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Deutsche Dichter mögen Südfrüchte - Uraufführung der Grass-Oper «Treffen in Telgte» am Dortmunder Opernhaus
Dortmund (ddp). Im Jahr 1997 erhielten der Komponist Eckehard Mayer und der Librettist Wolfgang Willaschek den Auftrag, eine Oper nach Günter Grass\' Erzählung «Das Treffen in Telgte» zu schreiben. Drei Jahre später war die Partitur fertig. Doch den Dresdner Musikfestspielen als Auftraggeber fehlte ein Produktionspartner, um die Literaturoper uraufzuführen. Fünf Jahre blieb «Das Treffen in Telgte» in der Schublade liegen. Bis Opernhaus-Intendantin Christine Mielitz die musikalische Erzählung über die Rolle des Schriftstellers in Krisenzeiten jetzt in Dortmund zur Erstaufführung brachte.Am Sonntagabend hatte das vierstündige «Treffen in Telgte» in Anwesenheit von Grass Premiere. Die Auffführung wurde mit einhelligem Beifall für das Sänger-Ensemble und das Orchester sowie mit heftigen Buhs für das Regieteam und den Komponisten aufgenommen.
Während Regisseurin Mielitz mit quälend dunklem Pathos und biederen Zeitbezügen das fiktive Treffen deutscher Barockdichter 1647 in Telgte mit der realen Schriftsteller-«Gruppe 47» verknüpfte, entpuppte sich die Musik von Eckehard Mayer als zähe, bemüht avanciert daherkommende, aber doch nur einen Grundton kennende Klangflut. Dass man von dem Libretto (Wolfgang Willaschek) nahezu nichts verstand, brachte diese Produktion endgültig zum Scheitern.
Die Stellung der Kunst in Zeiten des Umbruchs - mit dieser Thematik hatte Grass in «Das Treffen in Telgte» noch einmal an die berühmte «Gruppe 47» erinnert, zu der er neben Heinrich Böll und Martin Walser seit 1955 gehörte. Mit der 1979 veröffentlichten Erzählung ehrte Grass Hans Werner Richter, der die «Gruppe 47» gegründet hatte.
In seiner Hommage wagte Grass den überaus zweifelhaften Versuch, die Situation im Nachkriegsdeutschland mit der am Ende des 30-jährigen Krieges 1647 zu vergleichen. Aus Hans Werner Richter wurde der Barockdichter Simon Dach. In der Inszenierung von Christine Mielitz kehrt er nun in das zerbombte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zurück.
Während Simon Dach um eine neue Literatursprache ringt, entpuppen sich seine Schriftsteller-Kollegen als ungehobelte, sexbesessene Rohlinge. Nur einmal sitzen sie still auf dem Hosenboden wie brave Schüler vor Simon Dach - und melden sich artig, um ihre Texte vorzutragen.
Damit beginnt auch die Reise in die 50er Jahre des Wirtschaftswunders und in die politisierten 60er Jahre. Das geht bis hin zu einem geschmacklosen Regieeinfall, wenn der von einer Kugel getroffene Studentenführer Rudi Dutschke dekorativ über die Bühne getragen wird. Überhaupt ist die Regieleistung so altväterlich und uninspiriert, wie die Dramaturgie von Libretto und Musik. Die Männer-Clique macht sich über Südfrüchte genauso her wie über das weibliche Geschlecht.
Wenn der Komponist Heinrich Schütz den Schriftstellern feierlich die Leviten liest, weil für ihn die Wahrheit in der Musik und nicht in der Sprache steckt, entspannt sich plötzlich auch das leerlaufende Dauerglühen im Orchester. Zu riesigen Gänseblümchen-Landschaften erklingt ein schöner Madrigal, gibt es leicht verdauliche, verkitscht säuselnde Klang-Alternativen.
Dass sich von dem Konfliktpotenzial zwischen Sprache und Musik in der Inszenierung nichts vermittelt, liegt dabei weniger an dem Sänger-Ensemble, das sich durch diese Mammutpartitur engagiert durchzukämpfen weiß. Und auch Dirigent Arthur Fagan hat die Dortmunder Philharmoniker solide im Griff. Wenn aber dann zum Schluss sich wieder die Politprominenz von Joschka Fischer bis Angela Merkel per Großbildeinblendung zeigt, hat man den Ausgangspunkt von diesem «Treffen in Telgte» längst aus den Augen und Ohren verloren.
Aus der Reflexion über die Rolle des Schriftstellers in Krisenzeiten ist vielmehr ein Armutsbericht über eine Form des aktuellen Musiktheaters geworden. Der aber glücklicherweise nicht repräsentativ ist.
Guido Fischer
http://www.theaterdo.de