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KünstlerInnen und kleine Labels sind Gewinner fundamentaler Veränderungen in der Musikbranche: Sie standen im Mittelpunkt einer Konferenz von mica – music austria in Wien.
Wien, 12./13. November 2007: Die Digitalisierung verändert das Musikgeschäft derzeit fundamental. Vor allem das Internet entwickelt sich immer stärker zum interaktiven Medium, der Musikfan gestaltet als „Prosumer“ sein eigenes Musik-, Film- und Informationsprogramm. KünstlerInnen und Netlabels nutzen das Internet als Vertriebsweg und bieten ihre Musik selbständig oder mit eigenen Partnern, aber ohne Plattenfirma zum Download an. Werden freischaffende KünstlerInnen und kleine Labels in Zukunft noch stärker von dieser veränderten Situation profitieren und sich zunehmend von der Macht der Musikindustrie befreien können? Diese und andere aktuelle Schlüsselfragen für Musikschaffende und Kulturinteressierte diskutieren internationale ExpertInnen auf der Fach-Konferenz „The fan, the music and the net“, die am 12. und 13. November bei mica – music austria in Wien stattfand.Alles bleibt anders scheint das Credo der Branche zu sein. Die großen alten Akteure der Musikindustrie kämpfen mit sinkenden Umsatzzahlen. Das Ende der CD – einst als Datenspeicher für die Ewigkeit gefeiert – ist prophezeit. Der Strukturwandel in der Musikbranche, der sich beispielsweise in Verkürzungen und Veränderungen in der Wertschöpfungskette zeigt, hat allerdings viele Vorteile für die Kreativen und die Fans. mica-Geschäftsführer Peter Rantasa: „Diese Entwicklung ist eine einmalige Chance, endlich jene zu stärken, die für die Musik die wichtigsten Beteiligten sind – die Kreativen und die leidenschaftlichen HörerInnen. Die Wirtschaft soll die Rolle einnehmen, die ihr gebührt: nämlich diesen beiden zu dienen.“
Zentrale Forderungen an die Politik
Die Politik hinkt der Entwicklung in der Branche hinterher. Die Rechtslage ist noch auf die Bedürfnisse der „old music economy“ ausgerichtet. Das Umfeld für MusikerInnen hat sich jedoch stark verändert. Zurückgehender Tonträgerabsatz, neues Urheberrecht und immer stärker notwendige Selbstvermarktung der KünstlerInnen machen es notwendig, dass die Rahmenbedingungen durch die Politik verbessert werden. Die ExpertInnen waren sich einig: Besonders wichtig ist eine bessere Koordination der Förderstellen und eine zeitgemäße MusikerInnen-Ausbildung, die auch Technologie-, Rechts- und Marketingwissen vermittelt. Denn die veränderte Marktsituation bringt auch neue Jobprofile im Musiksektor mit sich.
So forderte Peter Jenner in seinem vielbeachteten Report zum digitalen Musikgeschäft ”Beyond the Soundbytes”, dass die Regierungen ”darauf achten sollten, die Musikindustrie mit ihren Aktivitäten nicht weiter zu destabilisieren”. Stattdessen sollten sie alle Seiten der ”alten” und ”neuen” Industrie dazu bringen, neue Vereinbarungen hinsichtlich der Parameter der zukünftigen Musikindustrie einzugehen. Es sei wichtig, daß die Regierungen den Dialog fördern, wobei die KonsumentInnen stark einbezogen werden sollten.
Die britische Regierung, hat dafür ein gutes Beispiel gegeben: 2005 trat in Großbritannien der ”Licensing Act” in Kraft, bei dem es in erster Linie um vereinfachte Lizenzbestimmungen für öffenliche Lokale wie Clubs und Pubs ging. Um die Auswirkungen dieser Gesetzesreform auf die Livemusik im Lande zu beobachten, wurde das British Live Music Forum gegründet. Den Vorsitz übernahm Feargal Sharkey, früher Popstar (mit den Untertones und als Solokünstler), danach Musikmanager. Im Juli dieses Jahres hat das British Live Music Forum einen umfassenden Bericht, in dessen Erstellung alle beteiligten Parteien einbezogen waren, vorgelegt - mit klaren Empfehlungen an die bitische Regierung.
Fair Music
Dieser Strukturwandel der Musikbranche bietet zugleich auch den Hintergrund und neue, innovative Möglichkeiten für die von der fair music – Initiative geforderten fairen Standards in der Musikwirtschaft. Unter der Federführung von mica – music austria werden gemeinsam mit dem Internationalen Musikrat (IMC) und NGOs aus Musik und Kultur im Rahmen von fair music Parameter für die Zertifizierung und Auszeichnung von fair produzierter und vermarkteter Musik entwickelt. So werden die KonsumentInnen durch eine Qualitätsauszeichnung unterstützt, die transparent macht, wo Musik im jeweiligen gesetzlichen Rahmen unter fairen Bedingungen produziert und gehandelt wurde.
