Body
Mangelnde Kooperation an Berliner Opernhäusern: Schlöndorff zeigt Janaceks «Aus einem Totenhaus» +++ Waltz inszeniert «Dido an Aeneas»
Janacek contra Purcell - Zwei Premieren am selben Abend - Volker Schlöndorff zeigt Janaceks «Aus einem Totenhaus»Berlin (ddp-bln). Es sind fast 30 Jahre vergangen, seit Filmregisseur Volker Schlöndorff («Die Blechtrommel», «Tod eines Handlungsreisenden», «Der neunte Tag») seine erste Opern-Regiearbeit vorgelegt hat. Das war 1976 an der Deutschen Oper Berlin. Nun kehrte der erfolgsverwöhnte Regisseur dorthin zurück und zeigte am Samstagabend seine Interpretation von Leos Janaceks 1930 uraufgeführtem Meisterwerk «Aus einem Totenhaus». Für eine handwerklich solide Inszenierung erntete er am Ende braven Applaus, während Sänger und Orchester weit mehr Annerkennung einheimsten.
Einmal mehr sorgte an diesem Abend die mangelnde Koordination unter den Berliner Opernhäusern für ein großes Ärgernis: Nicht nur Schlöndorff hatte zur Premiere eingeladen, sondern drei Stunden zuvor auch die Star-Choreografin Sasha Waltz, die an der Staatsoper Unter den Linden ihre erste Opernarbeit präsentierte. Damit solche Pannen künftig nicht mehr passieren, soll der neue Chef der Opernstiftung, Michael Schindhelm, ab 2006 ein wachsames Auge auf die Koordination haben.
Janacek berichtet in seiner Oper, ähnlich wie Schlöndorff in seinem jüngsten Kinofilm «Der neunte Tag», vom Leben in einem Gefangenenlager. 1927 hatte Janacek die «Aufzeichnungen aus einem Totenhaus» von Dostojewski gelesen, die das Leben von Sträflingen im Sibirien des 19. Jahrhunderts beschreiben und in denen der Dichter selbst seinen Aufenthalt in einer solchen Strafkolonie verarbeitet. Janacek war davon so beeindruckt, dass er daraus sofort ein Libretto für eine Oper zusammenstellte. Mit der Vorlage ging der Komponist allerdings sehr frei um.
Ganz werkgetreu bleibt Schlöndorff im Sibirien des 19. Jahrhunderts. Eine politische Inszenierung wolle er nicht machen, und stelle daher nicht einen Gulag unter Stalin oder ein Konzentrationslager in der Nazi-Zeit dar, hatte er zuvor angekündigt. Im Vordergrund steht die Einsamkeit der inhaftierten Männer, abgeschottet von aller menschlichen Gesellschaft und ohne Kommunikation mit der Außenwelt. Zu zweit aneinandergekettet genügt die geringste Kleinigkeit, um die Gefangenen voller Aggressivität aus der Haut fahren zu lassen. Doch für ihre Einsamkeit findet der Regisseur keine Bilder, die über die naturalistische Darstellung hinausgehen.
Zentral auf der Bühne stehen zwei Gerippe von «Toten»-Häusern, die den Sträflingen als Nachtlager, nicht aber als Zufluchtstätte dienen. Einzig die Landschaft im Hintergrund macht ein wenig deutlich, wie es im Inneren der zwangsweise verketteten Männer aussieht: mal eisig, frostig in kältestarrendem Blau, mal im wärmeren Abendlicht in Rottöne getaucht.
Eine Entwicklung im Sinne eines Dramas findet in Janaceks «Totenhaus» nicht statt. Vor der gelegentlich wechselnden Naturkulisse berichten die Gefangenen ihren Mitbewohnern, warum sie in diese unwirtliche Gegend gebracht wurden, was sie verbrochen haben. So entstehen Porträts von Menschen am Rande der russischen Gesellschaft. Sie leiden, sie beschönigen nichts, im Gegenteil: Sie klagen sich selbst als Mörder an und warten auf Erlösung. Das ist der berühmte «göttliche Funke», den Janacek in Dostojewskis Menschenschilderung so sehr bewunderte.
Der in Deutsch gesungene Opernabend bot gesanglich solide Partien, allen voran von Robin Johannsen, Rene Kollo, Walter Pauritsch und Lenus Carlson. Die musikalische Leitung hatte Adam Fischer.
