Der Handel zum Beispiel reduzierte seine Verkaufsfläche für die Klassik, die Industrie, weil sie weniger verkauft, produziert weniger Klassik, das führt zu weniger Umsatz. Personal wird abgebaut und damit nicht zuletzt kreative Ressourcen. . .
: Spielen da nicht auch die enormen Kosten für die Produktion einer Klassik-CD eine entscheidende Rolle?
: Ich glaube, der Höhepunkt der Kostenentwicklung ist längst überschritten. Der Großteil der Künstler hat längst verstanden, dass Gagen wie zu Spitzenzeiten des CD-Booms nicht mehr gezahlt werden können. Gerade die Klassik-Künstler haben längst realisiert, dass sie von ihren Auftrittsgagen leben und die CD eher ein Dokument dazu ist.
: Welche Rolle spielen die neuen Medien in Ihren zukünftigen Überlegungen und Planungen? Die Lebensdauer der CD als solche wird ja inzwischen nur noch als eine kurze angesehen.
: Ich glaube, dass die Lebensdauer der CD deutlich länger ist, als momentan vielerseits geunkt wird. Ich glaube auch, dass der Königsweg für die neuen Formate wie Video-CD, SACD, oder DVD-Audio noch nicht gefunden ist. Es gibt verschiedene Entwicklungen, die man nachvollziehen und bis zu einem gewissen Grad auch mitmachen muss. Aber kurzfristig ist es noch schwierig, mit einem dieser neuen Medien wirklich erfolgreich zu sein. Natürlich wird unter den Künstlern auch über die neuen technischen Möglichkeiten gesprochen, aber den meisten ist wichtig, dass sie ihre Arbeit auf CD dokumentieren können.
: Was steht jetzt auf Ihrer Prioritätenliste für den Neuanfang, den Ihre Berufung ja zweifellos signalisiert?
: Zunächst mal geht es darum, ein Signal auszusenden, dass in Richtung Klassik auch Positives geschieht. Das geht natürlich am besten mit guten Produktionen, die bereits geplant und in Arbeit sind. Dazu kommen neue Vertragsabschlüsse mit hochkarätigen Künstlern.
Grundsätzlich denke ich, wenn man es richtig macht, ist alles möglich. Völlig unbekanntes Repertoire kann zum Beispiel erfolgreich vermarktet werden, wenn sich große Stars seiner annehmen – wenn jemand anderes als Cecilia Bartoli die Gluck-Aufnahmen gemacht hätte, wären sie wahrscheinlich kaum so erfolgreich geworden. Es geht aber auch andersherum: So kann man sehr bekanntes Repertoire mit eher unbekannten Künstlern machen. Bestes Beispiel sind die „Vier Jahreszeiten” mit dem „Venice Baroque Orchestra“ und Guiliano Carmigniola.
Man kann auch beides kombinieren, Beispiel: der große Erfolg von Simon Rattle und den neun Beethoven-Sinfonien – man hätte auch denken können: Wer braucht noch einen Beethoven-Zyklus?
: Die zeitgenössische Musik spielt im Konzertbereich eher eine untergeordnete Rolle. Welchen Stellenwert wird sie in Ihren Repertoireüberlegungen haben?
: Viele Zeitgenossen, die die Feuilletons und Kritikerherzen beherrschen, sind mit ihren Werken auf CD schlicht unverkäuflich. Worauf ich ein Augenmerk richten werde, ist erfolgreiches neues Repertoire. Neue Musik, die eine Chance hat, von den Leuten gehört zu werden, ich denke da an Komponisten wie Arvo Pärt, Michael Nyman, Philip Glass, John Adams oder Giya Kancheli. Ein Restrisiko bleibt natürlich immer, selbst bei einem tollen Komponisten kann es sein, dass sein neues Werk, so künstlerisch spannend und gut es sein mag, die kommerziellen Erwartungen nicht erfüllt. Hier sind wir aber schon mit verschiedenen Komponisten und Ensembles in Verhandlung.
: Glauben Sie an eine Vorbildwirkung auf andere Plattenfirmen, sich wieder mehr und eindeutiger für die Klassik zu engagieren?
: Ich würde es mir zumindest wünschen. Jedes positive Signal Richtung klassischer Musik ist hilfreich! Dazu zählen solche Ereignisse wie der Neubau der Philharmonie in Essen oder das Konzerthaus in Baden-Baden, das sich selbst finanziert und ohne Zuschüsse auskommt.
Es gibt im Moment mehr, die die Situation eher skeptisch und pessimistisch sehen, aber wir sind nicht die Einzigen, die sich optimistisch für die Klassik engagieren!