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Die Rezension: «Die Hochzeit des Figaro» an der Komischen Oper

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Lügen und betrügen - Barrie Kosky inszeniert an der Komischen Oper «Die Hochzeit des Figaro» - Großes Fest der Stimmen

Berlin (ddp-bln). Der junge Australier Barrie Kosky hatte mit seiner ersten Opernarbeit an der Komischen Oper in Berlin prüde Kritiker auf den Plan gerufen: «Genital-Fixierung» wurde ihm bei «Le Grand Macabre» vorgeworfen. Jetzt hatte sich der quirlige Regisseur Wolfgang Amadeus Mozarts «Die Hochzeit des Figaro vorgenommen» und schon vor der Premiere damit gerechnet, dass es wieder heißt: zu viel Sex an der Komischen Oper. Am Sonntagabend hatte der «Figaro» Premiere und wurde zu einem großen Fest für das ebenso stimmgewaltige wie attraktive Sängerensemble, Musiker und den überglücklichen Regisseur.

Graf und Gräfin Almaviva (Tom Erik Lie, Maria Bengtsson) sind ein gut aussehendes und sportliches Aristokratenpaar. Beiden begehren andere Personen als den eigenen Ehepartner. Während der Graf mit Zofe Susanna (Brigitte Geller) Sex haben will, ist die Gräfin verliebt in den hübschen jungen Cherubino (Stella Doufexis). Zu einem wesentlichen Teil handelt Mozarts Stück von diesem und weiteren Begehren im Umfeld von Graf und Gräfin. Wer bislang dachte, das müsse ganz subtil auf die Bühne gebracht werden, der sah sich bei Kosky eines Besseren belehrt. Da durfte schon mal eine Zahnbürste herhalten für ein kleines obszönes Spielchen zwischen Graf und Susanna. Kosky aber kennt die Grenzen der Toleranz seines Publikums.

«Die Hochzeit des Figaro» erzählt eine Geschichte aus Sevilla im Jahr 1786. Die Zeit der Handlung ist bei Kosky allerdings unbestimmt, vermutlich eher im Hier und Jetzt angesiedelt. Während der Graf auf den Golfplatz geht, praktiziert seine schöne Gattin daheim im Fitness-Outfit ihre Yoga-Übungen. Auch von dem politischen Hintergrund, den das Werk nach einem Theaterstück von Beaumarchais einmal hatte, will der Regisseur nichts mehr wissen. «Wer Politik auf der Bühne sehen will, soll doch bitte in \'Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny\' gehen», lautet sein Credo. Die dramatische Kraft des «Figaro» liegt für ihn in dem sexuellen Begehren. Und so widmet er sich in seiner Deutung ausführlich den komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Dazu steckt er seine Gesellschaft zunächst in einen engen Raum, einer Besenkammer gleich. Es ist Figaros und Susannas Zimmer, in dem geradezu eine Invasion aller handelnden Personen stattfindet. Hier fallen bürgerliche Hierarchien ganz schnell, und auch Geschlechterrollen sind für ein Sexspielchen rasch überwunden. Das artet fast in Anarchie aus. Großartig aber, wie geistesgegenwärtig Figaro und vor allem Susanna blitzschnell jede Situation im Griff haben. Doch bei allem turbulenten Treiben plagt die gesamte Gesellschaft die Eifersucht. Vor allem der schöne junge Graf, der es am tollsten treibt, sorgt mit seiner Eifersucht auf seine Gattin für die turbulentesten Verwicklungen und Verwechslungen.

Seltsamerweise kommt bei allen Lügen und Betrügereien Fidelio und Susanna der Glaube an die Ehe nicht abhanden. Und so feiern sie ausgiebig Hochzeit, die bei dem Juden Kosky auch auf der Bühne ein jüdisches Fest ist. Figaro und seine Freunde tragen Kippa, das Brautpaar wird unter einem Baldachin getraut. Doch die Verführung geht weiter - plötzlich duftet es im ganzen Haus nach frischen Äpfeln, und ein Schwall von Hunderten dieser paradiesischen Früchte der Verführung ergießt sich auf der Bühne.

http://www.komische-oper-berlin.de


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