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Bloß kein Pathos - Mit «Siegfried» und «Götterdämmerung» ist der Bayreuther «Ring» komplett
Bayreuth (ddp). Eines kann man Jürgen Flimm wirklich nicht vorwerfen: dass er vor lauter Salzburg, RuhrTriennale & Co. Bayreuth bereits ad acta gelegt hätte. Auch wenn sich der vielbeschäftigte Theater-Macher nicht einmal nach der «Götterdämmerung» dem Festspiel-Publikum präsentierte, so sorgte er doch für ein paar Überraschungen. Denn wer hätte gedacht, dass Flimm ausgerechnet im fünften und letzten Jahr dieser «Ring»-Inszenierung noch einmal in seine Regie- und Requisitenkiste greifen würde. Allein er fand wenig Erhellendes: von der überflüssigen Tribüne vor Fafners Neidhöhle bis zu den Aufnahme-Pults, an denen die Nornen nun ihr Band (Seil) spulen (spinnen).Im «Siegfried» - stets der problematische Teil dieser Tetralogie - geht neuerdings nichts mehr ohne Waldvögelein. Munter hüpft es in Lederhosen und angepappten Engelsflügeln über die Bühne, souffliert dem schwertschwingenden Haudrauf allerhand ins Heldenohr und hilft sogar beim Drachenstich, der eher an ein ausgelassenes Kinderspiel als einen Heroen-Akt erinnert.
Auch Klein-Hagen, der bislang nur verschüchtert in der Ecke kauern durfte, huscht mehrfach durch die Szene, harrt zusammen mit Vater Alberich und Wanderer Wotan auf der genannten Tribüne (mit pfiffigem Schild «Fafnerblick») des Riesenwurms und schaut sich vorsorglich schon mal Siegfrieds Schwert aus der Nähe an. Doch auch mit diesen neuen Zutaten lässt sich der dritte Gang in Flimms «Ring»-Menü schwerlich steigern - schon gar nicht würzen.
Dagegen gestaltet er das Annähern von Siegfried und Brünnhilde überaus behutsam, ja noch schlüssiger als im vergangenen Jahr und hat mit Christian Franz und Evelyn Herlitzius zwei Darsteller, die sich auf seine Detailarbeit wirklich einlassen. Auch in der «Götterdämmerung» sind die beiden für die wenigen berührenden Momente zuständig, etwa wenn Brünnhilde im stählernen Bürokomplex der Gibichungenhalle «ihrem» Siegfried hilfesuchend um den Hals fällt, um im gleichen Augenblick den Verrat zu erkennen.
Dabei zeigt sich nicht nur in dieser Szene, dass die Personenregie das Plus einer durchwachsenen Inszenierung ist, die bei ihrer Premiere anno 2000 reichlich vorschnell als «Jahrtausend-Ring» angekündigt wurde. In Flimms Götterwelt menschelt es, und das nicht etwa auf der Ebene der «Global Players», wie es damals modisch hieß, sondern wie bei Otto Normalmüllers. Mit Wagners Pathos hat das wenig gemein, und so ist es im Grunde nur konsequent, dass auch aus dem Orchestergraben wenig Mächtiges nach oben dringt.
Schon der Walkürenritt glich einem harmlosen Sonntagsspaziergang, folgerichtig wurde der Walkürenfelsen nun fast kammermusikalisch umspült, und der große Weltenbrand schien von der örtlichen Berufsfeuerwehr in Schach gehalten. Adam Fischer mag ein Meister des lyrischen Klangzaubers sein, doch damit allein ist kein packender «Ring» zu gestalten.
Auch die meisten Sänger hinterließen gemischte Gefühle. Alan Titus vermochte sich als Wanderer noch einmal zu steigern und gehört trotz nachlässiger Deklamation und mangelnder Phrasierung zu den imposanten Gestalten dieser Tetralogie. Klar konturiert und rabenschwarz klingt dagegen der Alberich von Hartmut Welker. Mit allerlei Akrobatik muss sich Graham Clark als Mime durch die Partie mogeln, denn mehr als unschöner Sprechgesang ist von ihm nicht mehr zu vernehmen.
Und das «hohe Paar»? Christian Franz wurde seit seinem Bayreuth-Debüt 2001 mehr und mehr zum überzeugenden Darsteller. Der junge Siegfried macht ihm nach wie vor beträchtliche Mühen, allerdings gelangen ihm in der «Götterdämmerung» durchaus souveräne Auftritte. Evelyn Herlitzius nahm ihre Brünnhilden-Power hörbar zurück und fand so zu weit bestechenderen Tönen als in den Jahren zuvor. Nur der Schlussgesang hätte noch ein paar Phonstärken mehr vertragen.
In der Rolle des strippenziehenden Bösewichts Hagen ging Peter Klaveness völlig unter, während sich Olaf Bär als Gunther einigermaßen passabel durch die Partie schlug. Unangenehm Schrilles kam dazu von \'Gutrune\' Yvonne Wiedstruck, und wenn man vom bestens disponierten Chor einmal absieht, spielten sich die wirklichen Höhepunkte auf den Nebenschauplätzen ab: So verströmte die klug gestaltende Simone Schröder als Erda angenehme Mezzo-Wärme, und Mihoko Fujimura rührte als durch und durch leidenschaftliche wie stimmschöne Waltraute. Aber auch diese Verlagerung fügt sich nur allzu gut in Flimms «Ring»-Konzept.
Christa Sigg