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EU-Verfassung

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Europäischer Einigungsprozess auf gemeinsamer kultureller Basis
Deutscher Kulturrat plädiert für adäquate Berücksichtigung der Kultur in der künftigen EU-Verfassung

Vorbemerkung

Der Deutsche Kulturrat sieht im europäischen Einigungsprozess nicht nur einen wesentlichen Bestandteil zur Sicherung des Friedens und des wirtschaftlichen Fortschritts, sondern insbesondere auch zur kulturellen Entwicklung. Die inzwischen über Jahrzehnte gewachsene Einigung der derzeitigen EU-Mitgliedsstaaten und die seit den 90er Jahren sich entwickelnde Annäherung der ostmitteleuropäischen Staaten, die der Europäischen Union beitreten wollen, zeigt, dass die Völker und Staaten Europas nach Jahrhunderten voller kriegerischer Auseinandersetzungen einig in dem Willen sind, auf der Grundlage friedlichen Zusammenlebens und gegenseitigen Verstehens Europa gemeinsam zu gestalten.

Kunst und Kultur waren stets verbindende Elemente zwischen den europäischen Staaten. Sie sind das eigentliche Fundament, auf dem der europäische Einigungsprozess aufbaut. Auch in den Zeiten der Konfrontation zwischen West und Ost boten Kunst und Kultur vielfältige Möglichkeiten des Austausches und der Kommunikation über Grenzen. Der kulturelle Austausch leistet einen wesentlichen Beitrag zum europäischen Einigungsprozess und, aufgrund gemeinsamer Wurzeln, zu einer sich entwickelnden Identität der Europäischen Union.

Die Freiheit der Kunst, des Wortes und der Literatur sind Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft. Dies muss in einer europäischen Verfassung festgeschrieben werden.

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt die Initiativen für eine Europäische Verfassung. Eine Europäische Verfassung wird das Zusammenwachsen Europas stärken. In einer Europäischen Verfassung müssen die grundlegenden Werte des einigen Europa Ausdruck finden. Darüber hinaus sollte sie die europäische Institutionen, ihre Aufgaben und ihr Zusammenwirken beschreiben.

Die im Jahr 2000 verabschiedete EU-Grundrechtscharta bietet nach Auffassung des Deutschen Kulturrates eine gute Ausgangsbasis für die Erarbeitung einer Europäischen Verfassung. Der Deutsche Kulturrat fordert jedoch mit Nachdruck die Übernahme der in der Präambel der EU-Grundrechtscharta formulierten Grundsätze der Würde der Person, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Er tritt für die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten sowie die Intensivierung der Zusammenarbeit und des Austausches auf dem Gebiet der Kultur und der kulturellen Bildung ein.

Die EU-Grundrechtscharta war der erste wichtige Schritt auf den Weg zu einer Europäischen Verfassung. Es darf aber in entscheidenden Fragen kein Zurückweichen hinter bereits besser fundierte Positionen wie zum Beispiel hinter Art. 27 Abs. 2 der UN-Menschenrechtserklärung zum geistigen Eigentum, den Pakt für soziale, ökonomische und kulturelle Rechte oder Art. 2 des Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Bildung stattfinden.

Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass über die EU-Grundrechtscharta hinaus in einer Europäischen Verfassung insbesondere folgende Aspekte angemessene Berücksichtigung finden:

Recht auf Teilhabe an der Kultur,
Einbeziehung von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen in europäische Entscheidungsprozesse,
Stärkung der Kulturverträglichkeitsklausel,
Meinungs- und Informationsfreiheit sowie Sicherung des Medienpluralismus,
Schutz der Urheber und des geistigen Eigentums,
öffentliche Förderung von Kunst und Kultur.
Recht auf Teilhabe an der Kultur

Europa ruht auf gemeinsamen kulturellen Fundamenten. Es hat auf der Grundlage seines gemeinschaftlichen kulturellen Erbes vielfältige nationale und regionale kulturelle Ausprägungen erfahren.

Der Deutsche Kulturrat fordert, dass in der EU-Verfassung das Recht auf Teilhabe an der Kultur festgeschrieben wird. Bildung setzt Kultur voraus, ebenso erschließt sich die Kultur erst durch Bildung. Kultur umfasst dabei die gesamte Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen, die aktive Rezeption, die Kultureinrichtungen sowie die Einrichtungen der kulturellen Bildung. Für die weitere Entwicklung der Gesellschaft ist die Zugänglichmachung der Kultur für jedermann unverzichtbar.

Einbeziehung von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen in europäische Entscheidungsprozesse

Die Koalitionsfreiheit ist eines der wichtigsten Rechte demokratischer Gesellschaften. In Vereinen und Verbänden schließen sich Personen zum Meinungs- und Informationsaustausch zusammen. In ihren Diskussionsprozessen werden Positionen erarbeitet, die über Einzelmeinungen hinausgehen. Vereine und Verbände geben damit abgestimmte Standpunkte wieder, die einen möglichst weitgehenden Konsens aus Einzelmeinungen bilden und mehrheitlich getragen werden.

