Die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine gemeinsame Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums und des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, die auf eine Entscheidung des Bundestages zurückgeht. Sie begann 2007 mit dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission, 2009 schloss sich die Studie gesamtwirtschaftliche Perspektiven der Kultur- und Kreativwirtschaft an. Diese mündete schließlich Ende 2009 in der Gründung des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft und 2010 in die Einrichtung der Regionalbüros. Die nmz sprach mit dem Bayerischen Ansprechpartner des Kompetenzzentrums Kultur- & Kreativwirtschaft des Bundes, Jürgen Enninger.
nmz: Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es eigentlich schon lange. Dass sie staatlich gefördert wird, ist dagegen relativ neu. Sie sind für Bayern zuständig, wie steht es hier um den Bereich?
Enninger: Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat ein Potenzial, das mit der Automobilwirtschaft vergleichbar ist. Bayern ist Standort großer Automobilunternehmen, die stark im Fokus der Politik stehen. Mit der Kultur- und Kreativwirtschaft haben wir allerdings einen ebenso großen Wirtschaftsbereich, der sich 2009 nochmal stark weiterentwickelt hat. Der Umsatz ist infolge der Wirtschaftskrise dort nicht so stark zurückgegangen wie der der Automobilindustrie, und interessanterweise hat auch die Anzahl der abhängig Beschäftigten in der Kultur- und Kreativwirtschaft zugenommen. Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes mit seinen acht regionalen Ansprechpartnern bietet dieser boomenden Branche kostenlose Orientierungsberatungen für Kreativschaffende und Kulturunternehmer an. In Bayern ist die Nachfrage so hoch, dass an manchen Sprechtagorten schon Anfang des Jahres bis zum Ende des Jahres keine Termine mehr zu bekommen waren. Der Ausbau des Projekts ist daher für Bayern eine vordringliche Aufgabe. Damit dieser Branche endlich die gleiche strukturpolitische Beachtung entgegengebracht wird wie anderen gleichbedeutenden Branchen.
nmz: Sie sprechen von „abhängig Beschäftigten“. Man stellt sich bei Kreativen, zum Beispiel in der Designwirtschaft, aber doch eher kleinere Unternehmen vor?
Enninger: Richtig. Wenn man die Freiberufler dazu zählt, kommt man noch auf eine sehr viel größere Zahl an Beschäftigungen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist stark durch freiberufliche Tätigkeiten und Kleinstunternehmen oder Firmen bis rund zwei bis fünf Mitarbeitern gekennzeichnet. Beschäftigungsformen ab 50 Mitarbeiter sind in der Kultur- und Kreativwirtschaft schon etwas Außergewöhnliches.
nmz: Welchen Part übernimmt denn bei Ihnen die Förderung der Musikwirtschaft?
Enninger: Es geht uns immer um den privatwirtschaftlichen Sektor, nicht um den öffentlichen oder intermediären Sektor, nicht um Vereine, Verbände oder große Opernhäuser, die überwiegend öffentlich gefördert werden. Es geht uns darum, Kreativschaffende, Künstler und Kulturunternehmer, eben auch Musiker, Komponisten, Musiklehrer oder Instrumentenbauer in ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung zu unterstützen.
nmz: Wie sieht denn dann konkret Ihr Alltag aus?
Enninger: Unser wichtigstes kostenloses Angebot ist die Orientierungsberatung. Die Kreativen, die mir eine E-Mail schreiben oder mich anrufen, bekommen einen Termin von mir. Mir ist wichtig, dass sie wissen, dass man mich einfach kontaktieren kann. Ich bin ein Dienstleister, kein Amt! Wenn zum Beispiel Bands zu uns kommen, beraten wir sie, wie man Sponsoren einwirbt, Eintrittspreise gestaltet, wie man unabhängig von öffentlicher Förderung wird oder ein Event organisiert. Aber auch Fragen der GEMA landen bei uns. Zentral beschäftigt unsere Kunden: Wie versuche ich, mich nicht unter Wert zu verkaufen? Wie kann ich von dem leben, was ich künstlerisch mache? Ab wann lohnt es sich als Komponist, GEMA-Mitglied zu werden? Im Bereich der Musikschulen: Wie komme ich an zusätzliche Lehrer, Schülerinnen und Schüler?
nmz: Wie nehmen Sie denn Ihren Kunden zum Beispiel die Angst vor der GEMA?
Enninger: Die GEMA ist für mich einfach ein Dienstleister. Nicht die Branche arbeitet für sie, sondern umgekehrt. Als Künstler sollte man solche Dienstleistungen in Anspruch nehmen, anrufen und Fragen stellen. Wir versuchen ein paar Brücken zu bauen. Wenn ich mich selbst als Komponist und wirtschaftlichen Akteur ernst nehme und von dem, was ich mache, leben möchte, dann sollte ich auch GEMA-Mitglied werden, vor allem, um mitentscheiden zu können.
nmz: In diesem Zusammenhang: Wie viel Prozent Ihrer Arbeit innerhalb der Teilbranchen macht denn die Musik aus?
Enninger: Aufgrund meiner persönlichen Biographie ist der Anteil der Musikwirtschaft bei mir persönlich ein größerer. Die Leute kommen einfach, weil sie mich kennen, zum Beispiel aus dem Umfeld des Verbands unabhängiger Musikunternehmer e.V. (VUT). Mir macht das Spaß, weil ich vorher als Unternehmer im Musikbereich tätig war. Damals konnte man einfach nicht neutral sein, weil man stets die eigene Firma im Fokus hatte. Jetzt, als regionaler Ansprechpartner, sehe ich erst die ganze Fülle an Geschäftsideen.
nmz: Bei uns in der Redaktion ist das Thema Kreativwirtschaft in den letzten Jahren immer präsenter geworden…
Enninger: Die Branche ist stark gewachsen, das ist auch in Bayern außergewöhnlich zu spüren. Kultur- und Kreativwirtschaft wird im Gegensatz zum produzierenden Gewerbe immer wichtiger. Seit die Bundesregierung Kultur- und Kreativwirtschaft definiert hat, haben wir einen Begriff dafür, mit dem sich die einzelnen Akteure aber nicht unbedingt identifizieren. Es gibt noch eine geringe Identifikation mit der Branche und wenig Lobbyarbeit. Das ist kein Vorwurf, sondern ein Ergebnis der Vielfalt. Diese Branche ist unglaublich heterogen, daher haben wir keine prägnanten „Gesichter“. Die Autoindustrie zum Beispiel kann mit wenig Firmen 95 Prozent der Wirtschaftsleistung abbilden. In der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es diese Gesichter schlichtweg nicht. Deswegen haben wir gemeinsam mit dem u-institut für unternehmerisches Denken und Handeln einen Wettbewerb initiiert: „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland“. Wir versuchen so der Branche ein Gesicht zu geben, indem wir jedes Jahr 32 Unternehmerinnen und Unternehmer küren, die dann stellvertretend für die Branche ihre Ideen präsentieren.
Das Gespräch führte Andreas Kolb