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Das Notenarchiv des Musikhauses André atmet den Geist einer längst vergangenen Zeit. Wie diese „Zeitkapsel“ klingt, ist in diesem Jahr rund um Offenbach vielfach zu hören – auch ein Verdienst von (v.l.) Hans-Jörg André, Dr. Ralph Philipp Ziegler und Moritz André. Foto: Sophie Holler

Das Notenarchiv des Musikhauses André atmet den Geist einer längst vergangenen Zeit. Wie diese „Zeitkapsel“ klingt, ist in diesem Jahr rund um Offenbach vielfach zu hören – auch ein Verdienst von (v.l.) Hans-Jörg André, Dr. Ralph Philipp Ziegler und Moritz André. Foto: Sophie Holler

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Ein Flügel für Mozart

Untertitel
1774 wird in Offenbach die „Notenfabrique André“ gegründet
Vorspann / Teaser

Feinste Ware haben sie produziert, die Andrés. Sie waren zunächst fremd in Offenbach, kamen aber als Seidenfabrikanten bald zu Wohlstand und wurden zu anerkannten Bürgern. Eine Familie mit Migrationshintergrund. Als Hugenotten sahen sie sich nach dem Edikt von Fontainebleau (1685) um ihres Glaubens willen gezwungen, die provenzalische Heimat zu verlassen. Sie flohen zunächst nach Genf, zogen dann aber wie viele andere französische Protestanten nach Frankfurt am Main und 1709 von dort ins benachbarte Offenbach. Das war im frühen 18. Jahrhundert eine Stadt mit ausgeprägter Willkommenskultur, jedenfalls was die hugenottischen Flüchtlinge betraf.

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Feinste Ware erstehen die Andrés neun Jahrzehnte später: Sie kaufen Mozarts Witwe den musikalischen Nachlass ihres 1791 verstorbenen Ehemanns Wolfgang Amadeus ab. 3150 Gulden kosten die fast 300 Notenmanuskripte. Eine Investition, die sich lohnen sollte. Aus diesem Bestand heraus und auch aus dem, was zuvor schon von Mozart erworben worden war, publiziert die „Notenfabrique André“ mit der Zeit 79 Mozart-Erstausgaben, darunter die Kleine Nachtmusik, die Jupiter-Sinfonie oder das Krönungskonzert. Der Offenbacher Verlag wird zu einem der Motoren des Mozart’schen Erfolgs. Er macht diese Musik des Salzburger Kompositionsgenies spielbar, unabhängig von Raum und Zeit.

Es wäre vielleicht anders gekommen, hätte am 1. August 1774 nicht ein neues Kapitel in der Firmengeschichte begonnen. Johann André, kunstsinnig und musikaffin, richtet das Unternehmen anders aus. „Mit Gott!“ – so beginnt der 33-Jährige seine Einträge ins erste Journalbuch. Er wird Musikverleger und damit für viele Komponisten seiner Zeit zu einer Schlüsselfigur. Gedruckt zu werden, heißt im besten Falle gehört zu werden. Wenn sich die Musik verkaufen lässt. Und das tut sie: Das Angebot trifft auf Bedarf. Es hilft, dass Johann André in der Szene vernetzt ist. Acht Jahre arbeitet er in Berlin als Kapellmeister und Komponist; 1790 hat er, vermutlich, in Offenbach Mozart zu Besuch; der Frankfurter Goethe ist sein Freund.

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Seite an Seite zum Erfolg: der Drucktechniker Alois Senefelder (l.) und der Musikverleger Johann Anton André. Diese Bildnisse sind in Offenbach im Haus der Stadtgeschichte zu sehen. Foto: Claudia Irle-Utsch

Seite an Seite zum Erfolg: der Drucktechniker Alois Senefelder (l.) und der Musikverleger Johann Anton André. Diese Bildnisse sind in Offenbach im Haus der Stadtgeschichte zu sehen. Foto: Claudia Irle-Utsch

