Donaueschingen - Abendfüllende Ensemblekonzerte statt kurze Happenings, musikalische Tiefe statt «Häppchenkultur»: Die Donaueschinger Musiktage haben 92 Jahre nach ihrer Gründung gewohnte Wege verlassen. Sie konzentrierten sich in diesem Jahr auf ein rein musikalisches Thema, anstatt wie sonst üblich sehr viel in Szene zu setzen.
Der Schwerpunkt der musikalischen Großformen bestimmte das drei Tage dauernde Festival in Donaueschingen im Schwarzwald, das am Sonntag zu Ende ging. Ein Signal gegen den «mainstream der Musik», wie die Organisatoren betonten.
Donaueschingen gilt als das weltweit älteste und bedeutendste Festival für Zeitgenössische Musik. Es wird jährlich vom Südwestrundfunk (SWR) organisiert, ist das renommierteste Festival der Neuen Musik. Auch dieses Jahr erwies es sich als Forschungslabor der Musik, als Werkstatt neuer Ideen. Es wurden rund 10 000 Konzertbesucher gezählt, sagte Festivalchef Armin Köhler in seiner Bilanz am Sonntag. Alle Aufführungen waren ausverkauft.
Im Gegensatz zu den Vorjahren, in denen Musik mit Technik und Elektronik das Festival bestimmten, rückten in diesem Jahr die Strukturen der Musik in den Mittelpunkt. Musikalische Großformen standen im Fokus der zehn Uraufführungen. Es war der Versuch, ein historisches Thema in die Moderne zu übertragen und sich tiefergehend mit ihm auseinanderzusetzen. Und auszuprobieren, wie Zuschauer reagieren. Experimentiert wurde dabei auch, wie stets in Donaueschingen, mit ungewohnten Präsentationsformen.
Das Festival spielte mit der Frage, wie sich Musik mit der Zeit und der Gesellschaft verändert. Einflüsse wie schnelles Tempo, kurze Schnitte, ein «Diktat der Kürze» und oberflächliche Präsentationen waren das Thema, das Festival nahm diese Trends kritisch unter die Lupe und wollte bewusst gegensteuern. Weil Großprojekte auf dem Programm standen, war die Zahl der Uraufführungen deutlich kleiner als sonst. Und es kamen diesmal meist etablierte Künstler zum Zug, viele von ihnen waren bereits mehrfach bei dem Festival dabei.
Zum Beispiel Bernhard Lang: Der Komponist aus Linz in Österreich nahm sich Anton Bruckner (1824-1896) und dessen Linzer Sinfonie zum historischen Vorbild. Er schuf mit 120 Orchestermusikern eine neue Klang- und Darstellungsform. Das Orchester saß, je zur Hälfte, an den beiden Stirnseiten des Konzertsaals, das Publikum in der Mitte. Die beiden Orchesterteile spielten in unterschiedlichen Tonlagen und brachten das Stück für die Zuhörer damit ungewohnt zum Klingen.
Der Österreicher Georg Nussbaumer schuf aus Richard Wagner (1813-1883) eine groß angelegte Klanginstallation: Mit dem Solistenensemble «Kaleidoskop» brachte er in der örtlichen Brauerei mit reichlich Aufwand und zahlreichen Effekten ein experimentelles Musiktheater zur Uraufführung. Es dauerte ganze zwei Tage und hatte Wagners «Ring des Nibelungen» zum Thema.
Der Komponist Raphael Cendo, bereits zum dritten Mal in Donaueschingen dabei, experimentierte mit dem SWR Vokalensemble Stuttgart und einer Installation aus 50 Lautsprechern im Konzertsaal. Im Rathaus der Kleinstadt schufen Klangkünstler eine akustische Installation aus politischen Debatten. Und beim Jazz kochte eine Köchin auf der Bühne im Takt der Musik.
Zudem führte das Festival die weltweit wichtigsten Ensembles für Neue Musik zusammen. Das Klangforum Wien war in Donaueschingen mit zwei Konzerten präsent. Zentraler Klangkörper war, wie jedes Jahr, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg.
Neue Wege wollen die Musiker in Richtung Zukunft gehen. Von Frühjahr 2015 an soll es in Donaueschingen alle zwei Jahre ein eigenständiges Festival zur Nachwuchsförderung geben. Es wird den Titel «Upgrade - Neue Musikvermittlung» tragen und soll Interessierte aus ganz Europa in den Schwarzwald holen. Neue Musik, so hoffen die Organisatoren, sol damit ein junges Publikum erhalten.
Jürgen Ruf