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Nachlese zur Popkomm: Musikbranche verschläft innovative Trends

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Düsseldorf/Berlin, www.ne-na.de - Der Veranstalter lobte die 16. Auflage der Popkomm in Berlin als gelungenen Neuanfang, die Branche beschwört weiter die ewige Haltbarkeit des Geschäftsmodells CD und diverse Vertreter aus Politik und Kultur diskutieren über „Deutsch-Quoten“ für Radiosender zur Stärkung der nationalen Musik und Musikbranche. Alles wird nun gut? „Tatsache ist, dass die Messe keine Antworten gegeben hat.

Faktisch hat, und das zeigt gerade aktuell der Verkauf der Download-Plattform Phonoline an T-Online, die Musikbranche in Deutschland nicht nur das Thema Internet-Download verschlafen, sondern war dann verspätet auch gar nicht in der Lage, es zum Erfolg zu bringen. Also weg damit, so die Parole, und hin zur Billig-CD, mit der BMG das schon lange rückläufige CD-Geschäft wieder ankurbeln will. Ein spätes Eingeständnis für ein überteuertes Produkt, von den Labels seit Jahren damit begründet, dass die Künstler so teuer sind. Wenn das zutrifft, so ist auch die Billig-CD keine Lösung. Dem Trend zur digitalen Musikbibliothek hat sich die Branche in Berlin also erneut verschlossen. Vielleicht hofft man auf Flankenschutz durch den Mobilfunk, wo heute mit Klingeltönen viel Geld für wenig Leistung erwirtschaftet wird, und glaubt den Mobilfunknetzbetreibern die Story von der Zukunft des Musikdownloads auf das Handy. Die versuchen derzeit, qualitativ extrem abgemagerte Versionen von Poptiteln ebenfalls überteuert an jugendliche Konsumenten loszuwerden. Die Musikbranche ist also auch weiterhin selbst nicht in der Lage, neue Geschäftsmodelle umzusetzen“, so der Musikexperte Ralf Sürtenich vom Düsseldorfer Beratungshaus insieme network . http://www.insieme-network.com.

Dazu passe auch die Forderung nach Einführung einer „Deutsch-Quote“: „Jedes Abspielen eines Titel im Radio bringt Geld. Die deutschen Labels schielen vor allen Dingen auf die Steigerung des eigenen Umsatzes. Nichts anderes steckt hinter der aktuellen Diskussion. Dass deutsche Künstler auch mit englischen Titeln erfolgreich sein können, darauf hatte die Branche in Deutschland gerade mit Formaten wie ‚Deutschland sucht den Superstar’ und diversen Ablegern gesetzt. Dort zählte aber nur Englisch, von Deutsch-Quote war nie die Rede. Gleichzeitig war dieses Format der geradezu geniale Versuch, auch die teure Aufbauphase von neuen Stars von Anfang an gewinnbringend zu vermarkten. Leider funktioniert der Retorten-Mechanismus nur bedingt - die Medienbranche verwechselte eine Art parodistisches Soap-Format im TV mit echtem Erfolg - und die Musikbranche hat damit ihr eigentliches Problem, den Rückgang der Tonträgerverkäufe, nicht kurieren können“, kritisiert Sürtenich.
Dass deutsche Künstler sowohl mit englischen Titeln – Beispiel Sarah Connor – und auch mit deutschen Titeln – Beispiel Sabrina Setlur – sehr erfolgreich sein können, zeige deutlich genug, dass Radio-Quoten damit wenig zu tun haben. Sarah Connor bringe ihre Leistungen auf einem internationalen Niveau, und Sabrina Setlur habe aus dem Umfeld des „Rödelheim Hartreim Projekt“ kommend mit einem ganz eigenen Stil den Erfolg gefunden. „Dass nicht viele solcher erfolgreichen Beispiele im Pop-Bereich unter deutschen Künstlern zu finden sind, liegt eben nicht an einer fehlenden Radio-Quote, sondern eher an der wenig entwickelten Basis. Die Major Labels fahren längst alle einen massiven Sparkurs, was die Investition in Newcomer angeht. Daher werden die bereits in den USA oder Großbritannien erfolgreichen CDs in Deutschland verlegt – ein Trend zur Risikominimierung“, betont Sürtenich. Der Erfolg der „Neuen Deutschen Welle“ Anfang der 80er Jahren sei nicht wiederholbar. „Zu groß sind längst die Alternativen für Unterhaltung und Freizeitvergnügen, der Stellenwert von Pop-Musik hat deutlich nachgelassen. Profitable Mega-Stars aufbauen, ohne in Newcomer zu investieren, diese Rechnung geht nun mal nicht auf, oder anders formuliert: no risk, no fun“, betont Sürtenich. Auch dürfe man beim Thema „Radio“ als Medium und Kommunikationskanal für Pop-Musik nicht übersehen, dass die Hörer die Freiheit haben, sich ihren Sender auszusuchen. „Der Erfolg von Radio Luxemburg in den sechziger und siebziger Jahren lag vor allem an der mangelnden Attraktivität der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender, bis dann mit neuen Sendern wie SWF3 endlich die Landesrundfunkanstalten nachzogen. Deutsch-Quoten für das Radio werden also kaum etwas an der Qualität und dem Erfolg deutscher Künstler ändern“, ist sich Sürtenich sicher.

Die Musikbranche stehe vor einer grundsätzlichen Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells. Weder mit CD-Brennern kopierte CD’s noch MP3-Tauschbörsen im Internet seien das grundsätzliche Problem der Branche. „Das von der Branche erzeugte und verkaufte Produkt ist immer noch stereophone Ware, die auf einem physikalischen Tonträger angeboten wird. Es muss hinterfragt werden, ob dieses Geschäftsmodell noch trägt in einer Zeit, in der viele Haushalte, die dem an Unterhaltungstechnik und Multimedia hochgradig interessierten Marktsegment angehören, über Breitband-Internet und CD-Brenner verfügen. Die Technik mobiler Abspielgeräte geht ohnehin bereits rasant in Richtung der tonträgerlosen MP3-Technik. Und selbst bei den stationären HiFi-Anlagen dominieren multimediale Surround-Lösungen, deren eigentliche Möglichkeiten erst mit audiovisuellen DVD’s zum Tragen kommen“, führt Sürtenich weiter aus.

Das Internet als neue, universelle Multimedia-Plattform biete für die Musikbranche, für das Radio und auch für das Fernsehen ganz neue und enorme Möglichkeiten. Hier sind andere Geschäftsmodelle gefragt, und hier liegt auch die Innovationslücke der Musikbranche. CD-Läden werden genauso wie Videotheken verschwinden, diese Tatsache muss die Branche antizipieren und sich auf ein Geschäft über das Internet einstellen, genauso wie auf ein verändertes Freizeitverhalten des vernetzten Konsumenten. Dass das Internet zu einer überwältigenden Globalisierung beiträgt, gilt für die Musikbranche genauso wie für alle anderen Branchen. Ob Maori-Musik aus Neuseeland oder türkischer Rap aus Köln: alles ist nur einen Mausclick weit entfernt. Sind die technischen Voraussetzungen – Speicher und Bandbreite – gegeben, kann praktisch jeder ein Webstream-Radio betreiben und findet Musik jeder Sparte auf einem der bereits zu tausenden existierenden Webstreams. Diese Vielfältigkeit und Universalität steht möglicherweise dem zukünftigen Dauererfolg weniger Mega-Stars entgegen, hier müsste die Branche grundlegend ihre Geschäftsstrategie überarbeiten und andere Ansätze wählen“, fordert Sürtenich.

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