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Die Existenz der Staatskapelle steht auf dem Spiel, so der GMD Alexander Albrecht. Nach dem neuen Theatermodell von Generalintendant Stephan Märki soll das Orchester, einziges A-Orchester im Freistaat Thüringen, um zehn Musiker reduziert werden. Derzeit gehören 95 Musiker zum Klangkörper.
Weimar (ddp-lth). Die Staatskapelle Weimar hat ihren Ursprung in der 1491 gegründeten Ernestinischen Hofkapelle Friedrich des Weisen mit etwa 20 Musikern. Um 1500 galt sie als eine der führenden Kapellen Europas. Ab 1602 fand die Kapelle ihren festen Sitz in Weimar als Hofkapelle des Herzogtums Sachsen-Weimar. Einen ersten musikalischen Höhepunkt in der Geschichte der Hofkapelle setzte Johann Sebastian Bach. 1708 kam der damals 23-Jährige als Hoforganist und Kammermusikus nach Weimar. Seit 1714 leitete er offiziell die Hofkapelle. Nach seinem dramatischen Weggang löste sich die Kapelle 1735 auf. 1756 wurde sie in kleinerer Besetzung neugegründet. Johann Wolfgang von Goethe legte 1791 mit der Gründung des Weimarer Hoftheaters den Grundstein für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Theater und Kapelle, die bis heute anhält.Die Erfolgsgeschichte der Hofkapelle wird im 19. Jahrhundert von Franz Liszt weitergeschrieben. 1842 wird der Klaviervirtuose Kapellmeister. Den zehn Jahren seines Wirkens verdankt Weimar avantgardistisch Impulse in Oper und Konzert. Er machte Weimar zu einem Anziehungspunkt für Musiker aus vielen Ländern Europas. Die Uraufführungen von Opern Richard Wagners ("Tannhäuser" 1849, "Lohengrin" 1850) und die Berlioz-Konzerte verschafften der Hofkapelle Weltgeltung. Einen neuerlichen Aufschwung erlebte die Kapelle von 1889 bis 1894, als Richard Strauß Kapellmeister in Weimar war.
Nachdem die höfische Ära in Weimar 1918 zu Ende ging, erhielt das Orchester 1919 den Namen "Weimarische Staatskapelle". 1988 wurde sie in "Staatskapelle Weimar" umbenannt. Heute gehört es zu den führenden deutschen Orchestern.
(www.nationaltheater-weimar.de)
Schatten über dem Jubiläum - 400 Jahre alte Weimarer Staatskapelle vor dem Aus? Orchester soll verkleinert werden
Weimar (ddp-lth). Hinter den Kulissen wird die Misere deutlich. Abseits von der schillernden Illusion großer Aufführungen auf den Bühnen des Deutschen Nationaltheaters Weimar geht es wenig pompös zu. Abgetretenes Linoleum und bröckelnder Putz in den Gängen verraten viel über die finanziellen Nöte des Hauses. Der drohenden Zusammenlegung der Theater in Weimar und Erfurt aus Geldnot begegneten die Weimarer mit einem Theatermodell, das hierzulande seinesgleichen sucht. Die Eigenständigkeit von Theater und Kapelle muss mit Lohnverzicht erkauft werden. Nach anfänglicher Euphorie ist bei vielen Weimarer Künstlern jetzt Ernüchterung eingezogen. Auch der scheidende Generalmusikdirektor, Chefdirigent der Staatskapelle Weimar und Operndirektor, George Alexander Abrecht, kann trotz der Feierlichkeiten zum 400-jährigen Bestehen seines Orchesters die Sorgenfalten nicht verbergen.