Angelika Rausch
http://www.deutschoperberlin.de
Kopfüber in die Mythologie - Sasha Waltz inszeniert «Dido an Aeneas» als barocke Wasserspiele - Oper und Tanz vereint
Berlin (ddp-bln). Ein riesiges Aquarium beherrscht die Bühne der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Auf seinem Rand flanieren einzelne Personen. Plötzlich setzt eine von ihnen zum schäumenden Hechtsprung in die Fluten an und die Oper beginnt: «Dido and Aeneas», das barocke Werk von Henry Purcell, in der Inszenierung von Sasha Waltz. Die europaweit gefeierte Choreografin hat sich für ihre erste Opernarbeit ein Stück ausgesucht, das auch im Original mit Balletteinlagen durchsetzt ist. Immer wieder nehmen ihre Tänzer die Wellenbewegungen der Fluten auch auf dem Trockenen auf. Am Samstagabend feierte Waltz mit ihrem Opernerstling umjubelte Deutschlandpremiere in Berlin.
Im Original der 1689 uraufgeführten Oper waren die Tanzeinlagen eher Lückenfüller, denn das Werk ist insgesamt kaum mehr als eine Stunde lang. Dass sich Sasha Waltz mit dieser Rolle des Tanzes nicht zufrieden geben würde, war absehbar. Sie lässt weitere Tritonen nebst Zivilisten in voller Montur dem Springer in das blassgrün beleuchtete Nass folgen, das die Gestade des Mittelmeeres symbolisiert. Waltz taucht ein in die furiose Musik Purcells. Die Oper aus dem Sagenkreis um den Trojanischen Krieg spielt in Karthago, der Stadt an der Küste Afrikas und Dido ist die Tochter des dortigen Herrschers.
Dass sich die Choreografin für «Dido and Aeneas» entschieden hat, liegt neben ihrer Liebe zu Alter Musik auch daran, dass das Werk ihr Raum lässt für eigene Tanzimprovisationen, wie sie sagt. So schickt sie ihre Tänzer auch ohne Musik auf die Bühne, findet im und außerhalb des Wassers farbenfrohe Bilder für die Geschichte um die beiden Liebenden, die zueinander nicht kommen dürfen. Zuweilen ist die Regisseurin selbst so verliebt in diese Bilder, dass sie diese ins Absurde steigert. So etwa, wenn sie den Drill in einer Tanzcompagnie mit einem peitschenschwingenden und näselnd französisch sprechenden Choreografen in die Handlung einflicht.
Das raumgreifende Aquarium ist aber nicht nur der Hingucker des Abends, sondern bietet auch den beleuchteten Hintergrund für einen musikalischen Prolog, den es eigentlich gar nicht gibt. Nur die Texte blieben vom Vorspiel der Oper enthalten, dessen mögliche Musik ist gar nicht überliefert. Dafür schuf der musikalische Leiter des Abends, Attilio Cremonesi, eine Neufassung nach historischem Vorbild und mit musikalischem Material Purcells. In diesem Prolog, der vom Ruhmesgesang der Liebe durch die Wassergötter handelt, beschäftigt sich die Regisseurin/Choreografin ausführlich mit dem Thema Wasser.
Da sich bei Sasha Waltz\' Crossover der Tanz mehr und mehr in den Vordergrund schiebt, versäumt es die Choreografin, die Geschichte von Dido und Aeneas als dramatische Liebesgeschichte nachvollziehbar zu erzählen. Zu sehr überlässt es die Regisseurin den Tänzern, die Gefühle der Protagonisten zu verbildlichen. Sie führen vom Schicksal des antiken Personals weg, indem sie es verfremden oder auch nur kommentieren. Aber auch diese Abstraktion bringt eigene Bilderwelten hervor, die Purcells Musik eindringlich funkeln lässt.
Die Inszenierung ist ein Gemeinschaftswerk von Sasha Waltz & Guests, Attilo Cremonesi, der wunderbaren Akademie für Alte Musik Berlin, dem jungen Vocalconsort Berlin und den Gesangssolisten des Abends, Aurore Ugolin (Dido) und Reuben Willcox (Aeneas). Ihre erste Aufführung erlebte die Inszenierung Ende Januar in Luxemburg. Dort wie auch in Berlin herrschte am Ende des Stückes vollkommene Stille im Publikum. Ein ganzer Saal ist verzaubert und hat sich von den Wellen mitreißen lassen.
Angelika Rausch
http://www.staatsoper-berlin.de
Dass die Rezensentin ein Doppelleben führt und zwei gleichzeitig laufende Premieren rezensieren kann, ist wohl nur dadurch zu erklären, dass für eine der beiden Rezensionen die Generalprobe herhalten musste. (Anm., nmz)