Body
Neue Musik an leicht nostalgischem Ort: Cage-Ehrung zu MaerzMusiktagen in Studios des ehemaligen DDR-Rundfunks in Oberschöneweide
Berlin (ddp). Die Uhren im einstigen Berliner Sitz des DDR-Rundfunks in Oberschöneweide sind lange schon stehen geblieben. Dabei hätte man sie am Samstag und in der Nacht zum Sonntag gut brauchen können: Zwölf Stunden währte dort das "John Cage Event" bei den 1. MaerzMusiktagen in der Regie der Berliner Festspiele. Und wer vieles davon mitbekommen wollte, hatte genau nach der Uhr zwischen sechs Aufführungsorten hin und her zu eilen: vier Sendesälen, einem Foyer und dem Hörspielkomplex. Im Grunde genommen ging es schon im Shuttlebus ab dem Hackeschen Markt los: mit einer Installation von Maria Blondeel.Der Untertitel der Unternehmung nach einer Idee von Volker Straebel und Festivalchef Matthias Osterwold: "Simultanität und Stille". Was hieß: In einem der Säle konnte man einzeln, aber auch im ungewöhnlichen Zusammenklang die gerade laufenden Programme verfolgen, darunter vieles von dem US-amerikanischen Neuerer John Cage, der vor zehn Jahren starb, und heutigen und hiesigen Komponisten, die ihm ihre Reverenz erwiesen.
Stille: Sein vor 50 Jahren geschaffenes Stück "4\'33" kommt ohne Musik aus. Die Instrumentalisten mühen sich ab, produzieren aber keinen einzigen Ton. Ob Piccoloflöte, Tuba oder Akkordeon, deren Spieler in Abständen aufmarschierten - sie traktierten ihr Instrument, mitunter gar noch auf die Stoppuhr schauend, mit abgezirkelten Bewegungen. Cellistin Frances-Marie Utti dehnte das Stück gar auf "18\'17", wobei sie mit zwei Bögen hantierte: mal gekreuzt, im rechten Winkel, Rosshaar auf Rosshaar, nur nie auf den Saiten.
Stille spielte auch in mancher der sieben Uraufführungen eine Rolle, in Form von Pausen, so bei Christian Wolffs "Variation", wo Kuhglocken mit zum Schlagwerk gehörte, Trompeter Michael Gross eine rote Pudelmütze trug und auch mal auf einer Gießkanne geblasen wurde. Jürg Frey schrieb "Six Instruments" mit immerhin je zwei Bassklarinetten und Streichtrio, James Tenny "MIX fort SIX" mit sogar drei Viola-Spielern - nicht alltägliche Besetzungen. Wie ja auch Cage, der zu Ehrende, mit einem Stück für drei Klaviere zu hören war. Anna Clementi hatte in der Cageschen "Aria" so ziemlich alles denkbare Vokale jäh zu mixen: Opernmanier, Schlager, Keifen, Kichern, Brüllen, Raunen.
Noch ganz dezent setzte der Komponist, über den auch zwei Filme liefen, vor 60 Jahren auf Schlagwerk für das Hörspiel "The City Wears a Slouch Hat" von Kenneth Parchen. Das wurde am rechten Ort abgespielt: einem der komfortablen Hörspielstudios. Eine Treppe, in der Mitte mit Teppich belegt, auf der einen Seite mit Holz-, auf der anderen Seite Steinstufen, um alle Arten des Treppensteigens wirklichkeitsecht aufs Band zu bekommen, diente hier als Platz für die Zuhörer. Das war dann auch der rechte Ort für Cages "Speech" für fünf Radios und einen Nachrichtensprecher - eine Live-Aufführung. Der Große Sendesaal ist laut Daniel Barenboim, der hier her schon zu Schallplatten-Aufahmen kam, der akustisch beste der Welt. Wo einst Orchester fünffach gestaffelt Platz nahmen, saßen am Boden nun auch Besucher, unter ihnen viele ausländische Gäste der Stadt.
Klaus Klingbeil