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Harmlos bis abgründig - Uraufführung der Oper «Man and Boy: DADA» von Michael Nyman in Karlsruhe - Dramatik ohne Schnickschnack
Karlsruhe (ddp-bwb). An allen Kassen «ausverkauft» das sieht nicht nur der Karlsruher Intendant Achim Thorwald gern. Für die Verdi-Oper im Großen Haus des Badischen Staatstheaters gab es am Samstagabend keine Karten mehr, und auch das Kleine Haus nebenan, das in Karlsruhe immerhin fast 400 Zuschauer fasst, war restlos gefüllt. Das Interesse an Michael Nyman, den Thorwald für drei Jahre als «composer in residence» an Karlsruhe gebunden hat, ist aber nicht nur wegen der legendären Filmmusiken des Briten darunter «Der Kontrakt des Zeichners» und «Das Piano» besonders groß. Nyman hat bereits 2002 eine neue Oper in Karlsruhe herausgebracht. Gegenüber dem verkopften «Goya» wirkt das neue Werk «Man and Boy: DADA», eine Geschichte um den vor den Nazis geflüchteten Künstler Kurt Schwitters im Londoner Exil, frischer und dramatischer zugleich.Womöglich hat das brillante Libretto von Michael Hastings den Komponisten besonders stark inspiriert. Dass Hastings den gealterten DADA-Künstler mit einem Londoner Straßenjungen Freundschaft schließen lässt, ermöglicht Gespräche über Schwitters\' Werk ebenso wie die anrührende Schilderung eines Emigrantenschicksals.
Nymans Musik, über die das auf Schwitters konzentrierte Programmheft kein einziges Wort verliert, beschäftigt ein Dutzend Musiker, die unter der Leitung von Wolfgang Heinzel neben der Bühne sitzen und wie die drei Gesangssolisten elektronisch leicht verstärkt sind. Das ergibt den typischen Nyman-Klang mit plastisch hervortretenden Holzbläsern und klaren instrumentalen Strukturen die Musik orientiert sich stark am Dialog, sie wechselt die Stimmung mittels deutlicher Zäsuren und degradiert sich hin und wieder zur puren Illustration.
Michael Nymans Meisterschaft zeigt sich interessanterweise nicht bei diesen minimalistischen Passagen, sondern bei der geschickten Einbindung von Unterhaltungsmusik und vor allem dort, wo er von kalkulierter Harmlosigkeit zu seelischen Abgründen ganz fein überblendet.
Peter Werner hat dem Regisseur Robert Tannenbaum einen zerklüfteten Bühnenraum gebaut, der mit schrägen Flächen, einer Reihe von gestapelten Holzplatten, umgedrehten Möbeln und Schriftfragmenten vielfältige Assoziationen und abwechslungsreiches Spiel ermöglicht. Tannenbaums Inszenierung konzentriert sich auf eine lebensnahe Personenführung und ist damit theatralisch im besten Sinne. Pseudoprovokanten Schnickschnack gibt es nicht, dafür stehen echte, bis ins gestische und mimische Detail glaubwürdige Menschen auf der Bühne.
John Pickerings Spiel und Stimme verinnerlichen die brüchige Künstlerpersönlichkeit des zwischen Altersliebe und Depression schwankenden Schwitters eindrucksvoll, und Beverly O\'Regan-Thiele bezaubert das Publikum bei ihrem ersten Auftritt in Deutschland mit kraftvollem Sopran und tragikomischer Darstellung. Kurts jungen Freund hat Michael Nyman ganz im Sinne der Operntradition als Hosenrolle besetzt, aber das irritiert nur am Anfang, denn Janja Vuletic bringt das sehr jugendlich und stimmlich locker rüber. Dass dieser Junge mit einer ganz naiven Überlegung den verzweifelnden Künstler ins Leben zurückholt, ist eine glänzende, überraschende Schlusswendung.
Jürgen Hartmann
(Weitere Aufführungen: 18./25. März, 03./16./17. April; Kartenbestellung: 0721/933333; «Man and Boy: DADA» wird in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln gezeigt)
http://www.staatstheater.karlsruhe.de / http://www.michaelnyman.com /
http://www.kurt-schwitters.org