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Nur wenige Rundfunkanstalten leisten sich den Luxus, gleich drei Klangkörper zu unterhalten. Dazu gehört der Bayerische Rundfunk (BR), der neben seinem weltberühmten Sinfonieorchester und dem ambitionierten Rundfunkchor noch ein weiteres Orchester sein Eigen nennt.
München (ddp). Anspruchsvolle Freunde der E-Musik rümpfen darüber zuweilen etwas pikiert die Nase: das Münchner Rundfunkorchester (RO). Als Unterhaltungsorchester für die "leichtere Muse" gegründet, hat es sich freilich längst einen festen Platz nicht nur im täglichen BR-Radioprogramm, sondern auch im Münchner Musikleben erobert und den Ruf eines "Tingeltangel"-Orchesters längst abgestreift. In diesem Jahr feiert der kleine Bruder des großen Sinfonieorchesters sein 50-jähriges Bestehen.Das Münchner Rundfunkorchester wurde 1952 ins Leben gerufen, drei Jahre nach Gründung des Sinfonieorchesters. Sein Auftrag war es, den Menschen in der grauen Nachkriegszeit mit Werken leichterer Provenienz etwas Zerstreuung zu bieten. Der erste Chefdirigent, Werner Schmidt-Boelcke vom Berliner Metropol-Theater, war ein versierter und konsequenter Vollstrecker dieses Unterhaltungsauftrags, der das Metier von Operette, Musical, Filmmusik und Schlagern perfekt beherrschte. Er rief auch die Tradition der öffentlichen "Münchner Sonntagskonzerte" ins Leben und produzierte mit seinem Orchester zahlreiche Operetten-Gesamtaufnahmen, die nach wie vor die Programme des BR prägen. Berühmte Gastdirigenten wie der österreichische Operettenkomponist Robert Stolz prägten die Ära Schmidt-Boelke.
Der Wechsel von Schmidt-Boelke zu Kurt Eichhorn im Jahre 1967 brachte auch eine erste Umorientierung des Repertoires. Eichhorn hatte als Operndirigent seit 1956 ein Jahrzehnt das Münchner Gärtnerplatz-Theater musikalisch geleitet und setzte sich als RO-Chefdirigent in den von ihm ins Leben gerufenen "Funkkonzerten" vor allem für weniger bekannte Werke jüngerer Komponisten ein. Unter Eichhorns Leitung entstand ein bis heute Maßstäbe setzender Carl-Orff-Zyklus. Unter Eichhorns Nachfolger Heinz Wallberg, vormals Generalmusikdirektor in Essen, ging das Rundfunkorchester verstärkt auf Reisen. In dieser Zeit entstanden auch Gesamtaufnahmen mit Werken von Werner Egk, Franz Lehar und Gaetano Donizetti.
Wallbergs Nachfolger Lamberto Gardelli war 1982 der erste "Import" aus dem Ausland, ein kompetenter Interpret der Werke Giuseppe Verdis und Gioacchino Rossinis, der sich besonders der Pflege des italienischen Repertoires annahm. Seit Gardellis Tagen ist das Münchner Rundfunkorchester fest in italienischer Hand. Auf ihn folgte 1988 Giuseppe Patané als fünfter Chef des Orchesters, der allerdings schon ein Jahr später während einer Aufführung von Rossinis "Barbiere di Siviglia" am Pult im Nationaltheater einem Herzanfall erlag. Nach einem drei Jahre dauernden Interregnum wurde der junge Mailänder Roberto Abbado neuer Chef des Orchesters. Abbado wandte sich neben italienischen Opernwerken auch verstärkt der Sinfonik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu: Maurice Ravel, Claude Debussy, Igor Strawinsky.
Mit Marcello Viotti übernahm 1998 erneut ein Vollblutmusiker des Stiefellandes die RO-Chefposition, dessen Vorliebe es ist, unbekannte Kompositionen wie die veristische Oper "L\'amore die tre re" von Italo Montemezzi "auszugraben". Die angebliche Trennlinie zwischen U- und E-Musik sieht Viotti vielleicht noch lockerer als seine Vorgänger. So bietet die Jubiläumswoche bis zum 15. März nicht nur eine Opern- und Musical-Gala, sondern, als Novität in der Geschichte des Orchesters, auch einen festlichen Schwarzweiß-Ball im Prinzregententheater. Daneben ist im Februar eine viel beachtete Reihe mit geistlicher Musik des 20. Jahrhunderts angelaufen, die unter dem Titel "Paradisi Gloria" im Dezember auch mit der Uraufführung einer "Weihnachtskantate" des japanischen Komponisten Toshio Hosokawa aufwarten kann.
Die Zukunft des Rundfunkorchesters scheint bis auf Weiteres gesichert. Regelmäßig wiederkehrenden Gerüchten, der Klangkörper könne ein Opfer allfälliger Sparbemühungen werden, ist Orchestermanager Gernot Rehrl zum Jubiläum noch einmal ausdrücklich entgegengetreten. Auch die ambitionierten Pläne von Maestro Viotti, der seinen Vertrag erst einmal bis 2006 verlängert hat, lassen die Zukunft der Musiker als gesichert erscheinen. Viotti, der seit Sommer 2002 auch als künstlerischer Leiter des Teatro La Fenice in Venedig fungiert, will sein "RO" sogar enger an die Lagunenstadt binden.
Georg Etscheit