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Bremer Berlinale-Beitrag «Verrückt nach Paris» kommt ohne jegliches Schubladen-Denken aus.
Bremen (ddp). Hilde, Karl und Philip arbeiten in einer Werkstatt für Behinderte in Bremen. Sie wollen dem grauen Alltag entschwinden und setzen sich in einen Zug nach Köln. Dort träumt Hilde von der Weiterfahrt nach Afrika, Karl verkauft Stangen-Enten und Philip verliert seinen Rollstuhl. Bei all diesem Treiben vergisst das Trio die Zeit. Der Zug fährt ohne sie zurück. Statt dessen nehmen die drei eine Eisenbahn Richtung Paris. Hilde, Karl und Philip sind die Hauptfiguren in dem Spielfilm «Verrückt nach Paris». Dargestellt werden sie von Paula Kleine, Wolfgang Göttsch und Frank Grabski. Das Besondere daran ist, dass die Filmhelden auch im wirklichen Leben behindert sind.«Verrückt nach Paris» ist der erste Spielfilm des Bremer Regisseurs Eike Besuden. Der in Ostfriesland aufgewachsene Filmemacher hatte sich bis dato mit Dokumentationen über die Ems, die Insel Borkum und das Butjadinger Land einen Namen gemacht. Vier seiner letzten Projekte beschäftigten sich mit dem «Blaumeier Atelier», einem Kunst- und Musikprojekt für psychisch Kranke, Behinderte und Nicht-Behinderte.
Besuden berichtete über deren Version des Theaterklassikers Faust und eine geistig-behinderte Malerin, die immer wieder die Freiheitsstatue zu Papier brachte. Als sie durch den Verkauf der Werke genug Geld gesammelt hatte, durfte sie das Objekt der Begierde aus nächster Nähe erleben. Besuden begleitete sie mit der Kamera nach New York.
Angetan von dem kreativen Wirken im Blaumeier Atelier kam dem 53-Jährigen Regisseur die Idee, einen Spielfilm zu drehen. An begabten Hauptdarstellern mangelte es nicht. Zwei Jahre Geld, Zeit und Arbeit steckten Besuden und sein ebenfalls mit Blaumeier verbandelter Co-Regisseur Pago Balke in das Projekt. Größter Lohn ist eine Einladung zu den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen in Berlin. «Verrückt nach Paris» läuft gemeinsam mit neun weiteren Filmen in der neuen Reihe «Perspektive deutsches Kino» und feiert am Freitag auf der Berlinale seine Uraufführung.
Bis dahin war es ein weiter und steiniger Weg für Besuden & Co. «Wir müssen den Leuten ein zusätzliches Argument liefern, ins Kino zu gehen», sagt Besuden. Und das gelingt nur mit bekannten Namen. Also machte er sich auf die Suche nach Stars. Zwar zeigte die Crème de la Crème des deutschen Filmgeschäfts sofort Interesse, doch der Name Besuden war in der Szene gänzlich unbekannt. So ließen sich die Auserwählten zunächst das Drehbuch und die Blaumeier-Dokumentationen zeigen und prüften alles ganz genau, ehe sie ihr Ja-Wort gaben.
Doch die Mühe hat sich gelohnt. Dominique Horwitz spielt eine Hauptrolle. Der Mann mit den markanten Ohren mimt den lieb- und lustlosen Betreuer Enno. Er wird losgeschickt, die drei Ausreißer wieder einzufangen. Den Auftrag bekommt er von Ex-Tatort-Kommissar Martin Lüttke alias Kollakowski, der den Heimleiter spielt. In weiteren hochkarätig besetzten Nebenrollen sind Corinna Harfouch als Werkstattleiterin, Hermann Lause als Bahnschaffner, Doris Kunstmann als Mutter eines Behinderten und Hella von Sinnen als Blumenverkäuferin zu sehen.
Probleme gab es nicht nur bei der Besetzung, sondern auch bei der Finanzierung. Die lange Vorlaufzeit und ständig wechselnde Drehorte in Bremen, Köln und Paris kosteten viel Geld. Nach einem öffentlichen Aufruf spendeten jedoch rund 500 kulturinteressierte Bremer Bürger zum Teil recht erkleckliche Summen und halfen dem ehrgeizigen Projekt aus der Klemme. Schwierig wurde es auch dadurch, dass sich die behinderten Hauptdarsteller in ihrem spontanen Tatendrang nicht immer an das Drehbuch hielten. Vorgefertigte Dialoge mussten häufig realitätsnah umgeschrieben werden, ehe eine Szene saß.
«Verrückt nach Paris» ist nach Aussage seines Schöpfers «keine Mitleid heischende Sozialromanze», sondern schlichtweg eine «leichte und amüsante Komödie ohne Schubladendenken». Jetzt muss Besuden nur noch eine Verleihfirma finden, die sein Werk in die Kinosäle bringt. Doch auch vor dieser neuerlichen Herausforderung ist dem Regisseur nicht bange. Auf der Berlinale werde sich schon jemand finden, ist er sich sicher. Spätestens dann, wenn die Darsteller ihren Charme spielen lassen. «Die drei Behinderten sind die Sieger dieses Films», betont Besuden.
Nachwuchspreis Lost High Tapes Award vergeben=
Berlin (ddp-bln). Den diesjährigen Lost High Tapes Award für junge Filmemacher erhalten die Regisseure Andi Niessner und Ivar Leon Menger. Die Auszeichnungen sollten am Sonntag im Rahmen der Berlinale vergeben werden. Für den Preis waren zwölf deutsche Nachwuchsregisseure nominiert, die durch Publikumsabstimmungen aus knapp 100 Talenten ausgewählt wurden.
Wie die Veranstalter in Berlin mitteilten, wurde Niessner für seinen Film «Björn, oder die Hürden der Bürokratie» ausgezeichnet. Die Jury erklärte, Niessner schicke «den Zuschauer auf eine äußerst komische und einfallsreiche Achterbahnfahrt der allseits bekannten Ohnmacht im Kampf gegen die Bürokratie». Bei Mengers zwölfminütigem Thriller «Geteiltes Leid» lobte die Jury, dieser treffe «den Zuschauer genau dort, wo es richtig weh tut». Mit viel Einfühlungsvermögen gelinge es dem Regisseur, «eine atmosphärische Dichte zu erzeugen, die sich bis ins Unerträgliche steigert».
Im Unterschied zu anderen Nachwuchspreisen, die sich meist auf ein Geldsumme beschränken, soll der Lost High Tapes Award den Gewinnern zugleich die Tür zur professionellen Welt des Filmemachens öffnen. Zehn namhafte Vertreter der deutschen Filmindustrie erklärten sich bereit, eine Patenschaft für die Preisträger zu übernehmen, um diese bei der Realisierung ihres ersten Langfilms zu begleiten. Als «Ehrenpate» fungiert Alfred Holighaus, der Leiter der neuen Berlinale-Sektion «Perspektive Deutsches Kino».
Der Preis geht auf eine Initiative des Münchner Unternehmens Lost High Tapes zurück, das sich unter dem Motto «Forum für die Macher von morgen» zum Ziel gesetzt hat, den Kontakt und Austausch zwischen den Talenten des deutschen Filmnachwuchses zu unterstützen.