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München, 26. September 2004. Bemerkenswertes gibt es vom europäischen Tourauftakt der Kanadierin Avril Lavigne in der nicht ganz ausverkauften Münchner Olympiahalle (8000 Besucher) zu berichten. Als da wäre: ein musikalisches perfektes Konzert, das München wohl seit Bruce Springsteens Auftritt 2003 im gegenüberliegenden Olympiastadion nicht mehr gesehen hat und das erste Konzert im Leben einiger Journalisten und Medienvertreter ohne auch nur einziges Gitarrensolo. Von A-Z, also von der Vorband bis zur Hauptattraktion war das grandiose Unterhaltung, Pathos freie Stunden von 20.00 bis 22.30 und ein für die Olympiahalle München mehr als erträglicher Sound.
Die US- Spaßpunker „Bowling For Soup“, seit 10 über Jahren und vier Alben im US- Geschäft, dürfen als alte Bekannte Avril Lavignes das Programm eröffnen und gehen ihren ersten Gig auf deutschem Boden dementsprechend offensiv an. Leicht würde das nicht werden, vermutete man vor dem Beginn der Texaner, in deren Bandbiographie die Flüssigkeit Bier eine übergeordnete Rolle spielt, doch mit unwiderstehlichen Einsatz, großartigen Gesängen und Chören im Beach Boys- Stil sowie einem charmanten und kreuzwitzigen Frontmann/Sänger/Gitarristen Jared Reddick gelingt es tatsächlich, dem Publikum die Wartezeit zu vertreiben und gleichzeitig Songs aus der am 15. November erscheinenden Platte „A Hangover You don’t deserve“ vorzustellen. Zwar ist das musikalische Genre bei „Bowling For Soup“ ziemlich schnell und eindeutig umrissen –Punk, Schrammelgitarren und Refrains im Kinderliedstil- aber wie sie das präsentieren darf sicherlich zur Oberklasse und mir Heroen wie Green Day, Sugar Ray oder Blink 182 erwähnt werden.Die teils vierstimmigen Gesänge sitzen perfekt, schlabbern nicht und graben sich spätestens mit dem zweiten Refrain jedes Songs im Gehörgang fest. Die Gitarren sind weit davon entfernt alles kaputt zu matschen, sondern zeigen sich fein abgestimmt, nicht zu laut, nicht zu verzerrt und nicht zu belanglos gespielt. Nach zwei eigenen Nummern gönnen sich „Bowling For Soup“ dann eine augenzwinkernde Hommage ans –natürlich- junge Publikum und lassen die Halle mit einer Coverversion von Britney Spears „Oops I did it again“ kurzzeitig im kollektiven Refrainschrei („I’m not that innocent“) erzittern. Richtig klug war es von „Bowling For Soup“ insbesondere, nicht 20 Songs in das 45minütige Programm zu quetschen (was auf Grund der Länge ihrer Oden nicht unmöglich schiene), sondern ihre besten acht bis zehn Nummern wohl zu sortieren und das Publikum mit gut verständlichen, nicht ins Mikro genuschelten Ansagen bei der Stange zuhalten. Diese Konzept geht auf und man muß ja immer im Hinterkopf haben, dass „Bowling For Soup“ nicht auf eben jener daher geschwommen sind, sondern seit unzählige Jahren Tour- Erfahrung und Live- Routine mitbringen. Das merkt man und so hinterlassen die Texaner einen blendenden Eindruck, zeigen vor allem den ewig miesepetrigen und verkrampften (die dann in 35 Minuten auch noch eine Message transportieren wollen) deutschen Vorbands schmerzhaft, was Unterhaltung im wahren Understatement bedeutet.
„Bowling For Soup“ haben ihren Job mehr als erfüllt, sind in Düsseldorf noch einmal mit Avril Lavigne zu sehen und verschwinden dann aus Deutschland um demnächst eine Tour in U.K. zu spielen. Notieren: das Album „„A Hangover You don’t deserve“ erscheint am 15. November 2004.