Die Downloadplattformhttp://www.magnatune.com , die von deren Vizepräsidentin Teresa Malango auf der Konferenz präsentiert wurde, hat einige dieser Forderungen bereits umgesetzt. “Magnatune ist bestrebt, sowohl gegenüber den KünstlerInnen als auch gegenüber den KonsumentInnen fair zu sein, indem wir alle Einnahmen aus dem Albumverkauf mit den KünstlerInnen teilen, wobei diese die Rechte an ihrer Musik behalten. Nach der ’try before you buy’-Philosophie können sämtliche Musikstücke in voller Länge kostenfrei angehört werden“, erklärt Malango das Geschäftsmodell.
Gute Ideen und neue Wege sind erfolgreich
Einen eigenen Weg gehen die Einstürzenden Neubauten. Alexander Hacke, Bassist der Band, präsentierte auf der Konferenz das seit Jahren erfolgreich praktizierte Subskriptionsmodell. Fans werden gegen Zahlung eine einmaligen Gebühr Mitglieder eines Supporterkreises und erhalten damit Zugang zu einem geschützten Bereich der Band-Website. Dort finden sie regelmäßige Webcasts, die einen Einblick in die Arbeit der Band an einem neuen Album bieten sowie Chats und Foren zum gegenseitigen Austausch. Die Band nutzt den Mitgliedsbeitrag zur Finanzierung des Albums, das der Supporter per Post zugeschickt bekommt.
Die Zukunft des digitalen Musikvertriebs
Im praxisorientierten Workshop zu Strategien in der Online-Vermarktung machten zahlreiche Erfahrungsberichte deutlich, dass es dank der technologischen Revolution auch ohne und vor allem gut ohne die großen Big Player der Branche geht. Günter Loibl, Erfinder und Inhaber von „rebeat digital“ gründete vor sieben Jahren einen eigenen Musikvertrieb. Er entwickelte eine Software, die es jedem ermöglicht, eigene Songs leicht, unkompliziert und kostengünstig in wichtigen, weltweiten legalen Downloadportalen für Musik zu platzieren.
Einem anderen Geschäftsmodell liegt Jamendo.com zugrunde. Romain Becker, zuständig für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, erklärte, wie die Firma das Internet und neueste technische Entwicklungen nutzt, um den Künstlerinnen den Zugang zu einem globalen Publikum zu ermöglichen. ”Auf Jamendo veröffentlichen die KünstlerInnen ihre Musik unter den Creative Commons Lizenzen. Sie erlauben die Musik kostenlos zu laden, zu mixen und mit anderen zu teilen. Jamendo ermöglicht die Verbreitung über Peer-to-Peer-Netze.” Moritz Sauer, Journalist, Buchautor, Webdesigner und Chefredakteur von Phlow.net sieht in gut organisierten unabhängigen Labels „die Zukunft der digitalen Musikdistribution für KünstlerInnen, die von der Musikindustrie abgelehnt werden.“
Zum Thema Selbstvermarktung präsentierte Clemens Fantur von FM4 einige erfolgreiche Beispiele im Web und Mariann Unterluggauer von Ö1 zeigte, wie KünstlerInnen die Instrumente des viralen Marketings nutzen können, um sich im Internet erfolgreich selbst zu vermarkten.
Gastgeber dieser Konferenz war mica – music austria. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit WienModern 07 und im Rahmen des von der EU geförderten Projekts DMET, Digital Music Education and Traning, statt.
Zum Projekt DMET - Digital Music Education and Training
Die EU fördert das Projekt „DMET - Digital Music Education and Training“ im Rahmen des Programms Culture 2000. Innerhalb von drei Jahren wird ein Curriculum „Digitales Musikgeschäft“ erstellt und etabliert. Es dient zur Ausbildung von professionell tätigen Musikschaffenden. Initiator und Projektleiter dieses internationalen Projekts ist mica – music austria.
mica – music austria
mica – music austria, 1994 gegründet, ist ein Servicezentrum für in Österreich lebende Musikschaffende. Die Non-Profit-Organisation ist eine zentrale Schnittstelle und verbindet Musikschaffende, Multiplikatoren und Musikinteressierte. Die Vermittlung von Information, Praxiswissen und Impulsen für alle Akteure des zeitgenössischen Musiklebens erfolgt kostenlos.
http://www.mica.at http://www.fairmusic.net