"Die Existenz der Staatskapelle steht auf dem Spiel", sagt Albrecht. Nach dem neuen Theatermodell von Generalintendant Stephan Märki soll das Orchester, einziges A-Orchester im Freistaat, um zehn Musiker reduziert werden. Jetzt gehören 95 Musiker zum Klangkörper. Mit 60 bis 80 Musikern aber kann die Staatskapelle die großangelegten Stücke von Gustav Mahler bis Hector Berlioz nicht mehr spielen. Es sei undenkbar, dass das Kulturland Thüringen an den großen Werken des 20. Jahrhunderts vorbei geht, sagt Albrecht. Doch die Sorgen betreffen auch den Nachwuchs. Die Gerüchte um die unsichere Lage bei dem Spitzenorchester haben sich auch in den Musikhochschulen und anderen Häusern schnell herumgesprochen. Er bemerke bereits jetzt, dass Bewerbungen von jungen Musikern und Spitzenmusikern ausblieben.
Albrecht sieht seine Beziehung zur Staatskapelle als eine Art Ehe, geschlossen vor nunmehr sieben Jahren. Verliebt in das Orchester habe er sich 1995 als Gastdirigent des Weimarer und des Leipziger Gewandhausorchesters. Die Verlobung wurde bei einer gemeinsamen Deutschland-Tournee kurze Zeit später gefeiert. Die anschließenden Jahre als Weimarer Chefdirigent sieht er im Nachhinein als die schönsten und künstlerisch glücklichsten in seinem Leben. Der Gleichklang zwischen Orchester und Dirigent war erst kürzlich zu spüren - auf dem Erfurter Domplatz bei der Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufes. Innerhalb von wenigen Tagen studierten die Musiker Gustav Mahlers "Unvollendete" ein - mit beeindruckendem Ergebnis.
Albrecht schätzt an den Orchesterspielern vor allem ihre Arbeitsdisziplin, ihre Musikliebe und ihre Offenheit gegenüber dem Dirigenten. Die sonst üblichen Feindschaften zwischen Bläsern und Streichern, die Grüppchenbildung wie andernorts gibt es in Weimar nicht. Arroganz gegenüber jungen Nachwuchsmusikern oder moderner Musik - ein Fremdwort in Weimar. Das Orchester, in dem früher Johann Sebastian Bach und Franz Liszt tätig waren, ist sich seiner Tradition bewusst - aber auch der Bedrohung durch den Stellenabbau. Deshalb spielen sie jetzt besser denn je, sagt Albrecht.
Der Dirigent und seine Musiker sind täglich für mehrere Stunden miteinander beschäftigt. Die 10.00 Uhr-Probe bis etwa 13.00 Uhr ist täglich obligatorisch. Ab 16.00 Uhr wird wieder geprobt, es sei denn am Abend steht eine Vorstellung an. Rund 25 Konzerte gibt die Staatskapelle pro Spielzeit in Weimar. Hinzu kommen Tourneen in alle Welt, durch Deutschland mindestens einmal pro Jahr. Bei der bevorstehenden Japantournee muss das Orchester zwölf Konzerte in 14 Tagen absolvieren.
Die Staatskapelle hat ein überraschend junges Erscheinungsbild. Zu danken ist das hauptsächlich der "Orchesterakademie" für Schüler der benachbarten Musikhochschule "Franz Liszt". Noch während des Studiums sitzen sie als "Substituten" mit im Orchester. Der größte Teil der Mitglieder der Kapelle stammt dann auch vom Musikgymnasium Belvedere und von der Musikhochschule. Substitut an der Staatskapelle Weimar gewesen zu sein, ist eine Art Gütesiegel für Bewerbungen in ganz Deutschland.
Der 67-jährige Albrecht räumt im Sommer seinen Platz - "ohne Wehmut" wie er sagt - für den Niederländer Jack van Steen. Albrecht geht in den Ruhestand und bleibt mit Frau und fünf Kindern in Weimar. Pro Jahr wird er regelmäßig zwei Konzerte mit der Staatskapelle geben und 2004 mit auf Europatournee gehen. Mit 14 Jahren hat Albrecht sein erstes Konzert dirigiert. Mit 29 Jahren war er der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands. 32 Jahre arbeitete er in Hannover. Nach der Wende war er fünf Jahre Gastdirigent an der Semperoper in Dresden, bevor er nach Weimar kam.
Grit König