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Hamburg (ddp-nrd). Vielleicht will Bob Dylan als Sänger nach 40 Jahren auf der Bühne einfach nicht mehr die Melodie seiner alten Lieder bedienen. Eigentlich hat er das bei Liveauftritten noch nie gemacht. Er singt lieber den Song auf einem Grundton, um dann mit einer Quinte, sieben Halbtonschritte höher, abzuschließen.
So könnte man eigentlich jeden Song kaputt machen. Nicht so Bob Dylan. Die 3500 Fans in der Hamburger Sporthalle am Dienstagabend hat die ewig schnodderige Präsentation der Lieder offenbar nicht gestört. Nach einer mäßigen Begeisterung zu Beginn des Konzerts ließ sich das Publikum am Ende doch mitreißen, besondern von den Zugaben «Like a Rolling Stone» und «Blowin\' in the Wind». Acht Konzerte gibt Dylan noch mit seiner vierköpfigen Begleitband in Deutschland.Dylan zeigte sich mit dem Auftakt seiner Deutschlandtournee sehr zufrieden. Der 60-jährige Folksänger und Übervater der Blumenkinder ließ es sich nicht nehmen, nach zweieinhalb Stunden vorwiegend Country- und uralten Rock\'n\'Roll-Stücken, einen halben Kniefall vor dem Publikum hinzulegen. Für den Nonkonformisten, der sonst nicht zu großen Gesten neigt, ein gutes Zeichen. Offenbar war er bester Laune in Hamburg.
Dem Lyrik-Meister unter den Musikern wird der Satz nachgesagt: Je kunstvoller das Musikalische, umso bescheuerter der Text. Vielleicht hat er sich deshalb bei dieser Tournee auch mehr auf seine musikalischen Wurzeln besonnen. Mit «Subterranean Homesick Blues» und «Desolation Row» hat er jedenfalls den Nerv seiner Zuhörer getroffen. Im Zuge des 60er Revivals blieben die mittlerweile ergrauten ehemaligen Hippies in Jeans und Lederjacke bei dem Konzert auch nicht unter sich. Sogar 19-jährige Schülerinnen («Mein Vater hat eine große Dylan-Plattensammlung») kamen aus Neugier auf die Musiklegende. Andere hatten den Folkbarden seit 20 Jahren nicht mehr gesehen und wollten sich einfach überraschen lassen. Mit seinem Klassiker «Times are Changing» erntet er immer noch Jubel. Das zeigt auch, dass es immer noch eine Sehnsucht nach Poesie in der Pop-Musik gibt. Die Schüler jedenfalls meinten selbstbewusst: «Natürlich kennen wir Dylan. Zwangsläufig - der wurde ja ständig gecovert.»
Dylan wurde schon oft musikalisch totgesagt. Der Legende nach soll Dylan jahrelang im Songschreiben blockiert gewesen sein, nachdem ihm Leonard Cohen offenbarte, dass er länger als zwei Jahre an dem Song «Hallelujah» gesessen habe. Im letzten Jahr lieferte der Vielschreiber dann mit «Love And Theft» das 43. Album ab. Doch die meisten Zuhörer haben schon lange den Überblick über die einzelnen Platten und Titel verloren.
Es gibt wohl kaum eine Musikrichtung, die der Amerikaner nicht ausprobiert hat. Projekte mit den Byrds, Keith Richards, Ron Wood, Tom Petty, George Harrison oder den Grateful Dead hat er durchgezogen. Manche hielten ihn in den 80er Jahren körperlich für am Ende. Nach Alkohol- und Drogenexzessen schaffte er in den 90er Jahren ein Comeback mit den Musikern des «Traveling Wilburys»-Projekts und feierte wieder Erfolge mit seinen Alben «Good as I Been to You» (1992) und «MTV Unplugged» (1995).
War es sein unzerstörbares, großes Ego, dass ihn durch die Achterbahn-Fahrt seiner Karriere geführt hat? Als 19-Jähriger soll er getönt haben, er wolle größer als Elvis werden. Während er sich zu Beginn seiner Auftritte vor allem gegen das Schlechte in der Welt gesungen hatte, besann er sich später auf seine Qualitäten als Lyriker und erfand sich immer wieder neu. Auch der Künstlername des Mannes aus Minnesota ist eine Erfindung - er nannte sich nach dem Dichter Dylan Thomas. Sein richtiger Name ist Robert Allen Zimmermann. Doch sein dichterisches Talent ist schon lange anerkannt. Nicht umsonst hat man schon mal öffentlich darüber diskutiert, den einstigen Frontmann der Friedensbewegung für den Literatur-Nobelpreis zu küren. Für die «New York Times» jedenfalls ist Dylans Talent kaum zu toppen. Sie bezeichnete ihn einmal als «Shakespeare des 20. Jahrhunderts».