In europäischen Entscheidungsprozessen werden vielfach Einzelmeinungen den abgestimmten Positionen noch vorgezogen. Der Deutsche Kulturrat vertritt die Auffassung, dass die Einbeziehung von Verbänden und Nichtregierungs-organisationen in europäische Entscheidungsprozesse die demokratische Legitimation der Europäischen Union stärken wird.

Stärkung der Kulturverträglichkeitsklausel

Mit der so genannten Kulturverträglichkeitsklausel hat die Europäische Union ein Instrument geschaffen, dass zur Sicherung von Kunst und Kultur beitragen soll. Alle politischen Maßnahmen sollen daraufhin geprüft werden, ob sie kulturverträglich sind oder ob durch sie die Kultur Schaden nehmen könnte.

Die Kulturverträglichkeitsklausel ist jedoch zur Zeit noch ein stumpfes Schwert, da sie nicht ausreichend konkretisiert ist. Der Deutsche Kulturrat fordert daher, in der Europäischen Verfassung festzulegen, wie die Prüfung auf Kulturverträglichkeit konkret auszugestalten ist. Die kontinuierliche Einbeziehung von Kultur-Verbänden in europäische Entscheidungsprozesse sieht der Deutsche Kulturrat als wichtigen Schritt zur Realisierung der Kulturverträglichkeitsklausel.

Meinungs- und Informationsfreiheit sowie Sicherung des Medienpluralismus,

Durch Artikel 11 der Grundrechtscharta wird die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit gesichert.

Der Deutsche Kulturrat ist der Überzeugung, dass die Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Films sowie der sonstigen an die Allgemeinheit gerichteten Kommunikation gesichert sein muss. Die Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie ist zwingend mit der "Pressefreiheit" verbunden.

Der Deutsche Kulturrat schließt sich Forderungen an, dass Artikel 11 der Grundrechtscharta wie folgt geändert werden soll:

Das Recht der freien Meinungsäußerung wird gewährleistet. Ebenso wird das Recht gewährleistet, sich aus allgemein zugänglichen Quellen umfassend zu informieren. Dies schließt insbesondere den Zugang zu kulturellen Angeboten und Angeboten der Bildung ein.
Die Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Films und der sonstigen an die Allgemeinheit gerichteten Kommunikation wird gewährleistet.
Der Rundfunk dient der Information durch umfassende und wahrheitsgemäße Berichterstattung und durch die Verbreitung von Meinungen. Er trägt zur Bildung und Unterhaltung bei. Er ist Medium und Faktor des Prozesses freier Meinungsbildung. Er trägt der kulturellen Vielfalt in Europa Rechnung und fördert die europäische Integration. Er nimmt damit eine öffentliche Aufgabe wahr und ist darum unabhängig in der Programmgestaltung. Unbeschadet des Angebots privatwirtschaftlichen Rundfunks, werden Bestand und Entwicklung von Rundfunk in öffentlicher Trägerschaft gewährleistet.
Auf rundfunkähnliche Mediendienste sind diese Bestimmungen entsprechend anzuwenden.
Eine Zensur findet nicht statt.
Schutz der Urheber und des geistigen Eigentums

Der Schutz des geistigen Eigentums hat in allen europäischen Ländern einen hohen Stellenwert. Der Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht nicht zuletzt Investitionen in Forschung und Entwicklung. Der Schutz des geistigen Eigentums ist die Grundvoraussetzung für das kulturelle Leben.

Der in Art. 17 Abs. 2 der EU-Grundrechtscharta formulierte Satz "Geistiges Eigentum wird geschützt" wird nach Auffassung des Deutschen Kulturrates der Bedeutung, die dem Schutz des geistigen Eigentums zukommt, nicht gerecht. Durch die unmittelbare Anknüpfung an das in Abs. 1 von Art. 17 behandelte materielle Eigentum beschränkt sich die Formulierung auf die vermögensrechtliche Seite des geistigen Eigentums. Es kann nicht angehen, dass das ebenso wichtige Urheberpersönlichkeitsrecht (Droit moral) unberücksichtigt bleibt.

Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 10.12.1948 Art. 27 Abs 2 heißt es: "Jedermann hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die sich für ihn als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst ergeben." Der Deutsche Kulturrat ist der Auffassung, dass eine Europäische Verfassung hinter diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen nicht zurückfallen darf.

Des weiteren hält es der Deutsche Kulturrat für geboten, den im oben erwähnten Passus der allgemeinen Menschenrechte verwendeten Begriff des "Urhebers" durch den des "Schöpfers" zu ersetzen. Damit würde dem heutigen Stand der Diskussion Rechnung getragen.

Öffentliche Förderung von Kunst und Kultur

Die Öffentliche Kulturförderung sichert ein vielfältiges kulturelles Leben nicht nur in den Metropolen, sondern auch in den Regionen. Öffentliche Kulturförderung ermöglicht darüber hinaus, dass auch kommerziell nicht erfolgreiche Kunst Verbreitung findet.

Die Verpflichtung zur öffentlichen Kulturförderung muss daher Bestandteil einer Europäischen Verfassung sein.

Berlin, den 24.09.2002