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Zurück zur Avantgarde - Das Europäische Zentrum der Künste Hellerau will an einstige Glanzzeiten anknüpfen +++ Das Festspielhaus Hellerau zwischen Kafka und Roter Armee
Dresden (ddp). Von der Fassade bröckelt der Putz, Grasbüschel drücken sich durch Pflastersteine und Mauerritzen. Auf den ersten Blick könnte man das Festspielhaus Hellerau für eine der zahllosen Industrieruinen halten, die seit der Wende auch in Dresden und Umgebung vor sich hin schlummern und auf den Kuss eines potenten Investors warten. Das Festspielhaus in dem beschaulichen Dresdner Vorort wartet jedoch auf zeitgenössische Kunst, mit der das einstige Zentrum der Avantgarde nach jahrzehntelanger Nutzung unter anderem als Lazarett und Turnhalle der Roten Armee wieder an seine ruhmvolle Vergangenheit anknüpfen will.Ein leidenschaftlicher Märchenprinz, der die schlafende Schöne durch innige Liebkosung wiedererwecken könnte, ist ebenfalls zur Stelle: Udo Zimmermann, Intendant des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau, das seit 2002 auf dem Festspielgelände seinen Sitz hat. «Zurück nach vorn» lautet seine Devise, wenn es darum geht, jenen Ort, an dem sich einst Größen wie Kafka, Rilke, Hauptmann, Rachmaninow, Kokoschka und Nolde aufhielten und der später als Militärgelände fast sechzig Jahre nicht öffentlich zugänglich war, wieder zu internationaler Strahlkraft zu verhelfen. Ein «Grüner Hügel der Moderne» solle Hellerau werden, erklärt Zimmermann, eine Spielwiese der Künste, und der marode Charme des Verschlissenen und Verfallenen ein Markenzeichen.
Natürlich werde es einige Jahre dauern, bis Hellerau bei Tanz, Theater, Musik und Bildender Kunst wieder jenen einstigen Stellenwert zurück erlangt, weiß Zimmermann aus seiner Zeit als Intendant der Leipziger Oper und der Deutschen Oper Berlin sowie als Direktor des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik (DZzM). Doch ein Anfang ist gemacht. So werden US-Star-Choreograph William Forsythe und seine Ballett-Company zwischen 2005 und 2009 regelmäßig in Hellerau auftreten. Zudem ist eine Uraufführung des berühmten, zeitgenössischen Komponisten Mauricio Kagel vorgesehen.
Hellerau sei ein in Europa einzigartiger Ort, schwärmt Zimmermann. Und besonders in Dresden, wo vor allem die traditionelle Kultur etabliert sei, habe ein Zentrum für zeitgenössische Kunst beste Chancen auf positive Resonanz.
Das 1912 fertig gestellte, seinerzeit unerhört schlichte Festspielhaus, in dessen sanierten Foyer heute denkmalgeschützte Wandbilder robuster, sowjetischer Soldaten prangen, soll nach derzeitiger Planung ab Oktober 2005 technisch wieder einigermaßen auf der Höhe der Zeit sein. Dann steht neben mehreren zweigeschossigen Übungssälen ein zwölf Meter hoher Raum mit einer variablen Bühne zur Verfügung, in dem einmal rund siebenhundert Zuschauer Platz finden. Für die weitere Sanierung des Geländes sind in den kommenden fünf Jahre rund acht Millionen Euro veranschlagt.
Alessandro Peduto
http://www.KunstForumHellerau.de
Das Festspielhaus Hellerau zwischen Kafka und Roter Armee
Dresden (ddp). Das Festspielhaus Hellerau ist Teil der 1909 nördlich von Dresden gegründeten Gartenstadt Hellerau. Der Ort galt seinerzeit städtebaulich als Novum und sollte sich gemeinsam mit der ebenfalls neu gegründeten «Bildungsanstalt für Musik und Rhythmik» gesellschaftspolitisch zu einer Stätte für «den neuen Menschen» in einem «befreiten Körper» entwickeln.
Kulturelles Zentrum der Neugründung war das 1911/12 erbaute Festspielhaus, das bis zum Ersten Weltkrieg kulturell überregionales Ansehen genoss. Allein zwischen 1911 und 1914 hielten sich in Hellerau beispielsweise der Architekt Le Corbusier, die Schriftsteller Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Gerhart Hauptmann und Stefan Zweig, die Komponisten Sergej Rachmaninow und Ferruccio Busoni sowie die Maler Oskar Kokoschka und Emil Nolde auf.
1933 gingen das Festspielhaus und seine Nebengebäude in Staatsbesitz über, 1939 bauten die Nationalsozialisten das Areal zur Polizeischule um. Von 1945 bis 1992 nutzte die Rote Arme das Gelände, danach wurde das Festspielhaus nach und nach wieder für kulturelle Zwecke genutzt.
Seit 2004 firmiert die Einrichtung als «Europäisches Zentrum der Künste Hellerau». Intendant ist der Komponist und Theatermann Udo Zimmermann. Ab Oktober 2005 soll das Festspielhaus bühnentechnisch wieder funktionsfähig sein.