Bei den zehn Adele-Konzerten in München wurden Pressefotografen und Kamerateams ausgesperrt. Akkreditierungen wurden verweigert. Vier vorgefilterte Bilder hätten Medien beim Veranstalter ordern können. In der Öffentlichkeit kursierte die Floskel, Adele hätte das so gewünscht. Das Problem reicht offensichtlich tiefer. Der Bayerische Journalistenverband (BJV) hat heftig moniert. Und der Deutsche Journalistenverband fordert einmal mehr von den Vermietern: „Ohne freie Berichterstattung keine Halle“.
Söder schweigt noch
Diese DJV-Forderung an die Vermieter ist bei Adele etwas sensibel. Mitgesellschafter der Messe München GmbH ist neben der Stadt München auch der Freistaat Bayern. Unsere Anfrage unter anderem zur Pressefreiheitsklausel an die Bayerische Staatskanzlei wandert zunächst zu Hubert Aiwangers Wirtschaftsministerium und von dort zur Beantwortung an die Messe München GmbH. Dass wenig Substanzielles zur politischen Frage von dort kommt, verwundert nicht. Zweiter Versuch direkt an den auch sonst nicht medienscheuen Ministerpräsidenten Markus Söder, um zu erfragen, wie das Land Bayern als Mitgesellschafter diese Einschränkung generell und im konkreten Fall bewertet? Auch wollen wir wissen, ob der buchstäbliche Freistaat in Punkto Pressefreiheit jenen Unternehmen Vorgaben macht, an denen er selbst beteiligt ist, oder ob geplant oder in Arbeit ist, solche Leitlinien bei seinen Beteiligungsverhältnissen zu erstellen.
Es ist Urlaubszeit. Schweigt der Freistaat Bayern deshalb? Parallel erfährt die Öffentlichkeit, dass Ministerpräsident Söder im Urlaub Pistazieneis, Marmorkuchen und Waldmeisterbrause schätzt. Niemand vergönnt es ihm! Aber Vorfälle mit dem Ausschluss kritischer Journalisten gab es mit dem gleichen Veranstalter und auf dem gleichen Gelände schon vor zwei Jahren. Der BJV hatte schon damals gefordert „eine Pressefreiheitsklausel in die Verträge von öffentlich kontrollierten Veranstaltungsorten aufzunehmen.“ Was hat der Anteilseigner Bayern seither unternommen? Gerade deshalb, weil es diese Vorgeschichte gibt!
Apropos Vorgeschichte: Einschränkungen für Bildberichterstattungen sind ja nicht erst seit Adele am explodieren. Gerade Live Nation steht hier explizit in der Kritik. Wer 40 Jahre im Fotograben verbracht hat, weiß um die Veränderungen und gewachsenen Restriktionen. Und das ist kein europäisches Problem. In den USA hat die Fotografin Lizzy Davis 2019 mit einem Offenen Brief an Live Nation für Aufsehen gesorgt, als sie ihre Repressalien detailliert schilderte. Woraufhin sich sogar Michael Rapino, CEO von Live Nation persönlich bei ihr meldete. Geändert hat sich seither subjektiv nichts, wie Fotografen auch in Deutschland berichten. Im Gegenteil: selbst einer der Granden, der x-fach von Rolling Stones bis Michael Jackson fast alles abgelichtet hat, schreibt, dass es seit 2022 bei großen Acts kaum noch Akkreditierungen gäbe.
„First three songs no flash!“ Der Standardspruch für Konzertfotografen ist längst Geschichte. Früher hieß es, danach seien manche Künstler zu verschwitzt für Bilder. Wenn heute gute Handyvideos zu tausenden im Internet stehen, ist der Schweiß plötzlich kein Thema mehr. Trotzdem sind vorgelegte Fotoverträge für Medien vielfach eine Farce, enthalten auch urheberrechtliche Abstrusitäten, die in Europa und Deutschland gegen geltende Gesetze verstoßen.
Es gilt dennoch: unterschreiben oder draußen bleiben!