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Als Johann André 1799 stirbt, zählt der Offenbacher Verlag rund 50 Mitarbeitende und 1300 Verlagswerke. Sohn Johann Anton André übernimmt und gibt der Unternehmensgeschichte nicht nur mit dem Erwerb des Mozart-Nachlasses, sondern auch mit einer anderen klugen Entscheidung einen weiteren Schub: Er setzt auf eine drucktechnische Innovation, die Lithographie. André erwirbt das Patentrecht für dieses neue Druckverfahren und gewinnt den Erfinder Alois Senefelder für die Einrichtung von fünf neuen Steindruckpressen für den Offenbacher Verlag. Es sind sechs Klavierkonzerte von Mozart, die nach 1800 als frühe lithographische Notendrucke erscheinen. Mozarts Nachlass teilen die Erben von Johann Anton André später in sieben Teile auf. 1873 erwirbt die Königliche Bibliothek in Berlin 138 Handschriften, der Rest kommt bei Auktionen unter den Hammer.

André ist aber mehr als Mozart. „Seit 1803 und bis in die 1840er Jahre hinein erschien auch fast das gesamte Œuvre Ludwig van Beethovens in der Originalversion sowie in vielerlei Bearbeitungen“, schreibt André-Forscher Prof. Dr. Axel Beer im Festbuch zum 250. Gründungsjubiläum des Verlags. Die sogenannte Wiener Klassik sei „nicht nur quantitativ sehr prominent vertreten“. Vielmehr gehe ihre „spätere Rezeption als die eigentliche Grundlage des (bürgerlichen) Verständnisses von musikalischer Hochkultur“ wesentlich vom Haus André aus.

Am Ende sind es rund 18.000 Notendrucke, die der Verlag noch bis in die späten 1940er publiziert hat. Dazu gehören auch populärmusikalische Werke: von der Salonmusik bis zum Schlager, von Klavieretüden bis zum mehrstimmigen Volkslied für Männerchor. Man ging mit der Zeit – und: man bot ab 1828 in der Frankfurter Filiale auch die Instrumente an, auf denen sich die Musik aus dem Verlag spielen ließ.

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Auf dem Dachboden des Offenbacher Musikhauses André scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Foto: Claudia Irle-Utsch

Auf dem Dachboden des Offenbacher Musikhauses André scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Foto: Claudia Irle-Utsch

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Eine Zäsur in der Firmengeschichte markiert 1943 im Zuge der Bombardierung Offenbachs die vollständige Zerstörung der Druckerei an der Domstraße. Es ist ein Glück, dass das umfangreiche Archiv, das 1923 mit an den heutigen Standort des Musikhauses an der Frankfurter Straße zog, erhalten werden konnte. Unterm Dach und im Keller lagert ein Notenschatz. Zugänglich ist das Archiv nur zu Forschungs­zwecken; wer Zutritt hat, wähnt sich in einer längst vergangenen Zeit.

Einblicke in den Bestand öffnet 2024 die Veranstaltungsreihe zum Jubiläum. Unter der Überschrift „Mozart, An­dré, Offenbach – Der Klang der Zeitkapsel“ wird die Musik, die bei André verlegt worden ist, in der Region ­gespielt: bei Sinfoniekonzerten (u.a. Capitol Symphonie Orchester, 20.9., Alte Oper Frankfurt), bei Kammer-, Chor- und Orgelkonzerten, mit Angeboten für Kinder und thematischen Führungen und mit einer Sonderausstellung. Beim Festakt am 7. Juni stellen die Programmmacher Johann Anton Andrés Streichquartett aus Op. 14 den zeitgenössischen „Sketches on André“ von Christof Sänger gegenüber. 

Dieser Brückenschlag ins Heute bleibt im Jubiläumsjahr die Ausnahme. Hier gehe es zuallererst darum, exemplarisch zu zeigen, was an Repertoire bei André aufzuspüren sei, so Dr. Ralph Philipp Ziegler, bei dem als Leiter des Offenbacher Amts für Kulturmanagement die Konzeptfäden zusammenlaufen.

Hans-Jörg André führt das Unternehmen seit 1992 in der siebten Generation. Er freue sich darüber, „dass die eigene Faszination für diesen riesigen Notenschatz ansteckend wirkt“, sagt er. Und unterstreicht: „Wir waren die Leute, die kamen, als Flüchtlinge aus Glaubensgründen. Heute führen wir ein tolles Unternehmen. Diese Chancen gibt es immer und jederzeit!“ 

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