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Gnadenlose Gnade - Die Neuinszenierung von Mozarts «Titus» wurde zum bisher größten Erfolg der Salzburger Festspiele
Salzburg (ddp-bay). Lange Zeit galt Mozarts Spätwerk «La clemenza di Tito» als Gelegenheitsarbeit. In nur 18 Tagen hatte der Meister die von den böhmischen Ständen zur Feier der Krönung Leopolds II. bestimmte Oper aufs Papier geworfen: ein Huldigungswerk im Stile der damals längst überholten, barocken Opera seria. Zur Vertonung der Rezitative war der Komponist, der in seinem letzten Lebensjahr auch an der «Zauberflöte» arbeitete, gar nicht mehr gekommen. Damit beauftragte er seinen Schüler Franz Xaver Süßmayr. Ein Grund mehr, das Werk als zweitrangig abzustempeln, zumal ihm auch bei der Prager Uraufführung im September 1791 nur ein Achtungserfolg beschieden war.Bei den Salzburger Festspielen ließen sich Regisseur Martin Kusej, der designierte Schauspieldirektor des Festivals, und Dirigent Nikolaus Harnoncourt von der Last der Rezeptionsgeschichte nicht beirren. Dem seziermesserscharfen Blick des Regisseurs entgingen die Abgründe nicht, die sich unter dem zuweilen oberflächlichen wirkenden Glanz des Historienschinkens vom römischen Kaiser Titus auftun.
Und Harnoncourt förderte seinerseits in der Musik konsequent die Schattenseiten zutage. Das Publikum goutierte die künstlerische Konsequenz und zeigte sich von der Inszenierung wie den musikalischen Leistungen der Wiener Philharmoniker und eines großartigen Sängerensembles am Mittwochabend schlichtweg überwältigt. Am Beifall gemessen, war der «Titus» der bislang größte Erfolg der diesjährigen Festspiele.
Die Handlung ist schnell erzählt: Vitellia, Tochter des gestürzten Kaisers, sinnt auf Rache für ihren Vater und will den amtierenden Kaiser Titus beseitigen. Sie gewinnt ihren Freund Sesto, eine Verschwörung anzuzetteln und den Palast in Brand zu setzen. Titus überlebt jedoch und lässt Milde (clemenza) walten. Obwohl er sich von allen enttäuscht sieht, gibt er die Attentäter frei.
Als Gehäuse für die Geschichte von Freundschaft, Liebe, Verrat und Vergebung hatte Bühnenbildner Jens Kilian die Baustelle eines riesigen Palastes auf die Bühne der Felsenreitschule gewuchtet. Der Audienzsaal des Kaisers im Stile einer Sparkassen der Gründerzeit war der einzige vollendete Raum dieses Palastes. Ansonsten nur nackte Betonstreben, unverputzte Wände, rohe Treppen, ein Baustellenaufzug. Auf drei Stockwerken verteilte sich das Geschehen. Dank einer klugen Lichtregie, die immer nur jene Stellen des Palastes in zuweilen eisiges Licht tauchte, die gerade «aktiv» waren, gelang es Kusej, auf der riesigen Bühne ein fast intimes, kühl durch choreographiertes Kammerspiel zu inszenieren.
Dass die Kälte der Architektur, in der die Menschen oft beziehungslos wie Marionetten agierten, in einem merkwürdigen Gegensatz zur Milde des Titus steht, ist pure Berechnung. Kusej will die Doppelbödigkeit der «gnadenlosen Gnade» offen legen und verkehrt so das in der Oper vordergründig transportierte Bild des Titus als Idealgestalt eines Herrschers des aufgeklärten Absolutismus in sein Gegenteil.
Das stimmige Regiekonzept fand seine würdige Entsprechung in einer musikalischen Interpretation, die ganz auf die leisen Töne setzte und selbst die jubelnden Triumph- und Huldigungschöre filigran und zerbrechlich wirken ließ. Das war zunächst das Verdienst von Dirigent Harnoncourt, der die Wiener Philharmoniker, den Wiener Staatsopernchor und die Sänger zu einer bis ans Verlöschen grenzenden Pianokultur anhielt.
Star des Abends war unbestritten die Sopranistin Vesselina Kasarova in der Hosenrolle des Sesto, die für eine hochsensible, stimmlich und darstellerisch perfekte Leistung mit Ovationen überhäuft wurde. Auf annähernd gleichem Niveau sangen und agierten auch die anderen Frauen: Dorothea Röschmann als Vitellia, Barbara Bonney als Servilia und Elina Garanca als Annio. Auch Michael Schade in der Titelrolle des Titus und Luca Pisaroni als Publio enttäuschten die Erwartungen nicht. Berechtigter Jubel nach einem denkwürdigen Opernabend.
Georg Etscheit