Fairerweise muss aber erwähnt werden, dass es auch Künstler und Agenturen gibt, die immer noch respektvoll und offen mit Medien umgehen. Einen interessanten Kommentar hat dennoch schon 2017 die „rocknews.ch“ verfasst und unter dem Titel „Wie doof sind wir eigentlich?“ selbstkritisch über Akkreditierungsverbote und Akkreditierungswillkür geschrieben: „Warum läuft das denn so? Zuerst und zuallererst, weil arrogante Großkonzerne wie Live Nation das Business kaputt machen und es nicht für nötig befinden, transparent und direkt zu kommunizieren. Wir alle werden in den nächsten Jahren erleben, was es bedeutet, dass dieser Konzern immer mehr einkauft und immer mehr monopolisiert.“
Die Daten untermauern das längst. Live Nation zählt laut eigenem Aktionärsbericht Mehrheitsbeteiligungen an über 300 Veranstaltungsorten (Stand 2023). PollStars berichtete schon 2022, dass sich 88 der 100 größten Arenen in den USA befänden und davon 56 von Live Nation betrieben würden. Der Konzern hat aber auch zahllose Künstlerinnen und Künstler an sich gebunden. Wer auf deren Website die Liste der Artists durchsucht, sitzt Stunden und bekommt glasige Augen ob der großen Namen. Zum Konzern gehören auch etliche andere relevante Unternehmen. Gerade kritisch in der Schusslinie, der Dienstleister Ticketmaster. Branchenkenner Berthold Seliger hat in seinen Publikationen schon lange multipliziert, dass die Gelddruckmaschine weniger die Konzerteinnahmen sind, sondern die wesentlichen Mehreinnahmen aus den Ticketverkaufsdienstleistungen kommen. Das scheint die US-Regierung jetzt ähnlich zu sehen.
Der „Spiegel“ titelte am 23. Mai 2024: „US-Regierung will Ticketmaster-Mutterkonzern zerschlagen“ und schrieb: „Das US-Justizministerium und 30 Bundesstaaten haben eine Kartellklage gegen Live Nation eingereicht. Der Konzern und seine Tochter Ticketmaster sollen die Preise für Konzertkarten illegal in die Höhe getrieben haben.“ Natürlich gilt die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss. Aber die Vorwürfe sind laut Spiegel massiv: „Justizminister Garland warf Live Nation vor, durch wettbewerbswidriges Verhalten eine ‚monopolistische Kontrolle über die Live-Events-Branche auszuüben, die auf Kosten der Fans, Künstler, kleineren Veranstalter und Betreiber von Veranstaltungsorten geht.‘ In der Klage wird laut Spiegel-Bericht „Live Nation auch beschuldigt, Drohungen und Repressalien gegen Betreiber von Veranstaltungsorten einzusetzen, um diese von der Kooperation mit Konkurrenten abzuhalten“. Das bezieht sich auf den Live Nation Mutterkonzern in den USA.
Und was hat das mit der Bildberichterstattung von Fotografen zu tun? BJV-Vorsitzender Harald Stocker sieht eine Monetarisierungsoption in den Sozialen Medien. „Selektive Löschungen von Fanbeiträgen könnten darauf hindeuten, dass mit den Fotos und Videos der Fans Geld verdient“ werden könnte. Das mutmaßen Brancheninsider schon länger. Als erstes käme die Safe-Hülle für die Handys, angeblich, damit selbige die Künstler nicht mehr stören. Es wird für die Zukunft ein Szenario prognostiziert, dass man gegen einen Aufschlag auf das Ticket das Handy gewissermaßen freikaufen könnte, um für den privaten Gebrauch (auch auf Social Media) ein Video erstellen zu können.
Dann muss aber auch der Münchner Adele-Veranstalter professioneller werden, denn wie die Screenshot-Collage auf Seite 17 dokumentiert, hat es ein ausländischer Adele-Besucher in München sogar geschafft, mit einer Profisystemkamera plus Zoom bis in die Arena zu kommen und Bilder in einem Online-Forum zu posten.
Und für den BJV-Vorsitzenden Stocker ist klar: „Die Pressekonferenz (Anm. der Veranstalter zu den Dimensionen des Events) am 16. Juli 2024 war im Nachhinein heuchlerisch und dreist. Ich vermute, der Veranstalter wusste schon lange, dass Adeles Management die Medien ausschließt.“ Was nun, Herr Vermieter Söder, der Sie auch selbst ein Adele-Konzert besucht haben?
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