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Die Rezension: «Moses und Aron» in Hamburg

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«Bleib\' uns fern mit deinem Gott» - Peter Konwitschny inszeniert «Moses und Aron» in Hamburg - Gefeierter Premierenabend

Hamburg (ddp-nrd). Es ist 30 Jahre her, dass die Oper «Moses und Aron» von Arnold Schönberg, eines der Hauptwerke des neuen Musiktheaters, an der Hamburgischen Staatsoper zu erleben war. Zeit, das sperrige Zwölftonwerk in einer neuen Inszenierung vorzustellen, dachten sich der scheidende Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher und sein kongenialer Partner, Regisseur Peter Konwitschny. Am Sonntagabend erlebte die Oper in Hamburg ihre Premiere und wurde zu einem gefeierten Abend für Sänger, Musiker, Chöre und Regisseur. Für Metzmacher und Konwitschny, den derzeit wohl bedeutendsten Opernregisseur im Land, war es bereits die zehnte Zusammenarbeit.

Für den vor den Nazis nach Amerika geflohenen Wiener Komponisten Schönberg ist die Geschichte seiner Oper auch eine Geschichte des eigenen Scheiterns. Mehr als 20 Jahre lang hat er versucht, neben dem seit 1932 fertigen ersten und zweiten Akt einen dritten Akt und damit einen Schluss zu komponieren. Als er 1951 starb, blieb das Werk unvollendet zurück und wird heute so aufgeführt. Dass «Moses und Aron» trotzdem wie ein geschlossenes Werk wirkt, ist dem unauflöslichen Konflikt zwischen den Welten des Moses und des Aron geschuldet.

Moses (in der Sprechrolle: Frode Olsen) erlebt unter den Sternen des weiten Kosmos die Gegenwart Gottes. Seinem Auftrag, den Inhalt dieses Erlebnisses seinem Volk zu verkünden, kann er sich nicht entziehen. Da er selbst nicht sprechen kann, soll sein Bruder Aron (Reiner Goldberg) Moses\' Gedanken verbreiten. Doch wie soll Aron dem Volk einen Gott vermitteln, den es nicht sehen, nicht erleben, nicht fühlen kann? Beide Brüder sind damit überfordert, ringen um die notwendige Vermittlung des nicht Vermittelbaren.

Schon Moses und Aron leben in gänzlich unterschiedlichen Welten: Während der archaische Moses in einen Schafspelz gehüllt umherzieht, lebt Aron in seiner Plattenbau-Einbauküche ganz praktisch und alltäglich. In dieser so heutigen Szenerie scheint die Diskussion der beiden Brüder um den einzigen, den wahren Gott seltsam deplaziert. «Reinige dein Denken, löse es von Wertlosem», fordert Moses von seinem Bruder. Doch wie das Wertlose erkennen?

Das Volk der Auserwählten, das sich dem neuen, bildlosen Gott zuwenden soll, bleibt skeptisch: Welcher Gott tut am meisten für uns, welche kann uns am ehesten helfen?, fragen sie und warten auf praktische Antworten für ihren tristen Alltag. Moses spricht zu ihnen vom einzigen, allmächtigen, unvorstellbaren und unsichtbaren Gott. Er zieht sich in die Einsamkeit zurück, um das Gesetz niederzuschreiben. Bei den Versuchen braucht er ebenso viele Anläufe, wie sie vermutlich Schönberg brauchte für den dritten Akt seiner Oper. Der blieb unvollendet, während Moses nach 40 Tagen mit einem fertigen Werk aus der Wüste heimkehrt.

Unter dem wartenden Volk hat sich inzwischen Anarchie ausgebreitet, es ist zu seinen alten Göttern zurückgekehrt. «Ein Volk unterwirft sich nur Göttern, die kraftvoll herrschen», singen sie. Da lassen sie ihre «alten Götter», Politiker wie Gerhard Schröder, Angela Merkel, Joschka Fischer und Otto Schily , in Deutschlandflaggen gehüllt, aufmarschieren. Schröder und Merkel schließlich tanzen einen harmonischen Walzer nach Schönberg\'scher Musik. Über diese bekannten und vertrauten Götter sind die «Auserwählten» froh, und sie preisen sie.

Moses stellt Aron zur Rede. Der verteidigt sich: Die Existenz des Volkes habe auf dem Spiel gestanden, deshalb habe er bei dem Treiben mitgetan. Die Auseinandersetzung der beiden Brüder eskaliert und bleibt unentscheidbar. Der Boden verschlingt Moses und Aron und damit auch ihren unauflöslichen Konflikt. Der dritte Akt - er ist unschreibbar.
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