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Wie bewertet man ein Streichinstrument?

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13. Internationaler Geigenbau-Wettbewerb in Cremona
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„Mit diesem Moment habe ich nicht gerechnet.“ Überwältigt steht Ulrike Dederer auf der Bühne des Cremoneser Ponchielli-Theaters, in der einen Hand das Mikrofon, in der anderen einen großem Blumenstrauß. Sie strahlt ins Publikum, bevor sie mit einem Augenzwinkern auf italienisch erklärt: „Ich hab meine Rede nicht zu Hause mit einer Champagnerflasche geprobt, so wie die Hollywood-Schauspielerinnen vor der Oscarverleihung.“ Die junge Geigenbauerin mit Werkstatt in der Schweiz bekommt an diesem Abend zwar keinen Academy Award, dafür aber die höchste Auszeichnung des Internationalen Geigenbau-Wettbewerbs „Antonio Stradivari“: die Goldmedaille.

Es ist das erste Mal in der Geschichte des renommierten Wettbewerbs, dass eine Frau für ihr Streichinstrument einen ersten Preis gewinnt. Der ausgeglichene, beseelte Klang von Ulrike Dederers Viola hat die Jury überzeugt. Zusätzlich zur Goldmedaille ist der erste Preis für die beste Geige beziehungsweise Bratsche mit 15.000 Euro dotiert, bei den Celli und Kontrabässen mit 23.000 Euro. 

Die „Medaglia d’oro“ für die beste Violine geht an den Deutschen Ulrich Hinsberger. Tief bewegt und ein wenig zurückhaltend betritt er die Bühne, um seine Urkunde entgegenzunehmen. Die Leistung, sich mit seinem Instrument unter 271 eingesandten Geigen durchgesetzt zu haben, belohnt das Publikum mit tosendem Applaus. Jubelrufe gibt es auch für den Erbauer des besten Kontrabasses, Marco Nolli. Er ist an diesem Abend der Fußball-Star unter den Geigenbauern. Mit hochgerissenen Armen und Kusshand in die Rän­ge­ genießt er seinen Sieg. „Sono dav­vero emozionato – ich bin wirklich  bewegt“, verkündete er und umarmte die Jury. Für ihn ist der Wettbewerb ein Heimspiel: Nolli kommt aus Cremona und hat anscheinend die gesamte heimische Musiker- und Geigenbauer-Szene als Fanclub dabei. Ein erster Preis für das beste Violoncello wird bei der feierlichen Gala übrigens nicht vergeben.

Alle drei Jahre trägt die „Fondazione Stradivari“ den weltweit wichtigsten Wettbewerb für Geigenbau aus, und das seit 1976. Wenn es soweit ist, ist ganz Cremona auf den Beinen. An jeder Straßenecke finden sich Hinweisschilder, in der Auslage einer Bäckerei liegt eine Violine samt Bogen zwischen Mandelgebäck und Nougat, und das Schaufenster der Modeboutique gegenüber ist mit einer überdimensionalen Geigenschnecke dekoriert. Die italienische Kleinstadt und Heimat Stradivaris und Guarneris ist eben die stolze „Città del violino“ – und zur Triennale erst recht. 

Über 460 Streichinstrumente haben Geigenbauer aus insgesamt 34 Nationen eingesandt. Spitzenreiter bei der Teilnahme ist Italien mit über 100 Wettbewerbsteilnehmern. Im Vergleich: Aus Deutschland haben sich 26 Geigenbauer angemeldet. Bewertet werden die Instrumente von einer internationalen Jury aus Europa, den USA, China und Japan. Hier treffen im wahrsten Sinne des Wortes verschiedene Welten aufeinander: Die zehnköpfige Jury besteht nämlich einerseits aus fünf Instrumentalisten, andererseits fünf Experten im Streichinstrumentenbau. Letztere prüfen zunächst alle eingeschickten Violinen, Violen, Celli und Bässe auf ihre hand­­werklich einwandfreie Fertigung; die ausgewählten Instrumente werden dann an die Musiker-Jury weitergegeben. Acht Tage lang testen und hören die Juroren. Wie ist die Ansprache des Instruments? Klingen die Saiten ausgeglichen? Wie variabel ist der Ton? 

Für acht Kriterien, sowohl künstlerisch-handwerkliche als auch akus­tische, werden Punkte vergeben. Ein schwieriger Prozess, denn gerade das Außergewöhnliche eines Instruments entziehe sich oft klar definierbarer Parameter, so der Cellist Julius Berger, einziger Deutscher in der Jury. Für ihn ist die Diskussion um „dieses gewisse Etwas“ ein wichtiger und lehrreicher Teil der Begegnung zwischen Musikern und Instrumentenbauern: „Da empfindet ein Geigenbauer ein Instrument für unglaublich gelungen und diese Meinung geht manchmal überhaupt nicht einher mit der Beurteilung der Instrumentalisten. Aber manchmal eben doch. Und das ist das Spannende.“ Die Entscheidung, welche Instrumente am Ende die gesamte Jury überzeugen, fällt schließlich beim öffentliche Akustiktest. Hinter einer schwarzen Leinwand werden die Instrumente angespielt, immer nach dem gleichen Prinzip. Erst Tonleitern, dann ein kleines Solostück, dann ein Werk mit Klavierbegleitung. Einige dieser Stücke erklingen dann noch einmal im Anschluss an die Preisverleihung, als die Mitglieder der Musiker­jury die Siegerinstrumente im festlichen Ambiente des Theaters erklingen lassen. Eine Herausforderung für die Instrumentalisten, immerhin haben sie nur einen Tag Zeit gehabt, sich nach dem anstrengenden Auswahl-Prozedere auf den Instrumenten einzuspielen. 

Der Kontrast zum Streicherklang wartet nach der Gala draußen vor der Theatertür. Schiefe, aber fröhliche Bläserfanfaren feiern die Wettbewerbs-Sieger. Und während diese den Abend auf dem Domplatz gemütlich bei einem Glas Wein ausklingen lassen, befinden sich die eigentlichen Stars der Geigenbau-Olympiade schon auf dem Weg ins neuerbaute „Museo del violino“. Dort nämlich werden die Siegerinstrumente von nun an in einer Dauerausstellung gezeigt.

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