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Die Rezension: Die "Entführung" in Salzburg

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Hysterischer Aktionismus - Mozarts «Entführung» wird zum Debakel für Regisseur Stefan Herheim - Salzburger Premierenpublikum buht

Salzburg (ddp). Das Salzburger Opernpublikum ist mittlerweile ziemlich abgebrüht, was die Eskapaden zeitkritischen Regietheaters anbelangt. Kein Mund spitzte sich zum Pfiff, als eine krähende Kinderstimme am Sonntagabend den Einsatz für die Eröffnungspremiere, Mozarts «Entführung aus dem Serail», gab und ein Poltergeist das Licht im Zuschauerraum wild an und ausknipste.

Auch als die Protagonisten Belmonte und Konstanze zunächst splitterfasernackt vor ihrem Publikum erschienen, waren keine empörten Zwischenrufe zu vernehmen. Die Premieregäste, unter ihnen Prinz Charles mit Freundin Camilla Parker Bowles, CDU-Chefin Angela Merkel und Entertainer Thomas Gottschalk, zeigten sich langmütig. Erst am Schluss ergoss sich ein für Salzburger Verhältnisse eher unüblicher Kübel von Schmähungen über Regisseur Stefan Herheim und sein Team.

Der 33-jährige Norweger hatte nichts unversucht gelassen, um die populäre Mozart-Oper beinahe bis zur Unkenntlichkeit zu dekonstruieren. Die ursprüngliche Handlung - der spanische Adelige Belmonte wird beim Versuch, seine Geliebte Konstanze und das Dienerpaar Pedrillo und Blonde aus den Fängen des muslimischen Potentaten Bassa Selim und seines Aufsehers Osmin zu befreien, ertappt, aber schließlich großmütig frei gegeben - blieb dabei weitgehend auf der Strecke.

Herheim verwandelt die Türkenoper in ein zeitloses Spektakel um die Gipfel und Abgründe der Liebe zwischen Mann und Frau. Er erzählt die Oper aus der Perspektive zweier Hochzeitspaare, die kurz davor sind, sich ihrer lebenslangen Treue zu versichern. Der Aufseher Osmin fungiert in diesem Spiel um Tugend und Untugend als dunkles Alter ego, das die verdrängten Sehnsüchte und Begierden der Mitspielenden offen legt: Mal als katholischer Tugendwächter, mal als Lüstling, mal als Übervater. Die Figur des Bassa Selim hat Herheim kurzerhand gestrichen.

Das enorm dichte, psychologisierende Spiel mit Chiffren, Symbolen und Assoziationen sowie slapstickhaft-komödiantischen Einlagen hinterlässt eher Chaos als Erleuchtung. Echte Gefühle, glaubhafte Beziehungen zwischen den Figuren lässt der Regisseur selten aufkommen. Das liegt zum Teil daran, dass Herheim die Zuschauer mit seinen Einfällen geradezu überschüttet. Ein fast hysterischer Aktionismus beherrscht die Szene von den ersten Minuten bis zum bitteren Ende.

Herheim und sein Bühnenbildner Gottfried Pilz deuten das Liebesgefängnis des islamischen Serail als Gegenstück zum bürgerlichen «Haushalt» mit Waschmaschine, Bügelbrett und Kochherd, in dem Blonde zusammen mit Osmin eine Hochzeitstorte fabriziert. Vor dem finalen Einzug der Hochzeitspaare muss die Bude natürlich renoviert werden. Das besorgt die Hochzeitsgesellschaft (Wiener Staatsopernchor), die sich plötzlich in eine durchgeknallte Malerkolonne verwandelt. Herheim lässt hier das Symbol der Leiter aufscheinen, das in traditionellen Inszenierungen für die Entführung aus dem Serail steht.

Die häufig eingesetzten Videoeffekte, realisiert von dem Künstlerduo fett Film, sollen laut Herheim «sinnfällige Rückkopplungen» zum Bühnengeschehen liefern, tragen aber ihrerseits zur Verwirrung bei. Immerhin wird am Schluss klar, wo die ganze Chose spielen soll: Die Malerkolonne nämlich «entrollt» eine Videotapete mit einer Postkartenansicht der Salzburger Altstadt, vor deren Hintergrund Konstanze und Belmonte auf einem virtuellen Teppich (Orient!) davon schweben. Das Publikum nahm den ironischen Seitenhieb gelassen.

Auch die musikalische Realisierung blieb deutlich unter Festspielniveau. Selbst ein Feuerkopf wie Ivor Bolton vermochte es nicht, das brave Salzburger Mozarteum-Orchester wirklich zum Blühen zu bringen. Zudem überdeckte der Orchesterklang oft die (eher kleinen) Stimmen der fünf Protagonisten. Viel Beifall, aber auch etliche Buhs für Bolton und seine Musiker. Bravorufe für Diana Damrau als Blonde, die am meisten überzeugte. Aber auch Peter Rose als Osmin, Iride Martinez als Konstanze, Jonas Kaufmann als Belmonte und Dietmar Kerschbaum als Pedrillo wurden mit durchweg kräftigem Applaus von der Bühne geschickt.

Georg Etscheit
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