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Berlin (ddp-bln). «Reißt das Ding ab», brüllt ein Mann. Er ist um die 50, leicht untersetzt, nicht weiter auffällig. Nur für Sekundenbruchteile huscht ein überraschter Blick über die Gesichter der gerade für das Eröffnungsfoto posierenden Gruppe. Die Überraschung weicht einem milden Lächeln. Die Provokation ist verpufft als wäre nichts geschehen. Das Kulturprogramm startet.
Die von den Machern des Volkspalastes inszenierten Eröffnungsrituale «Volkslimousine», «Volksgruppenbild» und «Volksempfänger» verfehlen ihre Wirkung nicht. Viel zu feierlich ist die Stimmung, als dass solche Kleinigkeiten sie vermiesen könnten. Schließlich wurden die Premierengäste, die nun auf der Sockeltreppe vor dem Palast der Republik für das Gruppenfoto Haltung annehmen, mit der Limousine vorgefahren. Wenn auch nur eine Runde um den Schloßplatz.Das Foto ist gemacht, das rote Eröffnungsband zerschnitten, das nun seit 14 Jahren umstrittene Gebäude darf betreten werden. Wie ist der erste Eindruck? Nackte Stahlträger und Beton, so weit das Auge reicht, einem Parkhaus nicht unähnlich. Keine Spur mehr von Honeckers kleinbürgerlich-protzigem Lampenladen. Stattdessen Marcellas «Volkspostkartenladen», von dem Grußkarten in die ganze Welt verschickt werden können.
An der Palastfassade kommt es zur «Volksenthüllung». Das hat nichts mit Exhibitionismus zu tun und ist, präzise gesagt, eine Verhüllung. An jener Stelle, an der einst das DDR-Wappen prangte, entrollen zwei Fassadenkletterer ein «Volkspalast»-Transparent. Die Überstrapazierung des in Deutschland wahrlich nicht einfachen «Volks»-Begriffs hat Methode: Der entkernte Bau an sich wirkt so politisch wie eine Käseschachtel, nur die ideologische Füllung macht die Aussage. Ein «aktiver öffentlicher Ort der freien Kunstproduktion» soll entstehen, so die Macher.
Weiter hinten im Erdgeschoss wartet der «Volkslampenladen» auf Stehlampen. Das soll keine Anspielung auf DDR-Versorgungsengpässe sein: Wer eine Lampe mitbringt, bekommt freien Eintritt. Und die Leuchtenbringer sind noch nicht da. Nichts mitbringen außer etwas Mut muss man auf der «Volkswiese», zwei Rollrasenquadraten mit Ethnodekoration. Gilt es doch dort, «im Geiste Dean Reeds», jenes original amerikanischen DDR-Countrysängers, Lieder «Keine Macht für Niemand» oder auch «Guantanamera» zu schmettern.
Um 20.00 Uhr ist der Palast schon recht gut gefüllt, vom Baby bis zum Greis ist alles vertreten. Am Eingang ist eine Mittfünfzigerin dabei, «Volkspromi» zu werden. Diese Performance mimt eine live ins Gebäudeinnere übertragene TV-Starberichterstattung. Die Frau hat tatsächlich etwas zu erzählen, betritt sie doch gerade ihren ehemaligen Arbeitsplatz. Sie war für das Türen abschließen zuständig, «die schönsten fünf Jahre meines Lebens», wie sie sagt. Sie zehre heute noch davon.
Wer nicht fernsieht, hat ein kleines Radio am Ohr und hört - natürlich - «Volksradio». Das Thema? Die Eröffnung des Palastes im Jahre 2076, hundert Jahre nachdem Erich Honecker zum Dank für die Fertigstellung des «Palazzo Prozzo» 400 Bauarbeitern die Hand schüttelte.
Nach den politisch-intellektuellen Bekenntissen heizte die «Bolschewistische Kurkapelle» mit anarchistischer Blasmusik die Stimmung in dem aus Brandschutzgründen nur locker gefüllten Saal an. Pünktlich zum Partystart durften auch wieder Besucher ins Haus - die ältere Generation machte Platz für die jüngere. Die nahm den Palast ordentlich in Besitz, spielte mit einer (hineingeschmuggelten) Bierdose Fußball, feierte bis ins Morgengrauen und witterte vielleicht auch ein bisschen Morgenluft für den Erhalt des Palastes. Internet: http://www.volkspalast.com