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Nach seinem ersten Versuch als Opernregisseur behielt Daniel Libeskind erst einmal die Nerven. Aufgeräumt zeigte sich der amerikanische Stararchitekt am Samstagabend, nachdem ihn das Publikum der Deutschen Oper in Berlin für seine Inszenierung von Olivier Messiaens "Saint François d\'Assise" ausgepfiffen und mit Buhrufen traktiert hatte.
orf - Mit der Anerkennung, die ihm die Berliner als Erbauer des Besuchermagneten Jüdisches Museum zollen, konnte Libeskind auf der Bühne nicht rechnen. Der Applaus galt dem Orchester und den Sängern - für Libeskind hatten die meisten Zuhörer nur lautstarke Ablehnung übrig.Multitalent Libeskind hatte es sich für sein Regiedebüt nicht leicht gemacht. Mit dem 1983 in Paris uraufgeführten Bühnenwerk des Katholiken Messiaen hatte sich der weltberühmte Baumeister ein schwieriges Stück des zeitgenössischen Musiktheaters ausgesucht. Die Geschichte über die göttliche Offenbarung des Heiligen Franz von Assisi hat Messiaen nicht als Oper im eigentlichen Sinn konzipiert. "Franziskanische Szenen" hat der Komponist den acht Bildern aus dem Leben des italienischen Heiligen als Untertitel gegeben.
Mit der Traditionsoper hat das fast fünfstündige Werk nicht viel gemeinsam. Der dramaturgische Faden ist nur angedeutet, in dem christlichen Lehrstück geht es um letzte Fragen - um Gnade, Wahrheit und Spiritualität. Für die Musik hat Messiaen aus dem Fundus der Moderne geschöpft - von Wagner und Schönberg bis zum Bigband-Sound und den Synthesizer-Klängen des in den 20er Jahren erfundenen elektronischen Tasteninstruments "Ondes Martenot". Entstanden ist eine Musik zwischen betörender Einfachheit und schriller Lautstärke, die zuweilen die Schmerzensgrenze streift.
Für die Regie der Heilsgeschichte hatte Opernintendant Udo Zimmermann zunächst nicht den 56-Jährigen Libeskind, sondern den Theaterrebell Johann Kresnik vorgesehen. Libeskind sollte, wie schon im vergangenen Jahr in Saarbrücken für "Tristan und Isolde", das Bühnenbild und die Ausstattung beisteuern. Doch Kresnik warf mitten in den Proben das Handtuch - wegen "künstlerischer Differenzen", wie es hieß.
Libeskind nahm die Regie selber in die Hand. Der 1946 in Lodz geborene Künstler hat ein intimes Verhältnis zur Musik. Vor seinem Architekturstudium hatte er eine Karriere als Konzertpianist angestrebt; immer wieder hat sich der Architekt mit dem Verhältnis von Kunst, Philosophie und Bauen beschäftigt. So war es nicht überraschend, dass er für seine erste Inszenierung tief in die Kiste der Symbole und klugen Andeutungen griff.
Beherrscht wird das in Schatten getauchte Bühnenbild von 49 Riesenwürfeln, die im Laufe der Aufführung immer wieder gewendet werden. Auf den Seiten zeigen sich wechselweise Stadtmodelle, geometrische Zeichnungen, spiegelverkehrte Inschriften von Heiligennamen und schwarze Flächen. Bereits vor 20 Jahren hatte Libeskind für die Architektur-Biennale in Venedig eine ähnliche Konstruktion als "spirituelles Experiment" zur Erzeugung einer "unsterblichen Stadt" gebaut. Das Riesengerät setzte er nun in der Oper ein. Doch die Sänger und der Chor agierten merklich unberührt von dem rotierenden Ungetüm.
Vor dem grauen Monumentalbau bewegen sich die Klosterbrüder wie Roboter auf Schienen, die Libeskind den Magistralen im Plan einer Retortenstadt gleich, mit roter Farbe über den Bühnenboden gezogen hat: Jeder hat seinen Platz im göttlichen Entwurf. Nur der Heilige Franziskus (Frode Olsen) wagt auf seiner Suche nach Gott, die abgetretenen Pfade zu verlassen und entdeckt im Gespräch mit den Vögeln das Himmelreich. Und nur der Engel (Ofelia Sala), der Franziskus den Weg weist, darf aus der Reihe tanzen. Den anderen Darstellern hat Libeskind ungelenke Bewegungen verordnet. Das Stück erinnert zuweilen an Marionettentheater.
Doch wenn zum Ende der Chor der Mönche zur einen Stimme Gottes wird und Abschied von Franziskus nimmt, das Orchester (Leitung: Marc Albrecht) zum ohrenbetäubenden Finalakkord ansetzt und die Würfel endlich still stehen, ergreift die Zuhörer ein wenig dieses "heilige Schaudern", wie wohl einst dem Bruder aus Assisi bei seinem Zwiegespräch mit den Tieren im Klostergarten.