Eine halbe Stunde musste anschließend das punkrockige Publikum überbrücken und durfte einstweilen den schwarzen „Avril Lavigne“- Bühnenvorhang zur „Bonez“- Tour 2004 bestaunen. Dass München den Startschuss zur Europatournee 2004 sein sollte, hat übrigens keinen besonderen Grund. Dafür hat sich das Live- Umfeld der Kanadierin geändert. Avril Lavignes langjähriger Gitarrist Evan Taubenfeld hat sich entschieden, nicht mehr zur Band zu gehören und verbringt seine Zeit ab nun mit eigenen Projekten. Sein Nachfolger an der Gitarre ist ein alter Bekannter: Devin Brosnon, der einst in Kelly Osbournes Band die Saiten schwang.
Exakt um 21.20 Uhr betrat dann Mrs. Lavigne den bajuwarischen Bühnenboden, ca. zwei Stunden und 40 Minuten vor ihrem 18. Geburtstag. Behängt mit einer schwarz-weiß karierten Fender- Telecaster von erdig eingelassenen Lichtern in blau und weiß bestrahlt beginnt mit „He wasn’t“ ein Konzert, das von diversen Höhepunkten umrahmt wird. Avril Lavigne macht gleich eine der drei großen Herausforderungen der Tournee wahr: sie möchte mehr Gitarre spielen, auch mal allein mit der Klampfe und dem Publikum bestehen und möchte bzw. wird einige Songs am Klavier begleiten. Bereits mit dem zweiten Song sind erste erfüllt, denn „Happy Ending“, die aktuelle Charthymne, wird vom Publikum gebrüllt, Avril Lavigne kann sich ohne Mühen aufs Gitarre spielen konzentrieren.
Die Band indes steigert sich von Song zu Song, reißt einmal Avril Lavigne mit und lässt sich dann selbst mitreißen. Eingedenk des jungen Alters der fünf Protagonisten gab es immer wieder Momente in der Olympiahalle, in denen es einem Angst und Bange wurde.
Nicht weil es zu laut oder zu eng wurde, sondern weil diese Band – nennen wir sie Avril Lavigne- gegen Mitte des Konzerts scheinbar perfekt harmonierte, weil Avril Lavigne große Momente hatte und in Songs wie „Losing Grip“ oder später am Piano („Forgotten“) ziemlich nah an Alanis Morissette, vielleicht auch an eine junge Tori Amos kam. Zwar mit kleinen stimmlichen Wacklern (besonders im Livemitschnitt des präsentierenden Senders Bayern 3 zu hören) aber dafür mit Seele, Leidenschaft und der Interpretation, die eben nur diejenige liefern kann, die beim Songwriting dabei war und ihren Song lebt.
18 Songs zählt der reguläre Auftritt, Höhepunkte sind freilich die Hitparaden- Songs wie „Skaterboy“, „I’m with you“ oder die erste Zugabe „Complicated“. Aber genauso bewiesen andere Perlen („Tomorrow“, „Fall To Pieces“, beide nur als Akustik Versionen vorgetragen, erstes nur von Avril Lavigne alleine), dass Avril Lavigne eigentlich nicht wirklich diese Punkgöre ist, die man ihr aus Bequemlichkeit ein ganzes Album mal durch zuhören unterstellt.
Mit ihren 18 Jahren ist sie aktuell sicher noch keine begnadete Songwriterin, dafür fehlen einfach die Lebensschmerzen, aber sie ist im ihrem Metier eine hoch talentierte und auf Dauer sicher nicht aus dem Pop- Business weg zudenkende Künstlerin. Im September 2004 ist es wohl eienr der spannendsten Gedanken und eine fiebrige Angelegenheit zu warten, wie Avril Lavigne im September 2014 klingen wird.
Ein großer Abend mit attraktiven Bands, bester Popunterhaltung und ohne nerviges Gitarrensolo schickt sich an länger als eine Woche im Gedächtnis zu bleiben.
Sven Ferchow