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Wagner-Fans auf Entzug - Nach 25 Jahren liefert Thomas Langhoff in München eine karge Neudeutung der «Meistersinger» ab
München (ddp-bay). Die Wogen der Empörung schlugen hoch, als der Vorhang im Münchner Nationaltheater nach viereinhalb Stunden gefallen war. Ein Buh-Orkan tobte sich am Dienstagabend über dem Berliner Regisseur Thomas Langhoff für seine Neuinszenierung von Richard Wagners «Die Meistersinger von Nürnberg» aus. 25 Jahre lang hatte August Everdings gutmütig-betuliche Inszenierung von 1979 die Bühne beherrscht. Jetzt wagte Langhoff zur Eröffnung der diesjährigen Münchner Opernfestspiele eine neue Deutung des Stoffes - und fiel durch.Schon rein optisch hatte Bühnenbildner Gottfried Pilz das Publikum auf Entzug gesetzt. Die Nürnberger Katharinenkirche, wo sich das Liebespaar Eva und Stolzing erstmals begegnen: ein karger protestantischer Nachkriegsbau, der sich alsbald in den Versammlungsraum des «Nürnberger Poesie e.V.» verwandelt. Hier agieren die Meistersinger - Hans Sachs, Sixtus Beckmesse, Veit Pogner und all die anderen - als Kunst-Richter in schwarzen Roben - eintönig wie auf der Jahreshauptversammlung eines x-beliebigen deutschen Gesangsvereins
Auch Sachs Schusterstube, ein schlichtes, spärlich möbliertes Halbrund auf offener Bühne, bietet wenig Abwechslung. Erst zur berühmten Festwiesen-Szene im dritten Aufzug darf es etwas lebhafter zugehen. Da wird der grüne Rasenteppich entrollt. Der Einmarsch der «Zünfte» gleicht einem Karnevalsumzug mit «Motivwagen» und wild herumhopsenden Cheerleader-Mädchen mit bunten Puscheln.
Zu Pilz stark stilisierter Ausstattung fällt dem routinierten Theaterregisseur Langhoff kaum etwas Neues ein. Er inszeniert die «Meistersinger» ebenso textgetreu wie musikfern, lässt nur gelegentlich mal einen witzigen Regieeinfall aufblitzen. Eva mit Rollkoffer beim Fluchtversuch mit Stolzing, das ist schon mal einen kleinen Lacher wert. Oder der «Nachtwächter», der als besoffener Penner einen mit seinen Habseligkeiten vollbepackten Einkaufswagen über die Bühne schiebt. Beckmesser darf sein berühmtes Werbelied zu Musik aus dem Ghettoblaster trällern. Das komische Potenzial der Oper ist mit solchen Gags aber nicht ausgeschöpft.
Den vielschichtigen Konflikten, die die Oper neben ihrer Komik auch bietet, geht der Regisseur weitgehend aus dem Weg. Dabei böten die «Meistersinger» reichlich Material, mit dem sich arbeiten ließe. Dass es in dem Werk vor allem um die Kunst als gesellschaftsverändernde Macht geht, hat Langhoff ausweislich eines Zitats im Programmheft zwar erkannt, aber nicht inszeniert. Der Regisseur beantwortet die Frage nicht, weshalb man die «Meistersinger» - von Wagners genialer Musik abgesehen - heute eigentlich noch spielen soll.
Erst zu Sachsens deutschtümelndem Schlussmonolog («Was deutsch und echt wüsst keiner mehr, lebt\'s nicht in deutscher Meister Ehr») kommt der Regisseur kurz aus der Deckung - lässt einen Trupp rechtsradikaler Hooligans auf der Festwiese aufmarschieren: Anspielung auf den Missbrauch der «Meistersinger» durch die Nazis, die die Oper als «arisches» Kultstück zelebrierten. Die Faschos bleiben aber ein Fremdkörper. Eine Verbindung zwischen Rechtsradikalismus und heutigem «Spieß»-Bürgertum zieht Langhoff
nicht.
An den Reaktionen war nicht abzulesen, ob sie sich gegen das inhaltliche Versagen Langhoffs richteten oder gegen dessen radikal «verschlankte» Sichtweise, den Verzicht auf so gut wie jede theatralische Opulenz, die von großen Teilen des Münchner Publikums bei den «Meistersingern» wohl erwartet wird. Eindeutig war dagegen die Zustimmung zu den Leistungen der Sänger und Musiker. Ovationen vor allem für Dirigent Zubin Mehta, das Bayerische Staatsorchester und den Staatsopernchor, die sich nach einem eher schwerfälligen Beginn zum Ende hin deutlich zu steigern vermochten.
Wenig auszusetzen gab es auch an dem Sängerteam, eine Riege alt gedienter Wagner-Kämpen. Robert Dean Smith als Stolzing gab ein sehr schönes Preislied zum Besten und auch Jan-Hendrik Rootering orgelte sich als Sachs wacker durch die schwere Partie. Mit der Rollendebütantin Michaela Kaune als Eva war die kleine, aber anspruchsvolle Partie adäquat besetzt. Matti Salminen, kurzfristig für Kurt Moll eingesprungen, gab einen sonoren Pogner, Eike Wilm Schulte einen streckenweise recht originellen Beckmesser.
Georg Etscheit